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Augsburg: Zehn Jahre im Flüchtlingsheim: Familie Rezai findet keine Wohnung

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Zehn Jahre im Flüchtlingsheim: Familie Rezai findet keine Wohnung

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    In der Unterkunft in der Windprechtstraße leben derzeit 165 Menschen. Fehlende Rückzugsräume und mangelnde Privatspähre macht vielen Asylbewerbern auf Dauer zu schaffen.
    In der Unterkunft in der Windprechtstraße leben derzeit 165 Menschen. Fehlende Rückzugsräume und mangelnde Privatspähre macht vielen Asylbewerbern auf Dauer zu schaffen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Narges Rezai ist seit fast zehn Jahren in Deutschland. So lange lebt die 19-Jährige mit ihren Eltern und vier Geschwistern in einer Unterkunft in der Augsburger Windprechtstraße. Die afghanische Familie dürfte schon lange ausziehen, doch findet sie hier keine Wohnung, in der sieben Personen Platz finden und die für sie bezahlbar ist. Das zerrt an den Nerven der Familie, die sich Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten wünscht. Das behindere auch ihre Entwicklungs- und Integrationsmöglichkeiten, kritisieren Flüchtlingsexperten. Familie Rezai ist kein Einzelfall. Viele Menschen, die in den Augsburger Gemeinschaftsunterkünften und Übergangswohnheimen wohnen, müssten es nicht. Das setzt Stadt und Regierung von Schwaben unter Druck – zumal die Zahl der Flüchtlinge aktuell wieder hoch ist.

    Narges Rezai ist eine Kämpfernatur. Im fließenden Deutsch berichtet die 19-Jährige aus ihrem Alltag, wie sie neben ihrer Ausbildung zur Fachinformatikerin ihre Eltern und Geschwister unterstützt. Wie sie immer wieder neue Formulare ausfüllen muss, wie sie Eltern zu Ärzten und Behörden begleitet, um übersetzen zu können. Wie sie ihre Geschwister motiviert – und wie ihr manchmal neben ihrer Vollzeitausbildung einfach alles zu viel wird, um einen weiteren Antrag auszufüllen. Dann bekommt die jüngere Schwester womöglich keinen Zuschuss für den Schulausflug und die Familie muss das Geld selber dafür zusammenkratzen – doch irgendwann fehlt auch Narges Rezai die Kraft. Nicht nur dann würde sie sich einen Rückzugsraum wünschen, einen Ort, an dem sie Kraft tanken kann. Den gibt es nicht. Die Familie lebt in einer kleinen Wohnung in der Windprechtstraße. "In den drei Zimmern stehen überall Betten. Schreibtische und Stühle gibt es nicht, weil wir dafür keinen Platz haben. Deshalb machen wir auf dem Teppich unsere Hausaufgaben", schildert sie ihre Lebensumstände. "Ich bin sehr zielstrebig", sagt die 19-Jährige – doch auch ihre Stärke habe die Familie bei der Wohnungssuche nicht vorangebracht. Das frustriert sie – und viele andere Bewohnerinnen und Bewohner auch. 

    Geflüchtete würden unter der teils jahrelangen "Zwangsgemeinschaft" leiden

    In den Gemeinschaftsunterkünften der Regierung von Schwaben wohnen aktuell 1127 anerkannte beziehungsweise bleibeberechtigte Geflüchtete, darunter 268 ukrainische Kriegsflüchtlinge. "Diese sogenannten Fehlbeleger sind zum Auszug berechtigt und werden hierzu regelmäßig angehalten, finden jedoch aufgrund des angespannten Immobilienmarktes oftmals keine private Wohnung", teilt Regierungssprecher Karl-Heinz Meyer mit. Daneben könnten auch die schwabenweit 1052 Bewohner der Übergangswohnheime ausziehen, haben aber ebenso Probleme, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden. Simon Oschwald, Leiter des Fachbereichs Migration der Diakonie Augsburg, deren Mitarbeiter unter anderem die Flüchtlinge in der Windprechtstraße beraten, weiß, wie viele unter dem Leben in dieser teils jahrelangen "Zwangsgemeinschaft" litten. "Das hat natürlich Auswirkungen auf den Bildungserfolg der Kinder", sagt er. In einem neuen Land von vorn anzufangen, sich zurechtzufinden, die Sprache zu lernen, einen Schulabschluss zu meistern oder einen Beruf zu ergreifen – das koste schließlich viel Energie. Und die müsse unter diesen Voraussetzungen erst mal aufgebracht werden. 

    Abdullah Zafari, 19, und Storai Mirzada, 34, wohnen ebenfalls in der Einrichtung in der Windprechtstraße. Zum Lernen ziehen sie sich oft in die Stadtbücherei oder in die Räume des Augsburger Vereins Tür an Tür zurück, um genügend Platz und Ruhe zu finden. Storai Mirzada kam als afghanische Ortskraft vor über einem Jahr nach Augsburg. Auch für diese Personengruppe gestaltet sich die Wohnungssuche schwierig. "Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 haben wir insgesamt 255 afghanische Ortskräfte beziehungsweise deren Familienmitglieder in unseren Augsburger Übergangswohnheimen aufgenommen. 213 von ihnen sind dort auch aktuell noch untergebracht", berichtet Karl-Heinz Meyer. 

    Die Regierung von Schwaben sei ständig auf der Suche nach neuen Objekten

    Die seit über einem Jahr steigenden Flüchtlingszahlen machen sich auch in den Unterkünften der Region bemerkbar. "Derzeit sind in unseren Gemeinschaftsunterkünften und Übergangswohnheimen insgesamt 4368 Geflüchtete untergebracht. Im Juni 2022 waren es noch 3814 Geflüchtete", sagt Meyer. In den Augsburger Einrichtungen leben derzeit 1926 Menschen. Im selben Zeitraum habe die Regierung von Schwaben auch ihre Kapazitäten entsprechend erhöhen können, deshalb habe die Belegungsdichte in den einzelnen Einrichtungen "(noch) nicht" erhöht werden müssen. Die Regierung sei ständig auf der Suche nach geeigneten Objekten, die sie anmieten könne.

    Matthias Schopf-Emrich vom Verein Tür an Tür, der sich seit Jahrzehnten im Bereich Flucht und Asyl engagiert, will die Situation für Geflüchtete verbessern, die teils seit Jahren in staatlichen und kommunalen Unterkünften leben. Er setzt sich dafür ein, dass nach einer Erstunterbringungsphase, die auf maximal 18 Monate begrenzt ist, im nächsten Schritt eine bessere Unterbringung erfolgt, nachdem für viele Geflüchtete der Schritt in eine private Wohnung schier unmöglich ist. "Man muss den Menschen eine Perspektive geben", sagt er. 

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