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Interview: Wie hat sich Augsburg seit dem 7. Oktober 2023 verändert, Oberbürgermeisterin Weber?

Interview

Wie hat sich Augsburg seit dem 7. Oktober 2023 verändert, Oberbürgermeisterin Weber?

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    Bei der Solidaritätskundgebung für Israel trug Oberbürgermeisterin Eva Weber ein Plakat mit dem Schriftzug: Wir alle sind Augsburg. Unter der Dachmarke bündelt die Stadt viele Aktionen und Projekte, die Antisemitismus, Antiislamismus, Rassismus und Extremismus im Blick haben.
    Bei der Solidaritätskundgebung für Israel trug Oberbürgermeisterin Eva Weber ein Plakat mit dem Schriftzug: Wir alle sind Augsburg. Unter der Dachmarke bündelt die Stadt viele Aktionen und Projekte, die Antisemitismus, Antiislamismus, Rassismus und Extremismus im Blick haben. Foto: Silvio Wyszengrad

    Wie hat sich in Augsburg die Lage seit dem 7. Oktober aus Ihrer Sicht verändert?
    EVA WEBER: Das muss man sehr differenziert betrachten. Es gibt Menschen jüdischen Glaubens, israelische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Angst haben und die mir das per E-Mail oder in Gesprächen so mitteilen. Wir haben Menschen muslimischen Glaubens, viele, die aus dem arabischen Raum zu uns gekommen sind, die Angst vor Vorverurteilungen haben. Sie erzählen uns, wie sie in jedem Gespräch vor der Situation stehen, dass sie sich erst mal ausdrücklich von den Taten der Terrororganisation Hamas distanzieren müssen, weil sie eine Art Generalverdacht spüren. Wir haben bei vielen eine emotionalisierte Stimmung. Der Konflikt ist nicht einfach, gleichzeitig werden aber häufig zu einfache schwarz-weiß gefärbte Diskussionen geführt, die dem Ganzen nicht gerecht werden. Das alles führt in Teilen zu einer angespannten Stimmung.

    Bislang kam es in Augsburg nicht zu offenen Feindseligkeiten. Wie zerbrechlich ist das Miteinander?
    WEBER: Ich glaube, dass wir durch die Integrationsarbeit, die wir in Augsburg seit vielen Jahren intensiv betreiben, einen guten Boden bereitet haben, dass es nicht zu Situationen kommt wie in Essen oder Berlin. Trotzdem wird mir von Vorfällen auf Pausenhöfen und von Gesprächen in Freundeskreisen berichtet, die zeigen, wie schwierig es ist. Zum Glück gibt es auch viele, die versuchen, zu vermitteln. Ich versuche das auch, indem ich viel spreche – mit der Israelitischen Kultusgemeinde, der islamischen Community, dem Runden Tisch der Religionen, der sich gerade sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt. Bei der jüngsten Sitzung fiel der schöne Satz, dass man jetzt das Verbindende betonen müsse und nicht das Trennende. Den Mitgliedern ist es wichtig zu zeigen, dass die Religionen in Augsburg Seite an Seite stehen. Ich finde, dass das sehr schöne und wichtige Zeichen sind. 

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    Etwa 300 Menschen sind dem Aufruf des Bündnisses für Menschenwürde gefolgt und versammeln sich unter dem Motto "Friedensstadt gegen Hass, Terror und Antisemitismus".

    Was hat die Stadt seit dem 7. Oktober getan?
    WEBER: In den vergangenen Wochen ging es gemeinsam mit der Polizei zuallererst um die Sicherheitslage. Gleichzeitig um das gegenseitige Verständnis und darum, einen Weg zu finden, wie es gut in Augsburg weitergehen kann. Es ist nicht die Situation, wie wir sie beim Beginn des Kriegs gegen die Ukraine hatten. Da konnten wir sofort ins Tun kommen, weil wir Unterkünfte zur Verfügung stellen mussten, weil wir Info-Veranstaltungen gemacht haben. Jetzt geht es darum, wie wir das Zusammenleben mit seinen vielen Kulturen und Religionen miteinander gestalten wollen. Augsburg lebt diesen Zusammenhalt und das Bemühen um ein gutes Miteinander schon lange. Und genau da setzen wir jetzt an und bauen die Angebote auch weiter aus.

    Als Zeichen der Solidarität mit Israel wurde auf dem Rathausplatz die Israelfahne gehisst. Seit sie zweimal heruntergerissen wurde, wird sie morgens hochgezogen und abends wieder eingeholt. Wie lange soll das noch gehen?
    WEBER: Für mich war es selbstverständlich, die israelische Flagge zu hissen in Gedenken an die Opfer des barbarischen Terroranschlags. Eine Flagge ist ein wichtiges Symbol, aber wichtiger ist jetzt, dass wir ins Handeln kommen und Augsburg in den Blick nehmen. Deshalb haben wir mit der Israelitischen Kultusgemeinde und den ukrainischen Vereinen besprochen, dass wir die Landesflaggen bis zum Volkstrauertag auf dem Rathausplatz belassen und dann einholen, und stattdessen Friedensstadtflaggen hissen. Damit wird ein Zeichen für das Selbstverständnis der Stadt Augsburg als Friedensstadt und in Gedenken an alle Krisenherde und Opfer der weltweiten Auseinandersetzungen gesetzt, und Erinnerung daran, dass es immer um Menschen geht, die leiden. Gleichzeitig soll das ein Zeichen und eine Mahnung für den Frieden in der Stadt sein, zu dem alle jeden Tag beitragen können.

