Es war einmal eine Zeit, in der man an immerwährendes Wachstum und unaufhaltsamen Fortschritt glaubte, in der man sich ohne Skrupel des erreichten Wohlstands freute und noch nichts von Globalisierung und deren verstörenden Auswirkungen wusste. In dieser Zeit – wir reden von den 1960er und 70er Jahren – änderten sich Städte rasant, wurden sie für Autoverkehr, Industrie und Handel umgebaut. Auch Augsburg strebte nach einer neuen Urbanität, wollte im Gleichschritt mit dem Wirtschaftsboom eine moderne Stadt sein. Also wurde viel gebaut, keineswegs bescheiden, sondern groß, raumgreifend, wuchtig, wie es dem neuen Selbstbewusstsein entsprach. Der Baustoff der Wahl war in dieser Zeit Beton, mit dem sich große Flächen und Volumina schnell realisieren ließen.
Die zahlreichen Bauwerke, die zwischen 1960 und 1980 in Augsburg entstanden, präsentiert jetzt eine Ausstellung im Architekturmuseum Schwaben unter dem Titel „Blickpunkt Moderne“. Die Schau entstand in Kooperation des Museums mit dem Baugeschichtler Olaf Gisbertz (TU Braunschweig) und dem Kunsthistoriker Jörg Stabenow (heute FH Dortmund, früher Uni Augsburg) sowie dessen Studenten. Fotos unterschiedlicher Fotografen (unter anderem Petra Eisinger und Heinz Egner, dazu aktuelle Aufnahmen von Museumsmitarbeitern) sowie erläuternde Texte entfalten ein dichtes Panorama der modernen Baukunst und erinnern an intensive Auseinandersetzungen in der Stadt.
Beides hängt eng zusammen: die Modernität der Architektursprache und der Streit darüber. Die alte Stadt Augsburg zu modernisieren, dafür hatte der Nachkriegs-Stadtbaurat Walther Schmidt seit Beginn der Fünfzigerjahre gekämpft. Dagegen gab es immer wieder Proteste, die heftiger wurden. Die Stadtplaner gingen aber auch brachial vor und zerstörten für die Modernisierung nicht wenige Altbauten, die den Bürgern lieb und teuer waren: Für das Kaufhaus Neckermann riss man das alte Stetteninstitut ab, für den neuen Kaiserhof das neobarocke Hotel gleichen Namens aus dem 19. Jahrhundert, für die Kongresshalle den beliebten Ludwigsbau. Wen wundert’s, dass die Neubauten erst einmal Hassbauten waren und noch für lange Zeit einen schlechten Ruf hatten, zumal sie sich auch noch alles andere als zurückhaltend gaben, sondern als kolossale Kerle im städtischen Bauensemble reichlich präpotent dastanden. Der Kaiserhof 2000 etwa, den der Baulöwe Otto Schnitzenbaumer 1971 bis 73 nach dem Vorbild der Münchner „Citta 2000“ errichtete, dominiert mit seiner Größe, den zehn Stockwerken Höhe, bis heute den Königsplatz.
Gleichwohl ist der Koloss mit seiner Fassade aus Sichtbeton und dunklem Glas, die die Augsburger Architekten Brockel + Müller entwarfen, nüchtern und sachlich gestaltet. Überhaupt zeichnen sich die Augsburger Bauten der Boom-Moderne durch anständige, wenn nicht hin und wieder sogar großartige Architektur aus, wie die Macher der Ausstellung zu Recht betonen. Dass einige Gebäude mittlerweile unter Denkmalschutz stehen, ist richtig.
Allen voran steht da die Kongresshalle von Max Speidel (1965 bis 72) mit ihren offenen, fließenden Räumen und der sensiblen Einbettung in den Wittelsbacher Park. Aber auch Kirchen wie St. Simpert (1973/74 von Knopp und Kreutzer), bei der das Dach nach dem Vorbild von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie in Berlin gebildet ist, und St. Thomas mit den bewegten Kanten (1961 von O.A.Gulbransson) beeindrucken bis heute. Die Königsbrunner Kirche zur göttlichen Vorsehung (1968 bis 70 von Justus Dahinden) ist mit ihrer skulpturalen Ausformung ein außergewöhnliches Bauwerk.
Schulen wie die Bebo-Wager-Berufsschule (1965 bis 67 von Wichtendahl und Moll) wurden als weiträumige Anlagen konzipiert, die nichts mehr mit dem alten kasernenartigen Schulbau zu tun hatten. Auch die Olympischen Spiele 1972 wirkten in die Augsburger Bauwelt hinein: die Kanustrecke mit ihren Bauten von Brockel + Müller ist eine einladende Anlage, gebaut für das Freizeitverhalten einer offenen Gesellschaft. Den Rang einer Ikone nimmt der ebenfalls für die Olympiade errichtete Hotelturm ein, 1970 bis 72 wiederum von Brockel + Müller nach dem Vorbild der Twin Towers in Chicago erbaut. Auch die Sporthalle im Wittelsbacherpark (1962 bis 65 von Hugo Gall) mit ihrem aufregenden Hängedach ist eine Architektur-Preziose.
Zwiespältige, wenn nicht ablehnende Gefühle erzeugen bis heute die Wohnanlagen gewaltigen Ausmaßes, die in den 60er und 70er Jahren entstanden – Schnitzenbaumer-Park (1965 von Ludwig Riegg), Schwabencenter (1968 bis 71 von der Architektengruppe 4) oder der „Skischuh“ genannte Wohnturm in Lechhausen (1974 von Pröll und E.C.Müller). In ihnen sind die zeittypischen Ideen der Verdichtung und der Trennung städtischer Funktionen fast zu weit getrieben.
Unter den zwei Dutzend Objekten, die die sehenswerte Ausstellung vorstellt, sticht eines besonders heraus – und fällt auch aus dem Rahmen: die Pädagogische Hochschule an der Schillstraße (1958 bis 62 von Hauenstein, Herdegen, Recknagel) hat noch nicht die Wucht und Massigkeit der wenig später erbauten Beton-Kolosse, sondern ist ein vornehm hingelagertes Ensemble mit schlanken Gebäudeprofilen und wunderbar ausgearbeitetem Sichtmauerwerk. In diesem Bauwerk zeigt sich noch die Sprache der Bauhaus-Moderne; sein Denkmalwert ist unbestritten.
Blickpunkt Moderne. Architektur in Augsburg 1960–1980. Im Architekturmuseum Schwaben, Thelottstr. 11, bis 3. April 2016, geöffnet Donnerstag bis Sonntag 14–18 Uhr.