Herr Terkessidis, das Fugger und Welser Erlebnismuseum hat auf die Kritik reagiert, die Sie in Ihrem aktuellen Buch „Wessen Erinnerung zählt?“ äußern. Warum haben Sie das Museum in Ihrem Buch kritisiert?
Mark Terkessidis: Ich bin mehr oder weniger durch Zufall drauf gekommen. Meine Recherche ging davon aus, den Kolonialismusbegriff zu erweitern, nicht nur über die afrikanischen Kolonien zu sprechen, wie das zur Zeit üblich ist, sondern sowohl auf der Zeit-, als auch auf der Raumachse zu schauen, was noch zum deutschen Kolonialismus gehört. Dann kommt man schnell auf die Verwicklungen der Familie Welser in den sogenannten Entdeckungen. Auf der Suche nach mehr Information habe ich das Museum besucht. Aber mir war schnell klar, dass die Darstellung im Museum problematisch ist. Wobei das Museum sich da nicht von vielen anderen unterscheidet.
Was genau hat Sie im Museum gestört?
Terkessidis: Ich kann das nur von außen beschreiben, die kuratorischen Diskussionen bekommt man ja nur durch Presseberichte mit. Es hat im Kuratorenteam schon vor der Eröffnung eine Diskussion gegeben, weil es offenbar Kritik an „Reinwaschung“ gab. Tatsächlich werden die Welser als großartiges Vorbild für weltweiten Handel dargestellt, bevor es die Globalisierung gab. Allerdings stand diese globale Haltung klar im Rahmen der gewaltsamen Eroberung Lateinamerikas durch die Europäer. Und da wird dann – wie im Übrigen auch in vielen wissenschaftlichen Publikationen – eine zu erbauliche Geschichte über den europäischen Tatendrang erzählt, während man die Verheerungen und Opfer, die damit verbunden sind, zwar erwähnt, aber nur am Rande. Im Museum wird nicht gesagt, dass es keine Opfer gegeben hat. Die Inszenierung des Museums als Erlebnismuseum schildert die Geschichte aber klar aus europäischer Sicht. Man kommt in einen Raum, befindet sich dort auf einem Schiff, das in Venezuela an der Küste ankommt. Von der Reling aus sieht man dann „Eingeborene“ auf einem historischen Bild. Es wird nur auf die Rolle des Entdeckers, des Eroberers eingegangen, andere Rollen werden nicht angeboten. Und obwohl es eine historische Darstellung ist, wirken nackte Ureinwohner schon sehr klischeebeladen.
Was müsste das Museum jetzt in der Überarbeitung besser machen?
Terkessidis: Zunächst kostet es ja überhaupt nichts, zuzugeben, dass die Reise der Welser nach Venezuela alles andere als altruistische Gründe hatte und dass diese sehr viele Opfer gefordert hat. Das war ein Eroberungsfeldzug, der hauptsächlich darauf basierte, Sklaven zu machen und nach Gold zu suchen. Das muss man klarer benennen. Das Museum hat ja immer wieder betont, dass es auch die „Schattenseiten“ der frühen Globalisierung im 16. Jahrhundert benennen möchte.
Das reicht?
Terkessidis: Nein, es braucht eben das, was ich in einem anderen Buch „Kollaboration“ genannt habe: Zusammenarbeit. Tatsächlich hat das Museum mit der App aus der Sicht des Sklaven Perico versucht, andere Perspektiven einzubeziehen. Dabei wurden Fehler gemacht, was dann ja auch von Seiten von Wissenschaft und Aktivisten in Augsburg kritisiert wurde. Das Gesprächsangebot hat das Museum allerdings nicht wahrgenommen, dabei wären solche Gespräche doch das A und O. Um multiperspektivisch zu werden, müssen Museen den eigenen Expertenklub verlassen und mit den Leuten, die sich vor Ort mit dem Thema beschäftigen, also den „Postkolonial“-Gruppen, der Universität, aktiven Vereinen (mit antirassistischer Orientierung oder auch in Bezug auf Lateinamerika) zusammenarbeiten. Ich würde versuchen, eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten. Ich persönlich wundere mich immer, dass die Museen das nicht viel stärker machen.
Wie finden Sie denn die Vorschläge, die jetzt vom Museum gekommen sind?
