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Augsburg: Ein Blick in die Geschichte zeigt: Fortschritt ist immer Fluch und Glück zugleich

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Ein Blick in die Geschichte zeigt: Fortschritt ist immer Fluch und Glück zugleich

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    300 Jahre Auswanderung aus Schwaben: Im Nachbau einer Ulmer Schachtel feierten Nachfahren 2012 den Aufbruch ihrer Familien auf der Donau.
    300 Jahre Auswanderung aus Schwaben: Im Nachbau einer Ulmer Schachtel feierten Nachfahren 2012 den Aufbruch ihrer Familien auf der Donau. Foto: Roland Furthmair

    Die gute alte Zeit – wie viele trauern ihr nach angesichts eines rasanten Wandels aller Lebensbereiche. Die Erfahrung von Verlust durch Fortschritt ist jedoch beileibe nicht neu. Auf Spurensuche begab sich eine Online-Tagung von Universität Augsburg und Bezirk Schwaben. Deutlich spürt die Sprachforscherin Edith Burkhart-Funk das Verschwinden unserer Dialekte. Aus dem Bub wird der Junge, aus schlecken wird lecken, aus der Stiege die Treppe. Süddeutsche Mundart wird als derb und ungebildet empfunden. Der Duden erhebt Wortformen zur Norm, auch wenn alternative Bezeichnungen stärker verbreitet sind. Edith Funk forderte mehr Toleranz gegenüber Dialektsprechern, denn: „Sprache ist die Heimat, die man immer bei sich hat.“ Dialektsprecher zu diskriminieren, vernichte Menschlichkeit.

    Wenn aber die Menschen selbst ihr Bündel packen und in die Fremde auswandern? Vor allem nach dem Dreißigjährigen Krieg warben deutsche Fürsten gezielt Migranten an, um dem Land wieder zum „Aufkommen“ zu verhelfen. Zuerst galt die Einladung den Hugenotten, die ab 1685 als Protestanten in Frankreich nicht mehr gelitten waren. Neue Städte wie Erlangen wurden für sie am Reißbrett geplant, berichtete der Historiker Ulrich Niggemann. „Ersprießliches Gewerb und Hantierung“ versprach sich Markgraf Christian Ernst von Bayreuth-Brandenburg von der Ansiedlung. Er dachte sowohl an Manufakturen als auch ans Urbarmachen brachliegenden Landes. Doch nicht überall gelang die Wirtschaftsförderung und in der ansässigen Bevölkerung regte sich Widerstand, die traditionellen Nutzungen wie Jagd, Fischerei und Torfabbau zu verlieren. Die Zünfte wiederum versuchten, die einwandernde Konkurrenz in ihrem alten Regelwerk zu bändigen.

    Die Landesherren ließen ihre Macht spielen

    Und was wurde aus dem Gut, das die Kolonisatoren in der alten Heimat zurückließen? Marta Fata fand in den Archiven eine Fülle von Bittschriften, Immobilien veräußern zu dürfen, um sich die neue Existenz aufzubauen. Oft unter Wert und in ganz schlechten Zeiten sogar nur gegen Ausgleich der Schulden. Verhandlungen zogen sich hin, mitunter erhob die Verwandtschaft Einspruch, weil etwa auch sie ihr Vieh auf diese Weiden trieb. Der Kurerzbischof von Mainz erwog sogar, das Vermögen von Ausgewanderten aus Prinzip einzuziehen. Besser sollten sie sich zu Hause anstrengen, um zu wirtschaftlichem Erfolg zu gelangen und ihrem Fürsten zu nützen.

    Im paritätischen Augsburg bestimmten derweil welsche Kaufleute auf katholischer Seite das Finanzwesen. Die Carli und Bacchiochi aus Italien, Ducrue aus Savoyen, Brentano und Obwexer aus Tirol agierten als Bankiers, Textilhändler und Schnupftabakfabrikanten, sie residierten prächtig in besten Lagen, übten gesellschaftlich Einfluss aus. Aber, so Barbara Rajkay, sie heirateten Töchter und Söhne ihrer alten Heimat. Was letztlich nach Ende der Reichsstadt 1806 zu ihrem Niedergang führte. „Sie hätten dringend Finanzspritzen in Form von Mitgift gebraucht“, sagt die Historikerin.

    Die Furcht vor dem "Überdrang"

    Mit dem Aufkommen der industriellen Manufakturen wie der Schüleschen Kattundruckerei stand ein Strukturwandel vor der Tür, dem sich nicht allein die um ihre Existenz bangenden Weber 1794 mit Aufständen entgegensetzten. Auch ein Gutachten des Stadtrats kritisierte, mit der neuen Produktion werde „der alte gute Verband zerrissen“. Schüle möge nicht nur die billigeren Tuche aus Ostindien verarbeiten, sondern auch die hiesige Weberei am Geschäft beteiligen. Das Glück der Stadt beruhe auf der Mäßigung des Gewinnstrebens, griff der konservative Rat auf einen Diskurs der Zeit zurück, so Regina Dauser. Man sah zwar Verdienst und Konsum der Schüleschen Arbeiten, fürchtete indes den „Überdrang von Fremden“.

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