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AZ-Literaturabend: Tiefsinn und Selbstironie: Olga Grjasnowa in der Stadtbücherei

AZ-Literaturabend

Tiefsinn und Selbstironie: Olga Grjasnowa in der Stadtbücherei

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    Die Schriftstellerin Olga Grjasnowa liest beim AZ-Literaturabend aus ihrem neuen Roman "Der verlorene Sohn".
    Die Schriftstellerin Olga Grjasnowa liest beim AZ-Literaturabend aus ihrem neuen Roman "Der verlorene Sohn". Foto: Ulrich Wagner

    Die Bücher sollen an diesem Abend im Mittelpunkt stehen, eigentlich. Aber dann bittet Moderator Michael Schreiner, der Leiter der Kultur- und Journalredaktion der Augsburger Allgemeinen, beim AZ-Literaturabend die Schriftstellerin Olga Grjasnowa doch, den 100 Gästen in der Stadtbücherei in Augsburg zu erzählen, wie das bei ihrer Lesung zuvor in Halle gewesen sei. Grjasnowa schildert, wie sie dort nicht im Hotel einchecken durfte, weil Berlin, die Stadt, in der die aus Baku (Aserbaidschan) stammende Schriftstellerin lebt, gerade zum Corona-Risikogebiet erklärt worden sei. „Zum Glück fuhr abends noch ein Zug zurück nach Berlin.“

    In Augsburg hat das mit dem Einchecken ins Hotel geklappt. Nach vielen geplatzten Terminen (Grjasnowa: „Sechs Auslandsreisen wurden wegen der Corona-Pandemie abgesagt.“) erlebt das Augsburger Publikum eine bestens aufgelegte, schlagfertige, selbstironische, aber auch tiefsinnige Schriftstellerin im ersten Teil des Literaturabends, der das Erscheinen der großen AZ-Literaturbeilage begleitet hat.

    Grjasnowa liest aus ihrem Roman über den Kaukasuskrieg

    In ihrem neuen Roman „Der verlorene Sohn“, aus dem die Autorin in Auszügen liest, geht Grjasnowa ein Thema an, das sich auch schon in ihren ersten drei Romanen findet. Die 35-Jährige beschreibt einen Jungen, der früh aus seiner Heimat wegziehen muss und zwischen zwei Kulturen groß wird. Ein solcher Bruch findet sich auch in Grjasnowas Biografie, mit elf Jahren zog sie mit ihren Eltern von Baku nach Deutschland.

    In „Der verlorene Sohn“ hat die Schriftstellerin nun zum ersten Mal einen historischen Stoff bearbeitet: Den Kaukasuskrieg im frühen 19. Jahrhundert, als Russland unter anderem gegen den Imam Schamil kämpfte, der anfangs erfolgreich die Übermacht in Schach hielt. Sein Sohn Jamalludin wird als neunjähriger Junge Teil des Kriegs. Schamil muss mit den Russen verhandeln, der Sohn dient da als Faustpfand. Danach wächst der Junge Jamalludin am Zarenhof auf, lernt dort eine neue Kultur und Sprache kennen, in die er immer tiefer eintaucht, während die Erinnerungen an die Heimat langsam verblassen.

    Mit dieser Hauptfigur Jamalludin sei sie wie mit ihren anderen Hauptfiguren erst einmal auf der Psycho-Couch gewesen, erzählt Grjasnowa. Mit ihren Protagonisten gehe sie immer zum Psychologen, spreche dort darüber, wie die Figur beschaffen sei, welche Probleme sie habe. „Danach verstärke ich diese noch.“

    Im Gespräch mit Michael Schreiner erzählt die Schriftstellerin außerdem, dass die Arbeit an dem Roman – anders als anfangs gedacht – extrem langwierig und rechercheaufwendig gewesen sei. Vier Jahre habe sie an dem Buch gearbeitet. „Ich habe die russischen Klassiker noch einmal gelesen, die alle auch über den Kaukasus geschrieben haben.“ Anschließend hat sie klären müssen, welche Position sie selbst einnimmt.

    Der heutige Krieg in Aserbaidschan sei unverständlich

    Klar positioniert sie sich bei der Frage nach den Hintergründen des aktuellen Kriegs in Berg-Karabach. Er diene laut Grjasnowa nur dem Machterhalt der Herrscher-Familie in Aserbaidschan, das Land sei nicht reich an den Bodenschätzen. Man könne nicht verstehen, warum um dieses Land Krieg geführt werde.

    Urkomisch wird es, als es um einen Eintrag in ihrem Lebenslauf geht, nämlich dass sie Tanzwissenschaft in Berlin studiert habe. „Nur drei Wochen“, sagt Grjasnowa, „das war der einzige Master-Studiengang, den ich in Berlin belegen konnte.“ Sie sei komplett untänzerisch, auch unmusikalisch, sie müsse den Saal verlassen, wenn das Publikum im Takt klatsche, weil sie nie den richtigen Rhythmus treffe.

    Heftige Diskussionen im literarischen Salon

    Wie unterschiedlich Literatur auf Leser wirken kann, ist im Literarischen Salon zu erleben. Dort diskutieren Marius Müller von der Stadtteilbücherei Göggingen, Kurt Idrizovic (Buchhandlung am Obstmarkt) und Stefanie Wirsching (AZ-Literaturredakteurin) kontrovers und höchst unterhaltsam über drei Neuerscheinungen des Bücherherbsts. Moderator Wolfgang Schütz von der AZ-Kultur- und Journalredaktion muss gar kein Öl ins Feuer gießen, um Kontroversen zu erzeugen. Wenn Idrizovic den neuen Roman „Der letzte Satz“ von Robert Seethaler in den höchsten Tönen als ein Buch lobt, das einen in eine besondere Stimmung versetze und über die Vergänglichkeit nachdenken lasse, ist die Kritik nicht weit. „Ja, das Buch mache glücklich beim Lesen, aber wie viel Mahler ist da drin?“, fragt Wirsching. Müller legt noch drauf, Seethaler habe einen Roman über den Komponisten Gustav Mahler geschrieben, ohne über dessen Musik zu schreiben.

    Ähnlich unterschiedlich sind auch die Meinungen zu David Grossmanns neuem Roman „Was Nina wusste“. Von einem gelungenen Buch, das etwas vom Leben erzähle (Wirsching) bis zu einer einzigen Lesequal (Idrizovic) reicht das Spektrum. Auch in Jane Gardams „Robinsons Tochter“ sind sich die Diskutanten nicht einig. Müller hat eine wunderbare Parabel auf das Lesen entdeckt, für Wirsching bleibt die Konstruktion viel zu sichtbar.

    Lesetipps für Kinder und Jugendliche

    Außerdem gibt an dem Literaturabend die AZ-Kinder- und Jugendbuchexpertin Birgit Müller-Bardorff noch drei Leseempfehlungen für das jüngere Publikum. Da Kanada das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse gewesen wäre, stellt sie Bücher von dort vor. Neben Polly Horvaths „Super reich“ und Stephanie Lapointes „Fanny Cloutier – Das Jahr, in dem mein Leben einen Kopfstand machte“ spricht Müller-Bardorff auch über einen soeben neu in Deutschland verlegten Klassiker aus Kanada, der Astrid Lindgren zu ihrer Pippi Langstrumpf inspiriert haben könnte: „Annes wundersame Reise nach Green Gables“ lautet der Titel.

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