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Augsburg: Wege aus der Drogensucht: Warum ein Mediziner als Substitutionsarzt arbeitet

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Wege aus der Drogensucht: Warum ein Mediziner als Substitutionsarzt arbeitet

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    Michael Rink betreibt am Oberhauser Bahnhof die größte Praxis für Substitutionstherapie in Augsburg. 240 Patienten werden hier mit Drogenersatzstoffen wie Methadon versorgt.
    Michael Rink betreibt am Oberhauser Bahnhof die größte Praxis für Substitutionstherapie in Augsburg. 240 Patienten werden hier mit Drogenersatzstoffen wie Methadon versorgt. Foto: Silvio Wyszengrad

    Dass Thomas L. (Name geändert) in einer speziellen Therapie ist, wissen nicht viele Menschen. Der Augsburger lebt heute ein bürgerliches Leben, er hat einen Job, eine feste Beziehung, eine Wohnung. Das war nicht immer so. Vor etwas über 20 Jahren sei er "in die Abhängigkeit gerutscht", wie er berichtet. Er war heroinsüchtig. Heute nimmt er die Droge nicht mehr. Thomas L. ist einer von wohl hunderten Menschen in der Stadt, die eine Substitutionstherapie bekommen, also mit Drogenersatzstoffen behandelt werden. An Ärzten, die diese Form der Behandlung anbieten, herrscht ein Mangel.

    Gerade in ländlichen Regionen gibt es manchmal überhaupt keine Mediziner, die suchtkranken Menschen Substitutionsmedikamente verschreiben. Manche scheuen den Aufwand, der damit verbunden ist; manche fürchten vielleicht auch, dass ihre anderen Patienten verprellt werden, wenn viele Drogenabhängige in die Praxis kommen. In Augsburg ist die Situation zumindest nicht dramatisch und der Mangel an Substitutionsangeboten nicht riesig, und das hat viel mit einer Praxis zu tun, die direkt am Oberhauser Bahnhof angesiedelt ist, einem der Treffpunkte der Süchtigenszene in der Stadt. Der Mediziner Michael Rink betreibt hier seit zehn Jahren eine Praxis, seit sechs Jahren bietet er Substitutionstherapien an. Inzwischen ist es eine Gemeinschaftspraxis, auch aufgrund der großen Nachfrage: Rink hat sich auf Schmerztherapie spezialisiert, seine Kollegin Cordula Tiltscher ist Psychotherapeutin, Jürgen Geppert Allgemeinmediziner und klassischer Hausarzt. Man ergänze sich gut, sagt Rink.

    Medizin in Augsburg: Wo suchtkranke Menschen therapiert werden

    Als er angefangen habe mit der Substitution, habe er schnell erkannt, wie groß der Bedarf sei, sagt er. Es seien schnell sehr viel mehr Patienten geworden, die zu ihm in die Praxis wollten. Er könne nachvollziehen, sagt Rink, wenn einzelne Kollegen die Arbeit mit suchtkranken Menschen abschrecke. Rink selbst empfindet die Arbeit mit Süchtigen als erfüllend. Er habe keinerlei Probleme und erlebe von den Patienten im Gegenzug eine große Dankbarkeit, sagt der 54-Jährige. Es sei auch etwas Besonderes, mit vielen Patientinnen und Patienten täglich in Kontakt zu kommen, das schaffe schon einen besonderen Zugang zu den Menschen und auch einen entspannten Umgang mit ihnen.

    Inzwischen ist die Praxis aufgrund der großen Nachfrage eine Gemeinschaftspraxis geworden. Psychotherapeutin  Cordula Tiltscher ist dort ebenfalls tätig.
    Inzwischen ist die Praxis aufgrund der großen Nachfrage eine Gemeinschaftspraxis geworden. Psychotherapeutin Cordula Tiltscher ist dort ebenfalls tätig. Foto: Silvio Wyszengrad

    Grundsätzlich funktioniert eine Therapie mit Drogenersatzstoffen folgendermaßen: Die illegale Droge, die Suchtkranke konsumieren, etwa Heroin, wird durch ein ärztlich verschriebenes Opioid substituiert, also ersetzt, zum Beispiel durch Methadon. Das Ziel: Die Patienten zu stabilisieren, ihnen zu ermöglichen, wieder in ein geregeltes Leben zu führen und in ein Arbeitsverhältnis zu kommen – und ihr "Überleben zu sichern", sagt Michael Rink. Voraussetzung für eine solche Therapie ist, dass die suchtkranken Menschen keine anderen Drogen nehmen, also keinen sogenannten Beikonsum haben. Um das zu kontrollieren, müssen die Patienten regelmäßige Urinproben unter ärztlicher Aufsicht abgeben, auch das ein Bestandteil der Arbeit, der viele Mediziner möglicherweise abschreckt. Im Idealfall wird die Menge des

    Bei vielen Abhängigen sorge die Substitution dafür, dass sie "zur Ruhe kommen und nicht mehr getrieben sind, Drogen zu konsumieren", sagt Uwe Schmidt, Leiter der Drogenhilfe Schwaben in Augsburg. Die Abhängigen kämen somit ins Hilfesystem und seien auch für weitere Behandlungen erreichbar, es gebe durch die kontrollierte Abgabe auch keine Gefahr der Überdosierung. Die Menschen gelangten durch die Substitution "raus aus der Illegalität", das sei ein großer Schritt, eine Unterbrechung der Abwärtsspirale.

    Viele Ärzte haben in Augsburg eine Genehmigung, nicht alle nutzen sie

    Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) gibt es in Augsburg derzeit 17 Mediziner, die eine Behandlung mit Drogenersatzstoffen anbieten können, wobei drei von ihnen eine sogenannte Konsiliargenehmigung haben und damit lediglich höchstens zehn Patienten mit Substitutionsmitteln behandeln dürfen. Gegenüber 2017 hat sich die Zahl der Ärzte mit Substitutionsgenehmigung also fast verdoppelt, damals waren es den Zahlen der KVB zufolge in Augsburg neun. Allerdings: Ob all diese Ärzte ihre Genehmigung entsprechend nutzen, ist damit nicht gesagt; viele tun es wohl nicht. Entspannt sei die Lage in der Stadt nicht, sagt Drogenhilfe-Leiter Uwe Schmidt. "Wer einen Substitutionsarzt hat, ist oft so froh, dass er ihn nicht mehr hergeben will." Und ohne die Praxis am Oberhauser Bahnhof "hätten wir wohl ein richtiges Problem".

    Gut 240 Patienten erhalten dort eine Substitutionstherapie, Michael Rink und seine Kollegen sind damit die niedergelassenen Ärzte mit den mit Abstand meisten Substitutionspatienten in Augsburg. Tatsächlich gehören zu der Praxis eigentlich zwei Standorte: einer in der Ulmer Straße, in der die Abgabe der Substitute erfolgt, einer in der Neuhäuser Straße, in der weniger Drogentherapie, sondern normaler Praxisalltag eines Schmerztherapeuten im Vordergrund steht.

    Für Thomas L., der bei Michael Rink Patient ist, war die Therapie mit einem Drogenersatzstoff der Beginn eines geregelten Lebens. Es habe ihm, sagt er heute, erstmals seit Jahren wieder Luft zum Atmen verschafft.

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