Terkessidis: Klingt erst mal hervorragend, wenn es so umgesetzt wird. Die Texte sollen im Austausch geändert werden, eine kritische Veranstaltungsreihe solle das Thema in die Stadt tragen und die Personen, die bereits seit Jahren stadtgeschichtliche Führungen mit dem Schwerpunkt Kolonialismus anbieten, werden von der Regio für Schulungen gebucht für alle Leute, die Führungen anbieten. Darüber hinaus fände ich auch einen internationalen Austausch wichtig. Das Museum könnte etwa in Venezuela bzw. in den betroffenen Regionen mit anderen Museen oder Einrichtungen in Kontakt treten. Das ist heute leicht zu bewerkstelligen und ist ja auch per se interessant. So kommt man doch auch mal raus aus dem eigenen Zusammenhang.
Das klingt aber auch nach sehr viel Arbeit?
Terkessidis: Macht es nicht auch Spaß, mit anderen in Dialog zu treten? Es gibt in deutschen Museen generell so eine Zurückhaltung, so einen Moment, wo man das alles bei sich behalten möchte, um der angeblichen wissenschaftlichen Objektivität willen, damit man eine akkurate Darstellung finden kann. Das wird dann so klosterhaft in seiner Bearbeitung. Aber dann passiert das, was mit dieser App passiert ist. Wenn man das nur unter sich hält, hört man keine Einwände. Die bekommt man erst, wenn alles veröffentlicht ist. Das scheint mir eine verfehlte Herangehensweise zu sein. Am Ende war das alles viel mehr Arbeit, als wenn man gleich geredet hätte.
Wie schaut es denn in anderen Museen aus? Gibt es auch gute Beispiele?
Terkessidis: Noch basiert das stark auf der Initiative von einzelnen Personen. Natalie Bayer, heute Leiterin des Friedrichshain-Kreuzberg-Museums, hat in ihrer Zeit am Münchner Stadtmuseum zum Thema NSU eine Ausstellung gemacht unter entscheidender Beteiligung der Familie des Münchener Opfers Theodoros Boulgarides, dessen Lyra auch in die musikalische Sammlung aufgenommen wurde. Im Westend wurde zugleich in einem „Museumslabor“ ein „Live-Kuratieren“ erprobt, bei der Personen selbst Gegenstände mitgebracht und erläutert haben. Im Historischen Museum Frankfurt gibt es das „Stadtlabor“, dessen Ergebnisse in die Ausstellung „Frankfurt jetzt“ eingehen. Eine ähnliche Herangehensweise hat die „Bibliothek der Alten“.
Das Museum schwächt Ihre Kritik ab und sagt, es sei immer schon kritisch gewesen, es hätte zum Beispiel schon den Sklavenhandel thematisiert, in dem es Manillen ausstellt und schreibt, dass diese Manillen die Währung für den Sklavenhandel waren. Waren Sie in Ihrer Kritik zu streng?
Terkessidis: Ach ja, immer bin ich zu streng (lacht). Ich bin aber schon länger mit diesen Fragen beschäftigt, habe immer wieder mit Kultureinrichtungen gesprochen und bin mit den Fortschritten nicht wirklich zufrieden. Es gibt da auch eine ziemliche Ungeduld mittlerweile. Zudem befasst sich mein Buch mit dem Kolonialismus insgesamt und da war das nur ein kleiner Teil. Daher muss ich zugeben, dass mir die Manillen nicht so aufgefallen sind. Aber nehmen wir mal dieses Beispiel. Ich weiß, was Manillen sind, kenne mich aber mit der Geschichte nicht so gut aus. Museologisch wird so ein Objekt in Deutschland katalogisiert, dann wird dazu recherchiert, es wird wissenschaftlich eingeordnet. In einer modernen Museologie, wie ich sie vertreten würde, käme aber als zentrale Frage dazu, welche soziale Bedeutung die Objekte gehabt haben. Wie sind sie damals verwendet worden, welche Bedeutung haben sie heute für Menschen? Da wird es interessant. Wie viel Personen mit Migrationshintergrund hat Augsburg?
Fast die Hälfte, rund 40 Prozent.
