Die große Stadt ist ein zentrales Thema bei Bertolt Brecht. Er nennt sie Mahagonny und Babylon. Selten aber fällt der Name Berlin, obwohl er bald nach seinen ersten literarischen Erfolgen seine Karriere dort befördern wollte. Im Februar 1922, wenige Tage nach seinem 22. Geburtstag, reiste er zum ersten Mal nach Berlin, um mit Verlagen und Theatern zu verhandeln. Fasziniert war er von dem „ungeheuren Häuserhaufen, dem Tohuwabohu der Autos“, von U-Bahnen und Warenhäusern. Auch wenn ihm zunächst alles „schrecklich überfüllt von Geschmacklosigkeiten“ vorkam, er kam von Berlin nicht mehr los. Am 14. August 1956 starb er mit 58 Jahren in seiner Wohnung Chausseestraße 125, heute Brecht-Haus.
Brechts Berlin und seinen literarischen Schauplätzen spürt der Publizist und Stadtführer Michael Bienert kenntnisreich in einem Bildband nach. Den historischen Fotografien ist anzumerken, wie turbulent das Leben in Berlin in den roaring twenties verlief. In einer Variante seiner Geschichten von Herrn K. schrieb er vor 1930: „Herr Keuner zog die Stadt Berlin der Stadt Augsburg vor.“ Weil er sich dort gebraucht – und wohl fühlte. Schon 1920 hatte er seinen Spaß bei einem Kostümfest im heutigen Martin-Gropius-Bau, und die damalige Damenbekanntschaft vermittelte ihm Elisabeth Hauptmann, die seine wichtigste Mitarbeiterin sein sollte.
Autor Michael Bienert zeigt Brechts Berlin in Bildern
Bienert klappert alle Lokale ab, die Brecht besucht hat: die Piccadillybar, das Bierhaus Maenz, das Café des Westens (auch Café Größenwahn genannt) und das Restaurant Schlichter, wo 1928 Pläne zur Dreigroschenoper geschmiedet wurden. Mittendrin fand Brecht immer wieder Unterschlupf bei Arnolt Bronnen am Nürnberger Platz – in Sichtweite der Spichernstraße, wo Helene Weigel eingezogen war, die alsbald seine Geliebte wurde.
Brecht verstand es, die Wohnung als Atelier samt Sekretärin in Beschlag zu nehmen. Die Weigel zog mit Sohn Stefan in die Babelsberger Straße um. Seinen luxuriöses Steyr XX-Cabriolet parkte er in der „Autopension am Knie“, Schillerstraße 2. Als Brecht im Februar 1933 fliehen musste, konfiszierte die SA den Wagen; der Verlust traf B.B. hart.
Boxabende im Sportpalast regten Brecht zu einer neuen Bühnengestaltung an. Auch der Ullstein-Verlag an der Kochstraße und sein neues Druckhaus in Tempelhof, mit dem 77 Meter hohen Turm ein Symbol für das neue Berlin, waren für den Dichter bedeutsam. Was wäre Brechts Berlin ohne seine Theater: die Wilde Bühne, wo die „Legende vom toten Soldaten“ 1922 einen Tumult auslöste; das Theater am Kurfürstendamm für „Mahagonny“, wo Brecht und Kurt Weill während der Proben handgreiflich wurden; das Deutsche Theater, wo sich der junge Dramatiker schwer tat, indes nach Rückkehr aus dem Exil 1948 „Mutter Courage“ erfolgreich aufführte; das Staatstheater am Gendarmenmarkt, wo „Mann ist Mann“ 1930 für Aufruhr sorgte; schließlich das Theater am Schiffbauerdamm, ab 1954 Stammsitz des Berliner Ensembles, wo Brecht 1928 mit der „Dreigroschenoper“ Triumphe gefeiert hatte.
Brecht in der DDR - auch auf diesen Spuren war Bienert unterwegs
Brechts DDR-Zeit darf in dem Berlin-Führer nicht fehlen. Bienert verortet die Ministerien und Dienststellen, wo der Dichter sich zu Wort meldete – meistens kritisch und fordernd. Auch die Staatsbibliothek Unter den Linden und die kleine Gründerzeitvilla in Weißensee sollten wichtige Orte sein. Helene Weigel hatte sie 1949 zugeteilt bekommen, doch die Liebeleien B.B.s mit Theater-Mitarbeiterinnen brachten das Paar bis zur Trennung. Mit der Perspektive, das Berliner Ensemble dauerhaft zu übernehmen, rauften sie sich 1953 wieder zusammen und bezogen das letzte Quartier Chausseestraße 125, neben dem Dorotheenstädtischen Friedhof, wo Brechts Grab ist. Sein Andenken hat sich aber auch im ersten sozialistischen Hochhaus von 1952 in der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee) erhalten, das im Foyer vier Verse aus dem „Friedenslied“ zitiert, sowie im Haus Berlin am Eingang der Stalinallee am Strausplatz, wo ein weiterer Vers steht.
Michael Bienert: Brechts Berlin. Literarische Schauplätze. Verlag für Berlin-Brandenburg, 199 S., 195 Abbildungen, 25 Euro.