Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Von der Kanzel in die Natur: Pfarrer Tiggemann ist jetzt Pilgerbegleiter

Augsburg

Von der Kanzel in die Natur: Pfarrer Tiggemann ist jetzt Pilgerbegleiter

    • |
    Pfarrer Dietrich Tiggemann ist mit der passenden Ausrüstung als Pilgerbegleiter im Einsatz. Dazu zählen Wanderschuhe, eine wetterfeste Jacke, Walkingstöcke sowie ein Rucksack mit der Jakobsmuschel, dem internationalen Pilgerzeichen.
    Pfarrer Dietrich Tiggemann ist mit der passenden Ausrüstung als Pilgerbegleiter im Einsatz. Dazu zählen Wanderschuhe, eine wetterfeste Jacke, Walkingstöcke sowie ein Rucksack mit der Jakobsmuschel, dem internationalen Pilgerzeichen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Seinen rauschenden Vollbart hat er behalten, auch der kleine Ring ziert nach wie vor sein linkes Ohrläppchen. Ansonsten hat sich für Dietrich Tiggemann in den vergangenen 15 Monaten viel verändert: Der 65-Jährige ist mit seiner Frau Daniela von Kriegshaber, wo er die evangelische Pfarrei St. Thomas betreute, ins benachbarte Pfersee gezogen. Und er hat seinen Vorsatz eingehalten, als Neu-Ruheständler ein Jahr lang keine Urlaubs- und Krankheitsvertretungen anzunehmen. "Das ist mir schwer gefallen", gibt er unumwunden zu. Dabei hat Tiggemann als Endfünfziger am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn Körper und Seele nicht mehr mit den vielfältigen Belastungen fertig werden.

    Im Lockdown fiel Dietrich Tiggemann der Himmel auf den Kopf

    Er fühle sich heute fit wie nie zuvor, verrät er beim Gespräch in einem Café. Das liegt nicht nur daran, dass er "aus dem Laufrad raus" ist, sondern auch an seiner neuen Leidenschaft, die er erstmals während seiner Auszeit entdeckt und im vergangenen Jahr kultiviert hat: das Pilgern. Daran habe auch die Corona-Pandemie ihren Anteil gehabt: "Da hätte ich endlich Zeit für andere Dinge gehabt und dann kam der Lockdown. Als mir dann buchstäblich der Himmel auf den Kopf gefallen ist, habe ich angefangen zu wandern." Er kenne inzwischen alle Wälder in der Region, habe allein im vergangenen Jahr auf diesen Ausflügen 2000 Kilometer zurückgelegt. Irgendwann seien dann Pilgertouren in sein persönliches Programm eingeflossen - etwa der Jakobsweg entlang der Wertach.

    Laut Tiggemann unterscheidet sich das Pilgern vom Wandern nicht nur im Tempo, das zwischen sportlichem Walking und gemütlichem Schlendern liegen sollte. Um Leib und Seele in Gang zu bringen, nehme er sich neben der passenden Ausrüstung wie Rucksack und Walking-Stöcke immer einen Text, eine Bibelstelle und eine Idee mit auf den Weg. Tiggemann bezeichnet das als "Selbstreflexion beziehungsweise -therapie" und "als total spannende Form der Meditation". Dazu brauche es durchaus Disziplin und Übung. Sei ein Thema zu heftig, gerieten die Gedanken ins Stocken. "Aber weil die Füße weitergehen, kommen auch die Gedanken wieder in Fluss."

    Tiggemann: Auch Kirchenferne verspüren eine geistliche Sehnsucht

    Fast immer ist der 65-Jährige bislang alleine gelaufen, teilweise auch mehrere Tage lang. Während einer längeren Tour lernte er die Pilgerherberge in Scheidegg und seinen Betreiber kennen. "Das hat mir so gut gefallen, dass ich dort ein mehrwöchiges Praktikum gemacht habe." Während seiner Zeit als "Vizeherbergsvater" habe er viele Pilgerinnen und Pilger kennengelernt, die mit der Kirche nicht viel am Hut hätten, gleichzeitig aber eine unfassbare geistliche Sehnsucht verspürten und Antworten im Glauben suchten. Um diesem Menschen, die häufig eine Begleitung wünschten, zur Seite zu stehen, absolvierte Dietrich Tiggemann bei der evangelischen Landeskirche eine Ausbildung zum Pilgerbegleiter.

    Neben praktischen Einheiten wie Erste Hilfe oder das richtige Packen eines Rucksacks ("nie mehr als zehn Prozent des eigenen Gewichts, sonst trage ich seelisch zu viel mit mir herum") spielten dabei auch Aspekte wie Themenfindung und geistige Impulse eine wesentliche Rolle. "Jetzt möchte ich anderen Menschen zeigen, wie das Pilgern geht", sagt der Pfarrer. Unter dem Motto "Samstagspilgern" bietet Tiggemann in der Regel einmal pro Monat eine Tour in Augsburg und der Region an. Zum Auftakt heißt es am 12. Februar "Schritte in mein neues Jahr". Die Schritte führen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab 9 Uhr von der Gögginger Wertachbrücke über den Jakobsweg durch die Westlichen Wilder zum Kloster Oberschönefeld und weiter nach Gessertshausen, wo der Zug die Pilgernden nach rund 15,5 Kilometern Fußmarsch zum

    Angedockt ist das Samstagspilgern an die evangelischen Pfarrämter St. Thomas/Kriegshaber und St. Paul/Pfersee. Auf den Webseiten und bei dem Veranstalter unter dietrich.tiggemann@gmx.de sind auch nähere Informationen zu den Touren erhältlich. Diese sind für die Pilgernden kostenfrei und bedürfen keiner vorherigen Anmeldung . Ausnahme ist die Teilnahme an dem dreitägigen Jakobsweg von Augsburg nach Bad Wörishofen ab 29. April, für die eine Anmeldung nötig und eine Gebühr fällig ist.

    Pfarrer Tiggemann hält auch wieder Messen in Augsburg

    Ob mehrstündiges oder mehrtägiges Pilgern: Der Ablauf ist laut Tiggemann immer ähnlich. "Man trifft sich, lernt sich kennen und nach dem Pilgersegen machen wir uns auf den Weg." Unterwegs gebe er drei oder vier Impulse, die man mit sich alleine oder auch im Zweigespräch erörtern könne. Am Ziel lädt der Pilgerbegleiter zu einer Abschlussrunde ein.

    Neben dem Pilgern will der evangelische Pfarrer hin und wieder Vertretungen annehmen. "Neulich stand ich zum ersten Mal wieder auf der Kanzel in St. Paul. Ich war sehr aufgeregt, ob das Predigen noch geht." Es ging noch und so wird Dietrich Tiggemann mit seiner gewaltigen Stimme an diesem Sonntag um 9.30 Uhr den Raum der St. Thomas-Kirche durchdringen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden