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Augsburg: Ungeimpfte schaffen sich eigene Netzwerke für Jobbörsen, Dating und Anwälte

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Ungeimpfte schaffen sich eigene Netzwerke für Jobbörsen, Dating und Anwälte

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    Protest gegen das Impfen: Demonstrantin bei einer corona-kritischen Kundgebung in Augsburg.
    Protest gegen das Impfen: Demonstrantin bei einer corona-kritischen Kundgebung in Augsburg. Foto: Peter Fastl

    Es sind die gewöhnlichen Phrasen und Schlagworte, bekannt von jedem Stellenmarkt. Mal geht es um eine "verantwortungsvolle und vertrauensvolle Aufgabe", mal sind gute Deutschkenntnisse und eine zeitnahe Verfügbarkeit gefragt, mal wird mit "übertariflicher Bezahlung" und Fortbildungen geworben. Die Online-Plattform, auf der sich Augsburger Unternehmen mit diesen Worten präsentieren, ist jedoch keine Jobbörse wie jede andere. "impffrei.work" richtet sich gezielt an Arbeitssuchende, die nicht gegen Corona geimpft sind, bringt aber gleichzeitig Falschinformationen zur Impfung in Umlauf – und ist so Teil eines Netzwerks von Corona-Kritikern, das auch im Raum Augsburg immer weiter wächst. Für manche geht das weit über die Jobsuche hinaus.

    "Impffrei.work", mutmaßlich im Sommer 2021 online gegangen, bezeichnet sich selbst als "alternative Jobbörse". Im Impressum sind keine Namen genannt, die Menschen dahinter sind bislang unbekannt. Aus der Frage, wie sie zur Impfung stehen, machen sie aber keinen Hehl: Das Logo der Homepage zeigt eine Faust, die eine Impfspritze durchschlägt. Die Anzeigen betreffen fast alle Berufssparten und stammen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, aus Zürich, aus Wien, aus Berlin. Aus Augsburg waren und sind mehrere Unternehmen und Privatpersonen präsent, so wie das "Balance-Netzwerk Augsburg". Das Kleinunternehmen vermittelt nach eigener Aussage Trainer und Kursleiter "für Gesundheit, Ernährung und Beziehungen."

    "impffrei.work": Die Seite findet auch in der Region Augsburg Beachtung

    Warum sucht es just über diese Seite nach Personal? Inhaber Robert Brunner sagt, er habe die Anzeige auf verschiedenen Plattformen geschalten. Gutes Personal zu finden, sei nach wie vor schwierig, außerdem sei "Impffrei.work" kostenlos und man wisse ja nie, wie groß die Reichweite sei. "Also haben wir es mal probiert." Der Bewerbungsrücklauf sei bislang "ordentlich", die Seite werde offenbar "gut genutzt". Der Impfstatus spiele für die Stelle keine Rolle, weil Bewerberinnen und Bewerber von zuhause aus arbeiten könnten.

    Doch die Seite steht in der Kritik – weil die präsentierten Inhalte über reine Jobanzeigen weit hinausgehen. Es wimmelt dort von irreführenden oder falschen Informationen, besonders bezüglich der Impfung. Es wird behauptet, zugelassene Impfstoffe seien teilweise "unwirksam und gefährlich" und enthielten Teile, die "nicht für die Anwendung am Menschen" bestimmt seien. Wissenschaftlich fundierte Beweise liefern die Beiträge nicht. Auf Nachfrage, ob er diese Inhalte für problematisch halte, möchte sich Brunner nicht äußern. Nur: Er sei der Meinung, dass jeder selbst entscheiden müsse, ob er sich impfen lasse oder nicht. In einem Zusammenhang mit einer Vernetzung von Ungeimpften sehe er seine Anzeige nicht.

    Für manche Berufe gilt ab März eine Impfpflicht gegen das Coronavirus

    Andere, die auf der Plattform annoncieren oder dies getan haben, zeigen sich auf Anfrage unserer Redaktion zugeknöpft: Eine Privatperson aus Augsburg, die "für unsere geliebte Uri eine Pflegerin" sucht, wobei der Impfstatus "keine Rolle" spiele, antwortet gar nicht. Barbara Schneider, Leiterin der Physiotherapie-Praxis "Physio-Aktiv-Augsburg" in Haunstetten, teilt lediglich mit, ihre Zeit gehöre ihren Patienten. Kurz nachdem unsere Redaktion angefragt hatte, wurde die Anzeige der Praxis entfernt. Es ging dabei um die Suche nach einem oder einer Physiotherapeuten oder -therapeutin – eine Tätigkeit, für die ab Mitte März 2022 eine Impfpflicht gilt.

    "impffrei.work" ist nur eine von vielen Plattformen, die sich gezielt an Ungeimpfte richten – und zusammen eine kleine, aber wachsende Parallelwelt bilden. Sie besteht aus einem immer weiter verzweigten Netzwerk, dem auch im Raum Augsburg etliche Corona-Maßnahmen- und Impfgegner angehören. Organisiert wird es vorwiegend über den Messengerdienst Telegram. Dort geht es längst nicht mehr nur um Demo-Termine oder den Austausch von Verschwörungstheorien, sondern auch um praktische Alltagsfragen.

