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Interview: Welche Bauprojekte kann sich Augsburg in Corona-Zeiten noch leisten?

Interview

Welche Bauprojekte kann sich Augsburg in Corona-Zeiten noch leisten?

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    Mehr Platz für Fahrradfahrer: Dieses Ziel bleibe, sagt Augsburgs Baureferent Gerd Merkle. Allerdings müsse man in einer Stadt auch Kompromisse machen.
    Mehr Platz für Fahrradfahrer: Dieses Ziel bleibe, sagt Augsburgs Baureferent Gerd Merkle. Allerdings müsse man in einer Stadt auch Kompromisse machen. Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

    CSU-Mitglied Gerd Merkle, 61, ist der dienstälteste Referent in der aktuellen Augsburger Stadtregierung. Der Fachmann fürs Bauen kam im Jahr 2008 ins Amt, zusammen mit dem damals neu gewählten Oberbürgermeister Kurt Gribl. In Merkles Amtszeit fallen unter anderem der Umbau des Königsplatzes, die Neugestaltung der Fußgängerzone in der Innenstadt und der Ausbau von Fahrradwegen. Die Frage, wie fahrradfreundlich Augsburg inzwischen ist, ist allerdings umstritten. Und was kann man in den kommenden Jahren überhaupt noch umsetzen angesichts der Corona-Finanzlücke? Merkle, der in drei Jahren sein Amt abgeben will, spricht darüber im Interview.

    Als Baureferent in finanziell knappen Corona-Zeiten: Werden Sie in den kommenden Jahren womöglich mehr Projekte rausschieben als umsetzen?

    Gerd Merkle: Die Bauverwaltung wird sicher erhebliche Einschränkungen bei der Mittelzuweisung im Haushalt hinnehmen müssen. Hier wird der Stadtrat Prioritäten setzen müssen. Bei der Sanierung von Straßen wird eine Rolle spielen, ob Sicherheitsbelange berührt sind. Bei einigen Baumaßnahmen stehen wir auch in Abhängigkeit zu größeren Projekten: Ich denke an den Bahnhofstunnel, für den die Stadt die Bahnhofsvorplätze fertigstellen muss. Es wäre den Bürgern nicht vermittelbar, den Hauptbahnhof behindertengerecht umzubauen und den Weg dorthin als Holperstrecke zu belassen. Für die Linie 5 – egal wie die Trassenwahl ausgeht – muss man die Holzbachbrücke sanieren, die in einem sehr schlechten Zustand ist. Aber klar ist: Manche Projekte werden geschoben werden müssen, um finanzielle Spielräume für dringlichere Dinge zu wahren.

    Die Corona-Krise hat auch den Zuzug nach Augsburg gebremst. Braucht die Stadt noch das geplante große Neubaugebiet Haunstetten-Südwest?

    Merkle: Stadtentwicklung denkt in längeren Zeiträumen. Alle Gespräche mit den Kollegen in anderen Großstädten zeigen, dass trotz der Pandemie der Zuzug in die Großstädte, wo sich die Arbeitsplätze befinden, anhalten wird. Deshalb stellen wir uns auch künftig auf Wachstum ein und werden weitere Bauflächen ausweisen, auf denen preisgünstiger Wohnungsbau für die Bevölkerung angeboten wird. Haunstetten-Südwest ist ein Langzeitprojekt. Wir sind die nächsten acht Jahre damit beschäftigt, die Planung zu verfeinern. Zudem ist die Struktur des Viertels so offen, dass wir abschnittsweise in die Umsetzung gehen können. Man sollte mit Nachdruck weiter daran arbeiten.

    Der Mann der Pläne: Gerd Merkle (CSU) ist seit dem Jahr 2008 Baureferent der Stadt Augsburg, in drei Jahren will er sein Amt abgeben.
    Der Mann der Pläne: Gerd Merkle (CSU) ist seit dem Jahr 2008 Baureferent der Stadt Augsburg, in drei Jahren will er sein Amt abgeben. Foto: Silvio Wyszengrad

    Und wann wird die Maximilianstraße, wie im Koalitionsvertrag mit den Grünen vorgesehen, autofrei sein?