    Symbole sind das eine, ins Handeln kommen das andere. Man könnte auch das eine tun und das andere nicht lassen. 
    WEBER: Und genau das tun wir. Deswegen hissen wir als Symbole demnächst die Friedensstadtflaggen. Und setzen gleichzeitig beim Handeln den Fokus auf Augsburg: Das wird sich in den nächsten Wochen unter der Dachmarke "Wir alle sind Augsburg" zeigen. Es gibt bereits seit vielen Jahren etablierte Aktionen und Projekte, die Antisemitismus, Antiislamismus, Rassismus und Extremismus im Blick haben. Die Dienststellen haben in den letzten Wochen alle Projekte zusammengefasst und eine Art Bestandsaufnahme gemacht. Jetzt wird geprüft, wo noch etwas gebraucht wird, wo weitere Angebote benötigt werden. Diese werden dann unter der Dachmarke "Wir alle sind Augsburg" sichtbar gemacht. Außerdem wollen wir Menschen gewinnen, die Friedensbotschaften in unsere Stadt senden. Und alle Infos fassen wir gerade nach und nach unter augsburg.de/gemeinsam zusammen.

    Man könnte das Abhängen als Einknicken werten, weil die Israel-Fahne zweimal heruntergerissen wurde. 
    WEBER: Das sehe ich anders. Der Punkt ist doch ein anderer. Alexander Mazo, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, hat das gut formuliert, als die zweite Fahne entwendet wurde. Er sagte, dass es nicht um 'Jetzt erst recht' gehen könne. Mir als Oberbürgermeisterin liegt es fern, irgendjemand zu verletzen.

    Wollen Sie das in Zukunft so beibehalten, dass bei Krisen oder Kriegen nicht mehr einzelne Länder-Flaggen gehisst werden?
    WEBER: Die Friedensstadtflagge ist ein starkes Symbol. Es kann also gut sein, dass es genauso kommen wird.

    Es gibt einen Antrag von Stadtrat Peter Grab zu einem Aktionsplan Antisemitismus. Wie ist Ihre Meinung?
    WEBER: Ich habe es in der Stadtratssitzung im Oktober gesagt: Die Stadtverwaltung arbeitet bereits daran. Ich möchte den Fokus auch etwas weiten, es geht nicht nur um Antisemitismus. Es geht um gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Ich möchte mitgedacht haben, dass hier auch Menschen muslimischen Glaubens leben, die genauso Anfeindungen ausgesetzt sind. Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe Diskriminierung erfahren. Wir haben Extremismus und Rassismus in der Stadt. Deswegen kümmern wir uns seit Jahren ja um diese Themen. So gibt es seit vielen Jahren Aktionen wie die „Wochen gegen Rassismus“. Beim Thema Erinnerungskultur passt die Eröffnung der „Halle 116“ gut in diese Zeit. Wir haben das Transferzentrum Frieden mit der Universität Augsburg ins Leben gerufen, wo es um Konfliktmanagement geht und eine städtische Antidiskriminierungsstelle. Aktivität – und zwar seit Jahren – ist besser als ein Plan auf dem Papier. 

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    Die Halle 116 als Erinnerungs - und Lernort auf dem Gelände der ehemaligen Sheridan Kaserne ist eröffnet.

    Werden derzeit mehr Vorfälle bei der städtischen Antidiskriminierungsstelle gemeldet?
    WEBER: Seit Einrichtung der Antidiskriminierungsstelle im Juli 2022 sind insgesamt 105 Beratungsanfragen eingegangen. Im Vergleich zu anderen Städten ist das eine vergleichsweise hohe Zahl. Aktuell können wir noch keinen Anstieg verzeichnen. Allerdings haben wir erfahren, dass vor allem Schulen wohl nicht wissen, dass sie Vorfälle melden können und sollen. Deshalb haben wir ein Schreiben an alle Schulen und Kitas geschickt, wo wir Hilfestellungen geben, wo es Informationsmaterial zum Nahostkonflikt gibt und Hinweise, wo man sich melden kann, wenn es einen Vorfall gab. Die Antidiskriminierungsstelle ist auf jeden Fall eine gute Adresse und steht mit Rat und Tat zur Seite.

    Zur Person

    Eva Weber, 46, ist seit 2020 Oberbürgermeisterin von Augsburg. Die CSU-Politikerin studierte Rechtswissenschaften und begann ihre Laufbahn 2009 im Wirtschaftsreferat der Stadt Augsburg. 

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