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Augsburg: Warum die Menschen im Univiertel ungern über ihre Herkunft sprechen

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Warum die Menschen im Univiertel ungern über ihre Herkunft sprechen

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    Das Univiertel in Augsburg von oben. Der Stadtteil wird oft als das "Russenviertel" bezeichnet. Dabei stammen die Menschen dort aus verschiedenen Ländern. Wir haben uns vor Ort umgeschaut.
    Das Univiertel in Augsburg von oben. Der Stadtteil wird oft als das "Russenviertel" bezeichnet. Dabei stammen die Menschen dort aus verschiedenen Ländern. Wir haben uns vor Ort umgeschaut. Foto: Ulrich Wagner

    Auf die Limonade, die in ihrem Einkaufswagen liegt, freut sich Nelli Leier besonders. Der Birne-Vanille-Geschmack der Brause erinnert sie an ihre Kindheit in Kasachstan. Wenn bei der Königsbrunnerin der nächste Einkauf ansteht, fährt sie oft ins Augsburger Univiertel. Denn der Supermarkt Mix Markt ist auf Lebensmittel aus Russland und anderen Ost-Ländern spezialisiert. Sachen, die Leier, die vor 30 Jahren nach Deutschland kam, noch von früher kennt. Viele Waren sind mit kyrillischer Schrift versehen. Es ist kein Zufall, dass sich die Supermarkt-Kette vor etlichen Jahren am Alten Postweg angesiedelt hat. Das Augsburger Univiertel ist dafür bekannt, dass hier viele Menschen mit russischem Hintergrund zu Hause sind. Ein Blick in das Viertel, in dem viele russischsprachige Nationalitäten zusammenleben - zu einer Zeit, in der der Krieg in der Ukraine die Menschen bewegt.

    "Haben Sie hier schon einmal Quark gekauft? Der ist viel geschmackvoller als der deutsche", erzählt eine Supermarkt-Kundin, die ihren gefüllten Einkaufswagen über den Parkplatz zum Auto schiebt. Sie kaufe gerne hier ein. "Ich arbeite bei einem Pflegedienst - wir haben viele russische Patienten, die wollen so etwas", sagt die Frau, die ihren Namen nicht preisgeben möchte. Sie will auch nicht verraten, aus welchem Land sie ursprünglich stammt. Seit dem Krieg, den Russland in der Ukraine führt, wird in Gesprächen über die Herkunft gerne ausgeklammert. Das Thema birgt für viele zu viel Zündstoff, als dass man darüber reden möchte. Wie schnell sich darüber ein Streit entzünden kann, hat erst vor ein paar Tagen ein Vorfall am Augsburger Königsplatz gezeigt.

    Augsburg: Im Univiertel spricht man in der Öffentlichkeit nicht über den Krieg

    Zwei Gruppen junger Menschen waren aneinandergeraten. Auslöser war der Krieg in der Ukraine. Bislang ermittelte die Polizei zwei Tatverdächtige mit ukrainischer Staatszugehörigkeit im Alter von 16 und 17 Jahren. Die Ermittlungen nach den weiteren Tatbeteiligten laufen laut

    Das Augsburger Univiertel ist dafür bekannt, dass hier viele russischsprachige Menschen leben.
    Das Augsburger Univiertel ist dafür bekannt, dass hier viele russischsprachige Menschen leben. Foto: Ulrich Wagner

    Weingard führte bis vor Kurzem noch einen Schreibwarenladen in der Hermann-Köhl-Straße, eine Hauptgeschäftsstraße im Univiertel, in der sich ein Laden nach dem anderen aneinanderreiht: Nagelstudio, Apotheke, Getränkehandel, Modeladen, Zeitungs- und Lottogeschäft - viele der Ladeninhaber sprechen neben Deutsch auch Russisch. Wie Weingard. Der 39-Jährige kam im Alter von neun Jahren mit seiner Familie aus Kasachstan nach Augsburg. "In letzter Zeit", sagt er, "fragt man hier lieber nicht mehr nach, woher jemand genau kommt." Dazu sei die Lage zu angespannt.

    Augsburger aus Univiertel: "Wir sprechen alle dieselbe Sprache"

    "Die Bewohner des Univiertels sind aus Kasachstan, Usbekistan, aus der Ukraine und aus Russland. Wir sprechen alle dieselbe Sprache und sind Landsleute", sagt er mit Nachdruck. Man kaufe untereinander in den Geschäften ein, begegne sich auf den Straßen. "Es ist eine Art stille Vereinbarung, dass man sich nicht über den Krieg unterhält." Weingard meint, er lebt gerne im Univiertel, schätze die Offenheit der Menschen. Er selbst könne es nicht leiden, dass "sein" Stadtteil oft den Stempel "Russenviertel" aufgedrückt bekäme. "In den letzten Jahren sind hier viele verschiedene Nationalitäten hergezogen."

    Neben türkeistämmigen Bürgerinnen und Bürgern stellen Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion in Augsburg den zweithöchsten Migrationsanteil. Laut Amt für Statistik wurden im vergangenen Jahr 9242 Einwohner mit rein russischem Migrationshintergrund gezählt. Insgesamt leben in der Fuggerstadt knapp 25.000 Menschen aus den Ländern der einstigen UdSSR. Vitaliy Rachman und seine Frau Tatjana gehören dazu.

    Vitaliy Rachman betreibt im Univiertel mit seiner Frau das kleine Restaurant Mosaik. Das Ehepaar, das aus der Ukraine stammt, kocht hier selbst.
    Vitaliy Rachman betreibt im Univiertel mit seiner Frau das kleine Restaurant Mosaik. Das Ehepaar, das aus der Ukraine stammt, kocht hier selbst. Foto: Peter Fastl

    Seit zwölf Jahren führt das fleißige Ehepaar sein kleines Restaurant Mosaik in der Salomon-Idler-Straße unweit der Universität - etwas versteckt in einem Innenhof. Die Rachmans kochen selbst, auf ihre traditionellen Rezepturen sind sie stolz. Auf der Speisekarte stehen Hausmannskost wie der Eintopf Borschtsch, die Teigtaschen Pelmeni, aber auch selbst gemachte Pizza gibt es. Im Internet wird das Mosaik als russisches Restaurant empfohlen. Die Familie Rachman aber stammt aus der Ukraine. "Seit dem Krieg bleiben manche Kunden weg. Die Leute denken wohl, wir sind ein russisches Geschäft", beobachtet der 57-Jährige. Welchen Hintergrund seine Kunden haben, sei ihm egal. "Wir freuen uns einfach, wenn die Leute gerne kommen und es ihnen bei uns schmeckt."

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