    Merkle: Als erstes muss man mal überlegen, was das heißt. Soll die Straße untertags, wenn auch Einzelhändler auf Erreichbarkeit angewiesen sind, autofrei werden? Oder soll das nur für die Abendstunden gelten, um den Korso-Verkehr zu unterbinden und die Anwohner zu schützen? Und was fängt man mit dem dann zur Verfügung stehenden Raum an? Nur eine 30 Meter breite Straße ist zu wenig. Oberbürgermeisterin Eva Weber hat vorgeschlagen, den neu gewonnenen Raum zu bespielen. Man könnte nach historischen Grundrissen der in der Straßenmitte stehenden Viktualienhalle eine Kultur-Bühne in der südlichen Maximilianstraße errichten, wo Menschen verweilen können. Wir hoffen, bis Herbst eine Zusammenstellung zu haben, was Anwohnerparken, Schleichverkehre, Parkplatzzahl in den Innenhöfen betrifft. Dann kann der Stadtrat entscheiden.

    Und in welche Richtung könnte es dann gehen?

    Merkle: Die Lösung, dass keiner mehr rein darf, wird nicht gehen. Das Drei-Mohren-Hotel muss erreichbar bleiben, Taxis müssen auch rein. Vielleicht wird es ein Kompromiss, dass man den Nachtverkehr raus bekommt, Anwohner aber zum Parken weiter rein dürfen. Was man tagsüber macht, muss entschieden werden. Der Einzelhandel vor Ort ist ein zartes Pflänzchen. Braucht er Parkplätze oder nicht? Vielleicht gibt es die Zwischenstufe, dass der Abschnitt Herkules- bis Merkurbrunnen autofrei wird, der südliche Abschnitt Herkulesbrunnen bis Ulrichsplatz dann eher fürs Kurzzeitparken frei bleibt.

     Geht es nach der neuen Regierungskoalition soll das Pilotprojekt „autofreie Maximilianstraße“ für mehr Aufenthaltsqualität sorgen. Anwohner und Einzelhandel allerdings haben Kritikpunkte.
    Geht es nach der neuen Regierungskoalition soll das Pilotprojekt „autofreie Maximilianstraße“ für mehr Aufenthaltsqualität sorgen. Anwohner und Einzelhandel allerdings haben Kritikpunkte. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Maximilianstraße hat verkehrspolitisch vielleicht Symbolcharakter, aber den Autoverkehr in der Stadt reduzieren Sie damit nicht.

    Merkle: Um die Verkehrsbelastung zu senken, muss man an die Quelle gehen, also die Frage stellen: Wo fährt das Auto weg? Gäbe es in den Wohngebieten viele alternative attraktive Möglichkeiten zum Auto, die tagesaktuell den spezifischen Wünschen entsprechen, würden viele lieber darauf zurückgreifen, als mit dem Auto zu fahren. Man muss also in den Wohngebieten die Angebote schaffen. Das planen wir in Haunstetten Südwest.

    Und das funktioniert?

    Merkle: Im Münchner Domagk-Viertel haben wir uns die Anlage einer Wohnbaugenossenschaft angesehen, die eine Tiefgarage gebaut hat, die nur halb so groß ist wie nach der Stellplatzsatzung vorgeschrieben. Aber dafür haben sie ein Angebot aus mehreren Elektro-Carsharing-Autos und einem Sprinter, wenn man mal im Baumarkt etwas besorgen muss. Und das funktioniert. Die Leute haben sich gesagt, dass sie auf den Kauf eines Autos für zigtausende Euro verzichten, weil für den täglichen Bedarf das Carsharing reicht. Parallel dazu gibt es in der Anlage noch einen Lastenrad-Verleih für den täglichen Einkauf.

    Wo könnte so etwas in Augsburg entstehen?

    Merkle: Wir werden die Frage der Stellplätze beim Bauprojekt am Fabrikschloss noch mal im Stadtrat diskutieren. Mit dem Neubau am Fabrikschloss, der möglichen Wohnbebauung auf einem Teil des ehemaligen Ledvance-Geländes und dem Projekt des Freistaats an der Berliner Allee könnte in der Gegend eine erhebliche Wohnbauentwicklung entstehen. Es wäre unsinnig, einfach weiterzumachen wie bisher und den Herrenbach mit Autos zu überlasten. Darum sollte man die Tiefgarage bei dem Projekt am Fabrikschloss kleiner dimensionieren, wenn die Stadtwerke ein optimiertes Busangebot und mehr Carsharing dort anbieten. Als Sicherheitsnetz kann man sie ja mit Geschosshöhen von 2,80 Meter bauen, sodass man nachträglich Duplex-Garagen einbauen kann, wenn es gar nicht klappt. Aber prinzipiell wollen wir bei größeren neuen Wohnbaustandorten mit Bebauungsplänen in diese Richtung gehen.

