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Krieg in Nahost: Wie blicken Muslime in Augsburg auf den Krieg in Nahost?

Krieg in Nahost

Wie blicken Muslime in Augsburg auf den Krieg in Nahost?

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    In Augsburg zeigen Demonstrantinnen und Demonstranten am Freitag ihre Solidarität mit den Palästinensern.
    In Augsburg zeigen Demonstrantinnen und Demonstranten am Freitag ihre Solidarität mit den Palästinensern. Foto: Annette Zoepf

    Er sei Programmierer, sagt er, seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Wir nennen ihn Tugay. Er steht vor einer Moschee in der Augsburger Innenstadt. Seit den 80er Jahren lebt Tugay hier, hat zwei erwachsene Kinder, beide studieren. Er hat die türkische Staatsbürgerschaft behalten, ein Haus gekauft, im Stadtteil Oberhausen, nahe der Wertach. Er fühlt sich wohl in Deutschland. Wie sehr beschäftigt ihn der Terrorangriff auf Israel? "Der Islam wird mal wieder dargestellt, als bedeute er Terror", antwortet er. Dabei könne eine Religion als Ganze nicht terroristisch sein, sagt er.

    Die Hamas lehnt Tugay ab. Trotzdem verweist er im Gespräch hauptsächlich auf die vermeintliche Schuld Israels an diesem Konflikt, auf Tausende Tote in Gaza, darauf, dass Israel seit Jahrzehnten palästinensisches Land besetzt und jüngst ein Krankenhaus bombardiert habe. Dass nicht das Krankenhaus, sondern der Parkplatz daneben von einer Rakete getroffen wurde, dass das Geschoss nicht aus Israel, sondern mutmaßlich vom Islamischen Dschihad – einer islamistischen Terrororganisation – aus Gaza abgeschossen wurde, glaubt er nicht. Auch dass es vermutlich nicht um 1000 Tote, sondern um einige Dutzend gehe, hält er für israelische Propaganda.

    "Ich finde schon, dass die Hamas eine Terrororganisation ist", sagt ein 19-jährige Syrer

    Solche Gespräche mit arabisch- und türkischstämmigen Muslimen Augsburgs kann man in diesen Tagen viele führen. Meist wird die Militanz der Hamas als "Befreiungskrieg" gerechtfertigt, die Distanzierung fällt allgemein halbherzig aus. Die "palästinensische Sache" ist Teil der muslimischen Identität – ganz im Sinne der Hamas und ihrer Verbündeten –, der fundamentalistischen Muslimbruderschaft und der Islamischen Republik Iran.

    Vor dem Mittagsgebet fegt Wind durch die Pilgerhausstraße. In einer Passage liegt die Cagri-Moschee. Die Organisation gehört zur antisemitischen Milli-Görüs-Bewegung und wird vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet. Ihre Kantine im Erdgeschoss und die großzügigen Männer- und Frauenräume im ersten Stock sind in den vergangenen Jahren renoviert worden. Türkische Arbeiter gründeten den Verein in den 70er Jahren. Das Freitagsgebet ist das wichtigste der Woche und muss von Männern in Gemeinschaft, das heißt, in einer Moschee, geleistet werden. In Gruppen und allein steigen sie in den ersten Stock: Syrer, Afghanen, Muslime aus afrikanischen Staaten – wohl in keiner Moschee Augsburgs ist die Freitagsgemeinde so international wie hier. Die Presse darf nicht mit rein. Der Vorsitzende erteilt freundlich, aber bestimmt eine Absage.

    Das Stimmungsbild ist eindeutig. "Deutschland muss jetzt mal aufwachen", sagt ein älterer Mann nach dem Gebet und zieht sich gegen den Wind die Kapuze ins Gesicht. Annalena Baerbock sei richtig "blutrünstig", sagt er. Israel bedingungslos zu unterstützen, sei Wahnsinn. "Die Palästinenser verteidigen sich doch nur." Dass die Hamas Tausende Raketen auf Israel abschoss, Geiseln nahm und Kinder tötete, spart er aus. Er redet sich in Rage. Zwei andere Männer lehnen an einer niedrigen Mauer und hören zu. Zwischendurch Händeschütteln und Wangenküsse mit Bekannten. Auch der Imam bleibt kurz bei ihnen stehen. Die Hamas sei eine Armee, keine Terrorgruppe, sagt einer der Männer. Sie kämpften eben, genau wie deutsche Soldaten. Dass die Hamas Israel mit Raketen angegriffen hat, spielt im Weltbild der Männer keine Rolle.

    Auch Amar nimmt sich kurz Zeit für ein Gespräch. "Ich finde schon, dass die Hamas eine Terrororganisation ist", sagt der 19-jährige Syrer. "Das viel größere Problem ist aber der Iran." Der sei nicht nur einer der Hauptsponsoren der Hamas und der Hisbollah-Miliz – sondern auch ein wichtiger Unterstützer des Assad-Regimes in seinem Heimatland Syrien. Iran finanziere Terror auf der ganzen Welt. "Und in Syrien habe ich erlebt, was Terror bedeutet." In der Augsburger Milli-Görüs-Moschee war Amar heute zum ersten Mal. Die Predigt hat er kaum verstanden, sagt er. Er spreche kein Türkisch. 

    Auch Ankara wirkt auf seine Gläubigen in Augsburg ein

    Doch die Sicherheitsbehörden haben die Verbände und den muslimischen Antisemitismus in Augsburg im Blick. Vor wenigen Wochen durchsuchte die Generalstaatsanwaltschaft München einen türkischen Verein, der im Bärenkeller eine schiitische Koranschule betreibt. Die Prediger haben enge Verbindungen zum Iran. Bei der Durchsuchung ging es um Volksverhetzung, Holocaustleugnung, antisemitische Hetze, antiisraelische Parolen und Bezüge zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Die Ermittlungen dauern noch an, jedoch lieferten die Sicherheitsauflagen für die pro-palästinensische Demonstration in der letzten Woche einen Hinweis auf die Einschätzungen der Behörden. Neben den verbotenen Kennzeichen von Hamas, Hisbollah, Islamischem Dschihad und der Iranischen Revolutionsgarde fand sich unter den nicht gestatteten Symbolen auch das Logo dieser Koranschule. Ob die religiös motivierten Straftaten in den Tagen seit dem Angriff der Hamas gestiegen sind, lässt sich aktuell noch nicht sagen, heißt es von der Polizei. Die Kundgebungen in Augsburg seien aber größtenteils friedlich verlaufen.

    Auch Ankara wirkt auf seine Gläubigen in Augsburg ein. Drei Moscheen hier gehören über ihren Verband Ditib dem türkischen Religionspräsidium an. Die Ditib-Imame sind dem Religionspräsidium untergeordnet. Dieses hat eine Spendenkampagne für die "palästinensischen Brüder und gegen die unendliche Gewalt Israels" aufgesetzt. Zum weltweiten Aufruf gehört eine rote Landkarte von der Region, auf der Israel nicht eingezeichnet ist. Wie steht die Moschee in Augsburg zu dieser Kampagne? Der Vorsitzende der Ditib-Moschee am Katzenstadl möchte nicht antworten. Und der Imam sei nicht zu sprechen. Auch Mails und mehrere Anrufe an andere Moscheen blieben unbeantwortet.

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