Viele haben dem Innenstadthandel wegen Corona schwere Zeiten vorhergesagt. Wie ist aktuell die Lage?
ULRICH MAYER: Absolut positiv. Die Leute kommen wieder und wollen auch kaufen. Bei uns ist der Wert eines Durchschnittbons an der Kasse innerhalb einer Woche um 25 Prozent gestiegen, nachdem der Maskenzwang gefallen ist und man sich wieder ins Gesicht schauen konnte. Wir liegen bei Frequenz und Umsatz teils über den Zahlen von 2019. Das gilt auch für die am schlimmsten gebeutelten Branchen Textil und Schuhe.
Welches Fazit ziehen Sie daraus?
MAYER: Die Pandemie hat auch positives bewegt. Die Einschätzung, dass es bald keine Innenstädte mehr geben werde, ist widerlegt. Die Kunden sagen, sie wollen dauerhaft nicht nur online shoppen, sondern im Laden. Sie haben erkannt, was man an der Innenstadt hat, an den Begegnungen mit Menschen und der Tatsache, Dinge in Echt anschauen zu können.
Trotz vieler Unkenrufe hat es kaum Geschäftsaufgaben wegen Corona gegeben. Dafür hat man den Eindruck, dass es mehr Wechsel gibt.
MAYER: Ja, das stimmt, man muss sagen, dass weniger passiert ist, als sonst. Es sind sogar neue Unternehmen gekommen, wie Scotch&Soda. Das ist es, was uns Mut macht, das ist das Zeichen, das wir brauchen. Und ja, Handel ist Wandel, das wird bleiben. Es wird in der Zukunft mehr Wechsel geben, aber nicht, weil die Innenstadt nicht mehr attraktiv ist, sondern weil seitens der Unternehmen anders gearbeitet und gedacht wird. Ich bin sicher, dass es auf den kleinen Flächen mehr Start-ups geben wird. Und viele werden nach zwei Jahren wieder verschwinden. Das sieht dann negativ aus, ist es aber nicht. Denn in dieser Zeit sind die Konzepte eine Bereicherung und danach kommt etwas Neues. Klar ist auch, dass es immer wieder weniger Familienbetriebe geben wird, weil die Belastungen wachsen.
Jetzt verunsichern die Preissteigerungen die Kunden. Fürchten Sie hier die nächste Herausforderung für die Geschäfte?
MAYER: Obwohl der Konsumindex schlechter wird, habe ich das Gefühl, dass immer noch mehr Menschen in der Stadt sind. Es gibt einfach einen großen Nachholbedarf. Wenn man hört, dass bei den Lebensmitteln schon mehr gespart wird, sagen die Leute, dann gönne ich mir wenigstens woanders etwas.
Die Kundinnen und Kunden nehmen also die Preissteigerungen ohne Weiteres in Kauf?
ANDREAS GÄRTNER: Die Preissteigerungen finden ja derzeit anderswo als im innerstädtischen Handel statt. Was jetzt an Textilwaren im Laden hängt, wurde vor mindestens einem halben Jahr bestellt. Wir haben so lange Produktzyklen, dass die Folgen aus dem Ukraine-Krieg noch nicht eingepreist sind. Deswegen lässt niemand neue Etiketten drucken. Das ist teurer, als die Artikel zum alten Preis anzubieten. Wirklich eingepreist wird das Ganze in der Herbst- und Winterware.
Wie sind die Aussichten für den Handel?
GÄRTNER: Es ist eine gewisse Sorge da, dass wir ein Riesenpaket bekommen. Vielleicht kommt es mit einer ansteckenderen Corona-Variante wieder zu Einschränkungen. Einschnitte bei der Personaldecke wird es im Herbst auf alle Fälle wieder geben. Zu Corona-Hochzeiten hatten wir Ausfallquoten von bis zu 20 Prozent. Das kann man nicht mehr kompensieren.
Den Personalmangel spürt man ja schon jetzt. Dabei gehört Beratung ja zum Vorteil eines stationären Ladengeschäfts. Wird das zur Bedrohung?
GÄRTNER: Das wird unser größtes Problem werden. Eventuell muss man auf eine gezielte Kundensteuerung setzen. Im Möbelhandel haben wir das schon. Ohne einen Termin können Sie am Wochenende keine Küchenberatung erwarten. Vielfach wird heute auch schon im höherwertigen Textilhandel versucht, Kunden dazu zu bewegen, mit dem Lieblingsberater einen Termin auszumachen. Dann schaffe ich auch ein Erlebnis, eine Qualität, die man vom stationären Handel erwartet. Und es gibt eine Beratung auch um 19 Uhr, wenn der Kunde gut Zeit hat. Diese Mitarbeitersteuerung wird eine riesige Rolle spielen, auch was die Zeiteinteilung des knappen Personals angeht. Und eventuell muss man auch über die Kürzung von Öffnungszeiten nachdenken.
Es wurde zuletzt immer wieder betont, wie wichtig die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt ist, um Kundschaft anzuziehen. Sind Sie zufrieden?
