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Interview: Augsburgs OB Eva Weber: „Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit“

Interview

Augsburgs OB Eva Weber: „Wohlstand ist keine Selbstverständlichkeit“

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    Eva Weber ist seit 2020 – also seit dem ersten Pandemie-Jahr – Oberbürgermeisterin von Augsburg.
    Eva Weber ist seit 2020 – also seit dem ersten Pandemie-Jahr – Oberbürgermeisterin von Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Frau Weber, Sie haben vor Kurzem in den Sozialen Medien ein Foto gepostet, auf dem Sie am Heizregler drehen. Ist die Temperatur in Ihrem Büro schon niedriger als vergangenen Winter?
    EVA WEBER: Es ist nicht nur hier kühler, sondern überall in der Verwaltung. Auch bei mir daheim ist es kühler. Ich versuche, meiner Vorbildfunktion, die ich ja habe, gerecht zu werden. Insofern ist dieses Foto aus den Sozialen Medien auch kein Marketing-Mätzchen gewesen – ich meine das wirklich ernst.

    Augsburg hat im Sommer als eine der ersten Städte ein Energiesparpaket aufgelegtHeizung, Luftfilter, Sanierung: So soll an Schulen Energie gespart werden
    WEBER: Definitiv werden wir das erst wissen, wenn wir nächstes Jahr die Abrechnung bekommen. Dann wissen wir, wie viele Kilowattstunden wir verbraucht haben. Es gibt aber natürlich einige wichtige Kernpunkte und Kennzahlen, die man jetzt schon nennen kann: Etwa, dass die größten Energiefresser die Hallenbäder sind. Oder dass man, wenn man die Temperatur in Räumlichkeiten um ein Grad senkt, sechs Prozent der Energiekosten einspart. Was mir im Sommer wichtig war: Durch eine frühzeitige Kommunikation die Augsburgerinnen und Augsburger auf diesen Weg mitzunehmen. Mir war bewusst, dass wir keinen Blumenstrauß gewinnen, wenn wir im Herbst die Sauna im Alten Stadtbad nicht mehr anmachen – aber man muss wissen, dass der Energieverbrauch so einer Sauna dem entspricht, was 82 Zwei-Personen-Haushalte in einem Jahr verbrauchen. Das ist wirklich viel.

    Wie balancieren Sie das aus: Einsparen, ohne Dinge kaputtzusparen?
    WEBER: Ich glaube, dafür braucht man ein gutes Gespür für diese Stadt. Wir müssen nicht nur wegen unserer Vorbildfunktion sparen, sondern müssen die Kosten auch mit Blick auf den städtischen Haushalt im Griff haben. Die Stadtwerke haben uns im Sommer vorgerechnet, dass zwölf Millionen Euro Mehrkosten auf uns zukommen könnten – damit kann man in einer Stadt viel machen. Ich glaube aber, dass wir nach der Zeit, die wir jetzt mit Corona und dem Kriegsausbruch hinter uns haben, schon auch aufpassen müssen, dass wir uns trotzdem als Gesellschaft etwas Gutes tun. Beim Thema Weihnachtsbeleuchtung etwa war für mich relativ schnell klar, dass wir die Beleuchtung nicht weglassen, sondern dass das wichtig ist, gerade jetzt in der dunkleren Jahreszeit. Aber natürlich muss man die Beleuchtung nicht die ganze Nacht anlassen. Die schalten wir dann aus – bis auf den Christbaum auf dem Rathausplatz.

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    Sie haben über Psychologie gesprochen, gleichzeitig sind die Einsparmöglichkeiten begrenzt. Was wird wichtiger sein?
    WEBER: Beides. Wir müssen uns unterhaken, damit wir gemeinsam durch diese Zeit kommen. Insofern müssen wir zum einen schauen, wie wir die Kosten in den Griff kriegen. Aber zum anderen, und das ist mir wahnsinnig wichtig, geht es auch darum: Wie können wir unsere Bürgerinnen und Bürger unterstützen? Natürlich gibt es da die Hilfspakete von Land und Bund. Aber es geht auch darum, dass wir die Haushalte, die in den unteren Einkommensschichten sind, aber über der Grenze für staatliche Unterstützung liegen, nicht alleine lassen. Da gibt es nicht nur die Beratungsangebote von Stadt und Stadtwerken, sondern auch bewährte und neu aufgesetzte Unterstützungsangebote unserer Sozialverwaltung. Die Anfragen gehen jetzt auch langsam nach oben, und es werden in den kommenden Monaten sicher mehr werden.

