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Kommentar: Kaum öffentlicher Widerspruch zu Corona-Demos: Wo ist "das Volk"?

Kommentar

Kaum öffentlicher Widerspruch zu Corona-Demos: Wo ist "das Volk"?

Max Kramer
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    Gegen-Demo zum Protestzug gegen Corona-Maßnahmen in Augsburg.
    Gegen-Demo zum Protestzug gegen Corona-Maßnahmen in Augsburg. Foto: Max Kramer

    Ein paar kommen immer. Sie heben ihre Banner und abgegriffenen Pappschilder hoch, darauf Sprüche wie "Impfen schützt Leben" oder "Solidarität statt Verschwörungsmythen". Eine Handvoll junger Männer und Frauen, Maske im Gesicht und Polizei an der Seite, begleitet jeden einzelnen der Corona-Demozüge mit einer kleinen Gegenveranstaltung. So klein, dass viele der Maßnahmenkritikerinnen und -kritiker im Vorbeigehen darüber spöttisch lachen. Im Herzen Augsburgs skandieren sie "Wir sind das Volk". Das ist falsch. Aber wo ist es - "das Volk"?

    Teilnehmer der Corona-Demos eignen sich Augsburg an

    Seit fast zweieinhalb Monaten eignet sich ein regionales Sammelsurium regelmäßig Augsburg an. Es besteht aus Impfpflichtgegnern, Corona-Leugnerinnen, Umsturzfantasten, Esoterikaffinen und - mutmaßlich mehrheitlich - tatsächlich Besorgten. Die Augsburger Zivilgesellschaft begegnet all dem zurückhaltend, eher leise, fast schweigend. Das Aktionsbündnis "Augsburg solidarisch" ruft seit Mitte Januar zu Gegen-Kundgebungen auf, deren Anliegen größtenteils mehrheitsfähig sein dürften: Die Veranstalterinnen und Veranstalter, politisch eher im linken Spektrum anzusiedeln, werben für Solidarität, faire Löhne im Gesundheitswesen und für eine gerechtere Impfstoffverteilung; gleichzeitig wenden sie sich gegen Verschwörungsglaube, Wissenschaftsfeindlichkeit und Egoismus. Zu den Veranstaltungen auf dem Königsplatz kamen bislang immer nur wenige Hundert Menschen.

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    Rund 2000 Teilnehmer gingen am Montagabend beim Corona Spaziergang vom Plärrer in die Augsburger Innenstadt auf die Straße.

    Ist es das politische "Gschmäckle", mit dem sich die Menschen nicht anfreunden können? Oder das Bewusstsein, in Pandemie-Zeiten Massenveranstaltungen lieber zu meiden? Nun findet Öffentlichkeit längst nicht mehr nur auf der Straße statt. Es gibt etliche Möglichkeiten, seine Meinung auch ohne physische Präsenz kundzutun. Auf der Internet-Plattform change.org etwa gibt es zwei Petitionen, die mindestens als Reaktion auf die Demos verstanden werden können: "Für ein solidarisches Augsburg zur Überwindung der Corona-Pandemie" von "Augsburg Solidarisch" sowie die "Augsburger Erklärung", der sich unter anderem Vertreterinnen und Vertreter sämtlicher im Stadtrat vertretener Parteien - die AfD ausgenommen - angeschlossen haben. Die eine Petition haben knapp 600 Menschen unterzeichnet, die andere gut 1100. Das ist zusammengenommen die Größenordnung einer schlechtbesuchten Corona-Demo.

    Schwach besuchte Gegen-Demos, wenig Unterstützung für Petitionen

    Es scheint fast, als seien die Grenzen des gesellschaftlich Erträglichen in Augsburg noch nicht weit genug überschritten worden - trotz der gezielten Missachtung einfachster Hygieneregeln, trotz der teils offen zur Schau getragenen Wissenschaftsfeindlichkeit, trotz massiver Auswirkungen auf Verkehr und öffentliches Leben, trotz zweier körperlicher Übergriffe am Rand der Kundgebungen. Ein pauschales Verbot rechtfertigt all dies nicht. Der Großteil der Demonstrierenden ist nach wie vor friedlich und muss seine Meinung äußern können, insbesondere wenn es um so umstrittene Themen wie die Impfpflicht geht. Doch harte Positionen brauchen ein demokratisches Gegengewicht, sichtbaren Widerspruch und nicht nur verbale Kritik, wie sie dieser Tage immer wieder geäußert wird. "Sollen sie doch"? Damit darf es nicht getan sein.

    Denn was die Maßnahmenkritikerinnen und -kritiker für sich in Anspruch nehmen, gilt andersherum genauso: Wer nichts tut, nimmt hin. Wer Präsenz zeigt, verschafft seinem Anliegen Glaubwürdigkeit. Es macht eben einen Unterschied, ob skrupellose Relativierungen und gefährliche Thesen unerwidert verhallen und sich so eine laute Minderheit zum "Volk" hochstilisieren kann; mancher missversteht fehlenden Widerspruch als Bestätigung. Oder ob Vertreterinnen und Vertreter der solidarischen Mehrheit dieser Selbstinszenierung unmissverständlich - und mit eineinhalb Metern Abstand - entgegentreten. Dafür muss man raus aus der Komfortzone, dafür braucht es einen Impuls. Und der ist nur stark genug, wenn er aus der Mitte des "echten" Volks kommt, aus der Mitte der Augsburgerinnen und Augsburger. Worauf warten sie?

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