GÄRTNER: Gutachter sagen immer, es braucht Aufenthaltsqualität. Aber wenn Sie mal die Kunden fragen, warum sie kommen, dann sagen die meisten: zum Einkaufen, aus kulturellen Gründen oder wegen eines Arztbesuchs. Aber keiner wird sagen: Weil ich mich gerne auf die Maxstraße setzen will oder weil es in der Innenstadt so schön grün ist. Der Denkfehler aktuell ist, dass man aus einem Funktionsbereich, und das ist die Innenstadt, eine Ruhezone machen will. Das ist weniger der Fehler der Stadtspitze oder der Stadträte, sondern das wird ihnen von Gutachtern eingetrichtert. Es muss eine Symbiose geben aus allen Angeboten. Wenn das dann auch noch angenehm ist, dann ist das ein Zusatznutzen.
Um konkret zu fragen: Was halten Sie dann von der Neugestaltung der Maxstraße zur Flaniermeile und dem Fugger-Boulevard?
MAYER: Wir brauchen keinen Fugger Boulevard, dazu noch eine Maxstraße als Flaniermeile und auch noch eine Fußgängerzone. So viele Geschäfte gibt es gar nicht. Wir bräuchten dann Millionen von Besuchern, die wir in Augsburg nicht bekommen werden. Das macht die Struktur kaputt. Sie haben dann hier ein attraktives Geschäft und auf der anderen Seite eines, das ist gar nicht mehr erlaufbar. Die Konsumenten brauchen einen logisch zu erlaufenden Bereich. Auch die Karolinenstraße muss aus meiner Sicht daher keine Fußgängerzone werden.
GÄRTNER: Was bei all dem nie geprüft wird, ist die ökonomische Wirkung. Wir sind da getrieben und sagen, wir brauchen mehr davon, wir brauchen dies, wir brauchen das. Aber wer hinterfragt denn, welchen Vorteil das für die Stadt ökonomisch hat?
Sie haben sich in der Vergangenheit kritisch dazu geäußert, dass das Auto zurückgedrängt werde. Aber mal ehrlich: So viel ist da bisher gar nicht passiert und erreichbar bleibt die Stadt doch weiterhin.
MAYER: Es geht schon auch um das psychologische Signal, das gesendet wird. Wenn Leute aus dem Umland kommen sollen und einen Anzug oder Geschirr kaufen wollen, dann müssen sie das bequem abtransportieren können. Und an Rückmeldungen von der Umlandkundschaft kommt eben nun einmal: Augsburg ist autofeindlich und will keine Autofahrer haben. Nicht umsonst baut sich um Augsburg herum ein Gürtel an Geschäftsflächen auf, wo Sie mit dem Auto vor die Tür fahren können. Die Leute sind so, fertig. Wir werden die Menschen nicht erziehen, sondern die meiden dann eben die Innenstadt. Das größte Problem ist für mich, dass man die Innenstadt nicht als Stadtteil sehen darf. Sie hat eine zentrale Versorgungsfunktion. Dazu gehören Handel, Gastro, Ärzte, Verwaltung, Anwälte. Da muss ich auch ein anderes Erreichbarkeitsdenken haben. Es ist nicht die alleinige politische Aufgabe, Autos aus der Stadt auszusperren. Aber dieses Gefühl hat man derzeit. Aber ich muss differenzierter schauen. Wir sehen mit dem 9-Euro-Ticket, dass der ÖPNV angenommen wird. Die Leute kommen aus dem Umland. Die Frage ist: Wie mache ich den ÖPNV attraktiver? Indem ich ihn selbst attraktiver mache oder alles andere schlechter? Im Moment macht man alles andere schlechter. Wir als Handel sind nicht Auto getrieben, wir wollen unabhängig vom Verkehrsmittel gut, bequem und günstig erreichbar sein. Wir müssen für alle ein Angebot schaffen.
Was würden Sie sich bezüglich der Gestaltung der Innenstadt dann wünschen?
MAYER: Ich kenne viele Gäste aus dem Ausland, die sagen, ihr habt so eine tolle Stadt, warum kennt man die nicht. Ich müsste antworten, weil wir keine Menschen mit Visionen haben? Anstatt stolz auf unsere wunderbare Stadt zu sein, wird alles zerredet und klein gemacht. Dabei sind wir Welterbe, haben so eine tolle Geschichte, das müssten wir vermarkten, damit Kasse machen. Dann könnten wir uns auch wieder ein Römisches Museum leisten. Wir könnten aus der Stadt so viel machen, wenn wir eine Vision hätten.
Zur Person
Ulrich Mayer ist Vorsitzender des Einzelhandelsverbands, ist im Innenstadt-Gewerbebeirat aktiv und Inhaber des Tabak- und Spirituosen-Fachgeschäfts No.7 in der Steingasse. Andreas Gärtner ist Geschäftsführer des Schwäbischen Einzelhandelsverbands.