    Wo werden wir im Frühjahr stehen?
    WEBER: Wir können erst Bilanz ziehen, wenn der Winter vorbei ist. Und gerade aus der Corona-Pandemie haben wir alle doch gelernt, dass es Dinge gibt, die man nicht vorhersagen kann. Aber ich denke, dass es leider viele Menschen geben wird, die massiv unter dieser Krise leiden werden. Und dass das ein Punkt ist, an dem wir uns als Demokratie werden messen lassen müssen – nämlich daran, wie wir die Schwächsten unterstützt haben.

    Auch Corona ist noch ein Thema – aber eher in der zweiten Reihe. Wird das inzwischen unterschätzt?
    WEBER: Ich glaube tatsächlich, dass das Thema Corona unterschätzt wird. Nämlich vor allem bei der Frage, wie die Langzeitwirkungen sein werden. Angefangen bei der Aufarbeitung der Krise, was gut lief und was nicht, bis hin zur Frage, was die Pandemie mit den Menschen gemacht hat. Es gibt viele unterschiedliche Belastungen, die die Menschen in den vergangenen Jahren ertragen mussten. Uns wird in den nächsten Jahren noch vieles begegnen, womit wir als Gesellschaft umgehen müssen.

    In Bayern wurde die Isolationspflicht aufgehobenEnde der
    WEBER: Man muss Entscheidungen anhand der jetzigen Situation und anhand der jetzigen Erkenntnisstände treffen. Die Entscheidung, die Isolationspflicht aufzuheben, ist wohl deswegen so getroffen worden, weil viele Expertinnen und Experten mittlerweile eine endemische Lage feststellen. Es ist wichtig, die Dinge für eine Bewertung so zu betrachten, wie sie jetzt gerade sind – und nicht daran zu messen, was eventuell passieren könnte. Sollte es wirklich eine neue Variante geben und sollten die Klinken wieder stärker ausgelastet sein, muss man sicher neu oder anders entscheiden.

    Wie bewerten Sie den Wandel des Ministerpräsidenten? Ihr Parteikollege Markus Söder spielte am Anfang der Pandemie im „Team Vorsicht“ – mittlerweile hat er die Mannschaft scheinbar gewechselt ...
    WEBER: Hätten Sie sich zu Beginn der Pandemie einen Ministerpräsidenten gewünscht, der im „Team Risiko“ spielt? Ich nicht. Wir hatten damals keinen Impfstoff, keine Medikamente, wir wussten nicht, was dieses Virus macht. Aber jetzt ist vieles anders. Und die Politik muss im Rahmen der Verhältnismäßigkeiten entscheiden, welche Freiräume zurückgegeben werden müssen. Für mich war immer klar, dass wir irgendwann in die Normalität zurückfinden müssen. Aufgrund der fachlichen Einschätzung, dass jetzt eine endemische Lage und keine Pandemie mehr vorliegt, glaube ich, dass die Entscheidungen, wie sie jetzt getroffen wurden, gut sind.

    Finden Sie es richtig, dass die Länder solche Dinge allein entscheiden können? Oder verunsichert dieser Flickenteppich?
    WEBER: Als Vorstandsmitglied im Bayerischen und im Deutschen Städtetag vertrete ich seit zweieinhalb Jahren die Auffassung, dass dieser Flickenteppich eine Katastrophe ist. Wir hätten uns auf der kommunalen Ebene einheitliche Regelungen sehr gewünscht. Als Städtetage hatten wir immer das Gefühl, dass Beschlüsse von den Bürgerinnen und Bürgern immer am besten akzeptiert wurden, wenn sich der Bund und die Ministerpräsidenten auf eine einheitliche Linie verständig haben. Flickenteppich-Regelungen haben nie gut funktioniert. Der Bundestag hätte es in der Hand gehabt, diesem Flickenteppich ein Ende zu setzen. Er hat es nicht getan.

    In der Pandemie gab es Corona-Demos – und jetzt gibt es Demos gegen die hohen Energiepreise. Fliegt die Gesellschaft auseinander?Wer sind die knapp 400 Menschen, die in Augsburg noch immer protestieren?"Wutwinter"
    WEBER: Krisen sind für die Gesellschaft natürlich eine besondere Herausforderung. Gleichzeitig sind diese Demonstrationen nicht nur das gute Recht der Bürgerinnen und Bürger, sondern sie zeigen auch, dass unsere Demokratie funktioniert. Das Wichtige ist, dass wir Politikerinnen und Politiker diesen Diskurs, der dort stattfindet, nicht den Extremen überlassen. Dass wir denen, die platte Lösungen präsentieren, keinen Raum geben. Das macht die AfD ganz gerne. Aber die Menschen sind ja nicht blöd. Die merken genau, wer ihnen was vormacht und wer in schwierigen Zeiten Verantwortung übernimmt, Lösungen erarbeitet und nicht nur mit Parolen um sich schmeißt. Deswegen glaube ich nicht, dass die Gesellschaft auseinanderfliegt. Sondern, dass sie auf lange Sicht gestärkt aus den Krisen herausgeht.