    Im Internet tauschen sich Impfgegner auch darüber aus, wo es Geschäfte mit den Corona-Regeln nicht so genau nehmen.
    Im Internet tauschen sich Impfgegner auch darüber aus, wo es Geschäfte mit den Corona-Regeln nicht so genau nehmen. Foto: Christophe Gateau, dpa (Symbolbild)

    Wo kann ich ohne 2G-Regel übernachten? Die öffentliche Telegram-Gruppe "Übernachten unter Freunden" hat 30.000 Abonnenten, mehrere Anzeigen stammen aus Augsburg. Wie finde ich eine ungeimpfte Partnerin oder einen ungeimpften Partner? Hier können die überregionale Seite "Impffrei:love" oder lokal die öffentliche Telegram-Gruppe "Singles Klardenkend Schwaben" helfen. Wo kann ich einkaufen, ohne mich möglicherweise strikt an geltende Regeln halten zu müssen? Einen Anhaltspunkt bietet die Internetseite "animap.info". Dort heißt es: "Nach den Unternehmern vernetzen sich nun auch die Kunden, um der drohenden Impfapartheid entgegen zu wirken". Mit dem Eintrag auf der Seite signalisiere das jeweilige Unternehmen, "dass es mit den Corona-Maßnahmen der Regierung und insbesondere mit dem Einsatz des Covid-Zertifikats nicht einverstanden ist". Auf der interaktiven Karte sind im Raum Augsburg über 100 Firmen aufgeführt, von der Werbeagentur bis zum Kosmetikstudio, vom Rohstoffhandel bis zum Tanzzentrum.

    Corona-Verstöße: Auch die Suche nach Anwälten wird in Gruppen besprochen

    Tipps zu sämtlichen Lebensbereichen gibt es auch in der Telegram-Gruppe "Ungeimpfte helfen Ungeimpften – Augsburg und Umland". Sie hat über 600 Mitglieder, die sich der Beschreibung zufolge vernetzen und Tipps geben, "wo Ungeimpfte willkommen sind und wo nicht". Was dies praktisch bedeutet, zeigt ein Beispiel: Ein Nutzer meldet sich und erklärt, ihm werde vorgeworfen, einen fälschlichen PCR-Test benutzt zu haben. Er suche deshalb einen Anwalt für Strafrecht, der "natürlich auch in unserem 'Lager' sein" sollte. Kurz darauf zwei Antworten: Eine Nutzerin nennt Clemens Sandmeier, Rechtsanwalt aus Aichach und Vorsitzender des bayerischen Landesverbands der im Umfeld der Corona-Proteste entstandenen Partei "Die Basis". Eine weitere Nutzerin empfiehlt, zur nächsten Demo nach Königsbrunn zu kommen. "Da ist fast immer einer da, der dir erstmal einen Tipp zur weiteren Vorgehensweise geben kann."

    Gerade diese Verlagerung – vom Digitalen ins Persönliche – ist die Umsetzung dessen, wozu Michaela Königsberger seit Monaten öffentlich aufruft. Sie ist Vorsitzende des Bürgerforums Schwaben. Der aus Königsbrunn stammende Zusammenschluss, nach eigenen Angaben rund 1000 Mitglieder umfassend, sieht sich als "Vermittler von Informationen und Hilfsmittel zur freien Meinungsbildung" und steht hinter mehreren Corona-Demos in der Region. Mehrfach trat Königsberger dabei als Rednerin, Moderatorin und Organisatorin auf. Ende vergangenen Jahres forderte sie auf dem Rathausplatz eine freie Impfentscheidung und appellierte an das Publikum, Gleichgesinnte müssten "raus aus Telegram, rein in die persönliche Vernetzung".

    "Das System verändern": Aufrufe in sozialen Medien

    Was sie damit meinte, präzisierte Königsberger in einem Anfang des Jahres veröffentlichten Video-Interview mit Jürgen Steinhäuser, ehemaliges Mitglied im bayerischen Landesvorstand der AfD mit Hang zu Verschwörungstheorien und selbst schon Redner bei Veranstaltungen des Bürgerforums Schwaben. Dort sagt Königsberger über Telegram-Kanäle: "Mit denen stürzen wir nichts, mit denen machen wir keine Veränderung." Vielmehr müsse man jeden Tag "das System verändern". Wie sie sich das vorstellt? "Ich gehe zu dem Friseur, der mich gesund nimmt und mir glaubt, dass ich gesund bin, weil ich keine Symptome habe. Ich gehe in diese Kindergarten-Gruppe und arbeite mit diesen Lehrkräften, arbeite mit diesen Sportvereinen, mit diesen Händlern, mit diesen Gastronomen, die einen Weg und eine Lösung finden, da auch zu agieren und nicht nur das Auferlegte umzusetzen." Auch im Telegram-Kanal des Bürgerforums werden unter anderem regelmäßig Jobs vermittelt.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. In der aktuellen Folge spricht eine Augsburgerin über ihre Long-Covid-Erkrankung – und über den mühsamen Weg zurück in ein normales Leben.

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