Über seine Sorgen und die vielen schlaflosen Nächte will Ulrich Seitz nicht sprechen. Er ist ein Mensch, der nach vorn schaut, das Positive sieht. Sonst hätte der Augsburger vor zehn Jahren wohl auch nicht das große Haus in der Altstadt im Vorderen Lech mit der Hausnummer 13 gekauft. Denn da wusste Seitz schon, dass das rund 500 Jahre alte Gerberhaus, das an den Holbeinplatz angrenzt, eines Tages saniert werden muss. Doch was tatsächlich auf ihn zukam, lag sicherlich jenseits seiner Vorstellungskraft. Der 73-jährige begleitet seit über zwei Jahren nahezu jeden Tag die Arbeiten auf der Baustelle. Er investiert in das Objekt nicht nur ein finanzielles Vermögen, sondern vor allem viel Herzblut. Seitz erzählt, was er mit dem Haus plant.
Der Holbeinplatz ist das Herz der Altstadt und bei Einheimischen und Touristen beliebt. Bänke unter Bäumen laden zum Verweilen ein, in der Mitte plätschert ein Trinkbrunnen, beim Café Ertl holen sich die Menschen Kuchen und Eis. Allerdings war ein Teil des idyllischen Platzes in den letzten beiden Jahren mit der Baustelleneinrichtung für das denkmalgeschützte Handwerkerhaus, das wohl aus dem Jahr 1557 stammt, belegt. Das mehrstöckige Eckhaus, in dem sich ein Optikergeschäft befand, wies enorme statische Probleme auf. Lange Risse zogen sich durch Wände und Mauern, die Giebelfassade neigte sich bereits um 15 Zentimeter nach außen.
Augsburger Hausbesitzer über Sanierung: "Die Statik war am Ende"
Seit Jahren hatten Statiker das Gebäude schon im Blick. "Doch nun war die Statik am Ende", bringt es Hausbesitzer Ulrich Seitz auf den Punkt. Schuld ist der Untergrund, der schon einigen Gebäuden im Lechviertel Probleme bereitet hat. Unter der Altstadt befindet sich eine Wasserwechselzone, die für Grundwasserschwankungen sorgt. Viele Häuser gründen auf Auffüllungen und nicht auf gewachsenem Boden. Manche Gebäude sind sogar, wie in Venedig, auf Holzpfähle gebaut. Was für viele andere Hausbesitzer ein schierer Albtraum wäre, sieht Ulrich Seitz als eine Art Lebensaufgabe. Er, der früher auch Biedermeier-Möbel gesammelt hat, hegt eine Leidenschaft für Historie. Das wird spätestens im obersten Geschoss des Hauses klar, wo Seitz den Dachstuhl präsentiert, als sei dieser ein ungewöhnlicher Schatz.
Ulrich Seitz streicht mit seinen Händen über die freiliegenden Holzbalken. "Das ist ein liegender Dachstuhl, er ist sehr selten." Es gibt wohl kaum etwas, das Seitz nicht über das alte Handwerkerhaus herausgefunden hat. Bei der Sanierung orientiert er sich auch an alten Stichen, die es von dem Haus gibt. Nur so stößt er auf zwei Fensterstürze, die zugemauert waren und nun wieder freigelegt wurden. Und dann der Dachstuhl. Der sei vor hunderten Jahren auf einer Wiese im Allgäu zusammengebaut, mit Handwerkerzeichen versehen, wieder in Einzelteile zerlegt und dann über den Lech nach Augsburg geflößt worden. Er deutet auf die eingekerbten Zeichen im Holz.
"So wusste man, wie der Dachstuhl wieder aufgebaut werden musste." Was Seitz noch herausfand: Im 18./19. Jahrhundert muss es im Haus gebrannt haben. "Die Dachbalken waren kohlrabenschwarz. Ich schrieb Firmen an, ob sie die Balken davon freimachen können." Keine Chance. Entweder hieß es, man habe zu wenig Mitarbeiter, oder man mache solche speziellen Arbeiten nicht. Gemeinsam mit einem Freund schaffte der 73-Jährige also 600 Kilogramm Trockeneis über die schmalen Treppen bis unter den Giebel, um damit nach und nach das Schwarze von den Balken abzuziehen. "Das sind die Freuden eines Bauherren", meint Seitz und lacht. Es ist ein ehrliches Lachen, kein zynisches - trotz vieler Widrigkeiten.
Zusammen mit dem Statiker, dem Architekten und den Handwerkern habe man jedoch sämtliche Problem lösen können. Seitz lobt das Team über den grünen Klee. "Bei so einer Sanierung braucht man auch Schreiner und Maurer, die etwas im Kopf haben", sagt er. "Wenn Handwerker immer weniger werden, bekommen wir alle mal ein echtes Problem." Er betont die gute Zusammenarbeit mit dem städtischen Denkmalschutz, auch wenn es mitunter Konfrontationen gab. "Aber letztendlich schlug die Statik den Denkmalschutz." Apropos Statik. Mit einer Art Stethoskop habe ein Gutachter untersucht, wo unter dem Haus der tragfähige Grund anfange. Heraus kam: erst bei sechs bis sieben Metern in der Tiefe. Mit über zehn Betonpfählen wurde das Gebäude aufwendig gesichert.
Sanierungen alter Häuser: Was den Augsburger antreibt
"Ich habe für jeden Verständnis, der nicht sanieren will. Denn finanziell rentiert es sich in keiner Weise", sagt der Mediziner im Ruhestand, der nicht nur privates Vermögen in die Arbeiten steckte, sondern auch einen Kredit aufgenommen hat. Über die Summe schweigt er sich aus. "Es mussten einige Sparschweine daran glauben." Und Nerven. Und Zeit. Ohne seine Familie im Hintergrund, hätte er das nicht durchziehen können, meint er. Was ihn, der bereits drei andere historische Häuser sanieren ließ, eigentlich antreibe? Seitz muss nicht lange nachdenken. Es seien zwei Dinge, so der Augsburger.
Er mache das für die Familie, insbesondere für seine beiden Söhne, die das historische Erbe weiter pflegen und fortsetzen würden. Er mache das aber auch für die Gesellschaft. "So ein Eckhaus zu retten, ist ein politisches Statement des Bürgertums." Seitz will mit der Sanierung auch die Augsburgerinnen und Augsburger erfreuen. Denn im Erdgeschoß, dessen Fenster und Türen mit edlem Holz eingerahmt sind, wird einer seiner Söhne mit einem Freund aus einer namhaften Gastronomie, wie er sagt, ein Bistro eröffnen. Laut Seitz soll es ein niveauvolles Bistro werden, das sich in die Idylle des Holbeinplatzes einfüge und ruhig bespielt werde. Er geht davon aus, dass es im Frühjahr oder Sommer nächsten Jahres eröffnet werden kann. Seitz strahlt, wie so oft, wenn er über das Gerberhaus spricht. Es scheint, er kann es kaum erwarten.