Terkessidis: Wenn sie bei den Kindern unter sechs Jahren nachschauen, vermutlich 75 Prozent. Das verteilt sich nach unten noch einmal anders. Augsburg ist also eine sehr diverse Stadt. Da gibt es garantiert auch Organisationen von Personen afrikanischer Herkunft, bei denen man nachfragen könnte, ob sie an den Objekten Interesse haben, was sie wissen oder ob sie bis heute eine Bedeutung haben. Das ist ein anderes Ausstellungskonzept, das eben eher auf den sozialen Zusammenhang der Objekte eingeht.
Hat das Museum in solchen Fragen schon mit Ihnen Kontakt aufgenommen?
Terkessidis: Nein.
Würden Sie sich auch an einer Zusammenarbeit beteiligen, wenn das Museum Sie fragen würde?
Terkessidis: Im Prinzip gerne, das käme auf die Bedingungen an.
Wie finden Sie den Umgang des Museums mit Ihrer Kritik?
Terkessidis: Ich finde es sehr gut, dass das zur Chefsache erklärt wurde und dass ein Museum in Augsburg hier mal vorangeht, was die notwendigen Veränderungen betrifft. Herr Beck, der ja auch für den Tourismus zuständig ist, hat sehr gut verstanden, dass das Augsburg nützt. Sie bekommen doch auch bundesweit gute Presse. Und zudem sind Leute etwa aus englischsprachigen Ländern weitaus empfindlicher, was diese Dinge betrifft – und besuchen ja auch Augsburg.
Glauben Sie, dass wir demnächst öfter im Kulturteil Nachrichten zu lesen bekommen, dass Museen Ihre Dauerausstellungen überarbeiten und dabei auch neue Formen der Recherche und Zusammenarbeit beschreiten?
Terkessidis: Ganz sicher. Es muss aber gut vorbereitet und moderiert werden. Dafür müssen auch Mittel zur Verfügung stehen. Es hat keinen Sinn, wenn die bezahlten Professionellen am Ende nur feststellen, dass die unbezahlten Engagierten nicht genügend organisiert und unzuverlässig sind. Es gibt ein Gefälle in der Zusammenarbeit und wenn darüber nicht von vornherein nachgedacht wird, dann machen am Ende alle nur weiter wie zuvor.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich in Ihrem Buch mit der deutschen kolonialen Vergangenheit zu beschäftigen?
Terkessidis: Mein Schwerpunktthema ist Migration und Rassismus. In den 1990er Jahren habe ich mich schon mit dem Kolonialismus beschäftigt. Das ist dann etwas aus dem Fokus verschwunden, dann haben sich auch andere Leute und Gruppen damit beschäftigt. Denen ist es stark gelungen, das wieder auf die Agenda zu setzen, was mich freut. In letzter Zeit ist die Debatte meiner Meinung nach aber räumlich und zeitlich zu stark beschränkt. Es geht primär um die deutschen Kolonien in Afrika. Es gibt aber einen größeren Kontext, angefangen mit den Welsern. Außerdem gehört zum deutschen Imperialismus ein kontinentales koloniales Projekt im Osten und Südosten Europas. Dieser „Drang nach Osten“ hängt auch zusammen mit der aktuellen Diskussion über die vergessenen Opfer des Zweiten Weltkrieges, über die man in der Vergangenheit nicht ausreichend geredet hat. Die Bevölkerungen von Polen, Serbien oder Griechenland haben sich unter deutscher Herrschaft zwischen zehn und zwanzig Prozent reduziert. Über 3,3 Millionen sowjetischen Kriegsgefangene hat man einfach verhungern lassen. Diese Art von Terrorregime war nur möglich, weil es zuvor eine koloniale Idee über ein deutsch dominiertes Europa gegeben hat. Zweifellos war das Naziregime extrem, aber es existierte eine Mentalität, die besagte, die deutschen „Herrenmenschen“ sind mehr wert. Nur mit dieser Mentalität war es möglich, etwa in Griechenland 1600 Dörfer zu niederzubrennen.
Zur Person: Mark Terkessidis, 1966 geboren, arbeitet als Journalist, Autor und Migrationsforscher. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Kolonialismus, Migration und Rassismus. Er hat mehrere einschlägige Bücher zu seinen Themen veröffentlicht, unter anderem „Interkultur“ (2010), „Kollaboration“ (2015) und zuletzt „Wessen Erinnerung zählt? Koloniale Vergangenheit und Rassismus heute“. In diesem Buch kommt Terkessidis auch auf das Fugger und Welser Erlebnismuseum in Augsburg zu sprechen.
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