    Wie geht es mit dem Bürgerbegehren zur Fahrradstadt weiter?

    Merkle: Wenn man sich die Forderung nach mehr Sicherheit an Kreuzungen anschaut: Das entspricht unseren Zielen. Wir haben beschlossen, dass bei jedem neuen Fahrradweg an Ampeln vorne eine Aufstellfläche für Radler eingerichtet werden soll, damit sie besser gesehen werden. Die Forderung nach mehr Radabstellplätzen ist auch verständlich. Es gibt allerdings die Forderung, dass jedes Jahr drei Prozent der Autostellplätze im öffentlichen Raum in Radstellplätze umgewandelt werden sollen. Die ersten fünf Jahre habe ich damit keine Schwierigkeiten, aber dann wird’s in manchen Stadtteilen sehr schmerzhaft, weil die Autos halt nur am Straßenrand Platz haben. In manchen Vierteln wäre das heute schon ein Problem. Es muss also immer eine Einzelfallentscheidung bleiben. Und dann gibt’s die Forderung nach durchgehenden Radachsen. Wir haben in der Vergangenheit viel beschlossen, aber in einer 2000 Jahre alten Stadt steht häufig der Platz nicht unbegrenzt zur Verfügung. Dass es prinzipiell mehr Radwege braucht, bleibt unbestritten.

    Die Stadt hat ihr selbst gestecktes Ziel zum Ausbau des Radverkehrs nicht einhalten können. Haben Sie das Bürgerbegehren durch zu langsame Fortschritte selbst provoziert?

    Merkle: Das können Sie selbstverständlich so interpretieren. Das Ziel heißt Fahrradstadt 2020. Die von der TU Dresden ermittele Zahl am Fahradverkehr stammt aus dem Jahr 2018 und lautet 19,4 Prozent. Wenn man unser Ziel einer heutigen Messung gegenüberstellen würde, bin ich überzeugt, dass wir – zugegebenermaßen auch durch Corona bedingt – von 25 Prozent Anteil Fahrradverkehr gar nicht so weit entfernt wären. Derartige Begehren hat es schon in vielen anderen Städten gegeben, drum wäre es so oder so in Augsburg angekommen. Im Rahmen der finanziellen und personellen Ressourcen haben wir das bestmögliche geleistet. Für die Hermanstraße haben wir zuletzt Überlegungen im Bauausschuss vorgestellt. Teils ist eine Radspur möglich, direkt an der Kaiserhofkreuzung wird es aber schwierig, weil der Platz nicht vorhanden ist, sodass wir auch eine Alternativroute durchs Beethovenviertel untersuchen. An dem Beispiel sieht man, dass es schwierig ist, eine idealtypische Lösung zu finden, weil es durch örtliche Gegebenheiten häufig auf Kompromisse hinausläuft. Bis gebaut werden kann, wird es frühestens 2022, weil wir planen und Zuschüsse beantragen müssen.

    Vorher passiert dort nichts?

    Merkle: Eine mit dem Koalitionspartner, den Grünen, diskutierte Idee ist, und das kann man im Rahmen einer Pilotphase noch in der zweiten Jahreshälfte umsetzen, mit gelben Streifen versuchsweise Radwege in der Hermanstraße abzumarkieren. Das Thema soll im Juli in den Bauausschuss. Damit niemand drauf parkt, befestigen wir noch so genannte Bischofsmützen, also Plastikmarkierungen, auf den Begrenzungsstrichen. Es wird sich dann zeigen, welche Rückmeldungen aus der Bevölkerung kommen. Es wird Anwohner geben, die dem Umbau kritisch gegenüber stehen, und es wird Fürsprecher geben. Aber der Diskussionsprozess, wie man Straßenraum aufteilt und was geht und was nicht, muss einmal geführt werden.

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