    Wie geht denn die Politik da heraus? Momentan sind Sie vor allem damit beschäftigt, Brände zu löschen.
    WEBER: Dass wir kaum Gestaltungsspielraum haben, dem möchte ich widersprechen. Klar, wir hatten und haben schwierige Zeiten. Aber wir sind nicht ausschließlich im Bewältigungs- und Verteidigungsmodus. Wir haben auch in den vergangenen Jahren schon Dinge bewegt. Vielleicht muss man einfach wieder ein bisschen mehr darüber reden, was sich gerade tut und was funktioniert. Viele Projekte werden ja trotz Krisen umgesetzt. Schulsanierungen gehören dazu, Kinderbetreuung, Klimaschutz. Viele Themen werden nach vorne getrieben.

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    Das hört sich sehr nach Normalität an. Sie mussten in der Pandemie Ämterdienstleistungen einschränken, um Personal fürs Gesundheitsamt zu gewinnen. Ihr Kämmerer sprach jetzt bei der Etat-Aufstellung von sich überlagernden Krisen ...
    WEBER: Nein, Normalität herrscht nicht. Es ist nicht einfach. Wir haben einen riesigen Batzen abzuarbeiten, etwa auch im Sozialhaushalt. Aber ich habe fest im Blick, die Stadt gut durch diese Zeit zu steuern. Und da gibt es viele Punkte, die wir trotzdem anpacken. Wir müssen die Stadt in allen Bereichen weiterentwickeln.

    Wie gut fühlen Sie sich denn als Kommune vom Staat unterstützt?
    WEBER: In solchen Krisen zeigt sich, ob das System funktioniert. Und es ist schon so, dass man als Kommune am Ende der Nahrungskette manchmal ziemlich fassungslos den Kopf schüttelt. Beispiel Wohngeld: Die Maßnahme, den Bezieherkreis zu erweitern, um Haushalte zu unterstützen, ist ja richtig. Für uns in Augsburg bedeutet die Entscheidung der Bundesregierung aber auch, dass wir ab 1. Januar 30 neue Stellen schaffen müssen. Das Geld ist dafür nicht eingeplant und – das ist viel entscheidender – es gibt angesichts des Fachkräftemangels auch kein Personal. Die Ampel in Berlin hätte die Chance gehabt, den Prozess zu entbürokratisieren. Jetzt werden wahrscheinlich im Januar die ersten darauf warten, dass sie das Geld bekommen. Und wir werden über Personalabordnungen aus anderen Ämtern den Bedarf halbwegs decken. Die Liste solcher Beispiele ist beliebig erweiterbar.

    Sie sprachen vorhin das Thema Klimaschutz an. Das Klimacamp hat bayernweit Berühmtheit erlangt. Hat man sich zu einer Co-Existenz durchgerungen?
    WEBER: Es gibt hier nicht die eine, die richtige Meinung. Wir haben die Rechtslage und zwei Urteile, die sagen: Die Aktivisten dürfen bleiben. Und diese Urteile gilt es auch zu akzeptieren. Ich persönlich glaube, dass die Aktivisten zwar das Richtige wollen – aber mit den falschen Mitteln. Wir diskutieren ja nicht darüber, welche Maßnahmen die richtigen sind, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten und den Klimaschutz nach vorne zu bringen, sondern ganz oft darüber, ob das Camp schön ist oder nicht und ob es an der richtigen Stelle steht. Damit erweist das Camp der Sache einen Bärendienst. Genau das gleiche gilt übrigens, wenn Kartoffelbrei auf Kunstwerken landetKartoffelbrei-Attacke auf Monet-Bild: Was treibt "Letzte Generation an"?Kunst. Jeder redet dann darüber, aber nicht über das eigentliche Problem.

    Sie kennen als Stadtoberhaupt fast nur Krise. Was haben Sie da gelernt?
    WEBER: Gelernt habe ich vor allem, dass Wohlstand und Sicherheit keine Selbstverständlichkeiten sind. Und dass wir jeden Tag dafür arbeiten müssen, unsere Demokratie mit aller Kraft zu schützen.

    Zur Person

    Eva Weber, 45, ist im Allgäu aufgewachsen und seit 2020 Augsburger Oberbürgermeisterin. Die CSU-Politikerin ist Vorstandsmitglied im Bayerischen und Deutschen Städtetag.

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