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Augsburg: Tanja Hoggan-Kloubert ist die Stimme der Ukrainer in Augsburg

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Tanja Hoggan-Kloubert ist die Stimme der Ukrainer in Augsburg

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    Von einem Büro in der  Kresslesmühle aus koordiniert Tanja Hoggan-Kloubert zusammen mit anderen Aktiven des Ukrainischen Vereins Hilfen für ihre Landsleute.
    Von einem Büro in der Kresslesmühle aus koordiniert Tanja Hoggan-Kloubert zusammen mit anderen Aktiven des Ukrainischen Vereins Hilfen für ihre Landsleute. Foto: Silvio Wyszengrad

    Seit dem 24. Februar hat der Arbeitstag für Tanja Hoggan-Kloubert 20 Stunden. "Ich brauche keinen Schlaf und verspüre weder Hunger noch Durst", sagt sie. Zum Essen und Trinken zwingt sich die zierliche Frau mit den lockigen, blonden Haaren hin und wieder. Damit sie sich ein paar Stunden ausruht, "nimmt mir mein Mann das Handy weg". Der Krieg in der Ukraine hat das Leben von Hoggan-Kloubert in einer Art und Weise auf den Kopf gestellt, wie es sich die im südwestukrainischen Czernowitz geborene Wissenschaftlerin nie hätte vorstellen können – und wollen.

    Tanja Hoggan-Kloubert lebt schon lange in Deutschland

    Seit 21 Jahren lebt die 40-Jährige in Deutschland, zunächst in Jena und seit 2012 in Augsburg. Längst ist Deutsch für sie eine Sprache, in der sie nicht nur sattelfest ist, sondern mit der sie die Menschen berührt. Etwa beim Benefizkonzert des Staatstheaters oder bei der Solidaritätskundgebung auf dem Rathausplatz, als sie sagte, dass "die Ukrainer ihr Leben nicht nur für ihr Heimatland verlieren, sondern auch für uns, für die Idee der Demokratie." Der Krieg Putins gegen ihr Heimatland hat die eloquente und zugleich empathische Tanja Hoggan-Kloubert zur Stimme des Ukrainischen Vereins in Augsburg gemacht und zu einem Dreh- und Angelpunkt der vielen Hilfsaktionen. Viele Stunden verbringt sie täglich mit anderen Helferinnen und Helfern in einem Raum der Kresslesmühle, der dem Verein von der Stadt für die manningfaltigen Koordinationsaufgaben zur Verfügung gestellt wurde – neben ihrer hauptamtlichen Arbeit an der Uni Augsburg.

    Wenige Stunden, nachdem der Krieg begonnen hatte, saß sie schon mit Freunden und Vereinsmitgliedern in ihrem Wohnzimmer, "um "etwas zu machen". Was am ersten Abend mit einer Kundgebung begann, hat sich mittlerweile zu einem breiten Netzwerk mit zahlreichen Freiwilligen, Partnern in der Stadtverwaltung, Vereinen und Hilfsorganisationen ausgewachsen. Das unermüdliche Agieren, Telefonieren und Begleiten von Neuankömmlingen aus der Ukraine hält Hoggan-Kloubert aufrecht, Ruhe scheint sie nicht zu ertragen. "Nur durch das Tun kann ich das alles bewältigen", gibt sie zu.

    "Ich habe mich immer als Weltbürgerin gefühlt"

    Für das Gespräch mit der Zeitung wechselt sie vom Büro in das Café der Kresslesmühle und schaltet ihr Handy aus, um nicht laufend aus ihren Gedanken gerissen zu werden. Die stehen ohnehin Kopf und ihre Gefühle fahren Achterbahn. "Ich habe mich immer als Weltbürgerin gefühlt", sagt die gebürtige Ukrainerin. Sie hat einen deutschen Pass und ist mit einem amerikanischen Professor verheiratet, mit dem sie überwiegend Englisch spricht. Erst seit sie zwei geflüchtete Familien bei sich zu Hause untergebracht hat und über den Verein mit Landsleuten zusammenkommt, hält Ukrainisch wieder Einzug in ihr Leben. Und natürlich, wenn sie mit ihren Eltern spricht, die Czernowitz nicht verlassen wollen und wegen des kranken Vaters eine Flucht auch gar nicht bewältigen würden. Tanja Hoggan-Kloubert erinnert sich wehmütig an ihren Besuch zum Jahreswechsel, der vielleicht für lange Zeit der letzte war.

    So fassungslos die Mutter dreier Töchter im Alter von sechs bis 13 Jahren (und dreier angeheirateter erwachsener Kinder) der Krieg macht, überrascht hat sie die Invasion von Putins Truppen nicht. Er spreche schon seit Längerem der Ukraine die Existenz ab, sagt sie und kommt auf ihre 2011 fertiggestellte Dissertation zu sprechen, die sich mit der Aufarbeitung der totalitären Vergangenheit in Russland, der Ukraine und Polen beschäftigt. "Damals schrieb ich noch, dass ich keine Gefahr eines Rückfalls sehe. Und heute weiß ich, wie naiv das war."

    Der Krieg in der Ukraine hat ihr Weltbild auf den Kopf gestellt

    Dieser "Irrtum" schmerzt die an der Uni Augsburg im Bereich der Erwachsenenbildung tätige Wissenschaftlerin auch deshalb so sehr, weil ihr demokratisches Weltbild auf den Kopf gestellt wurde. "Ich habe gewaltfreie Strategien immer für das einzig Wahre gehalten und jetzt geht es nicht mehr ohne Verteidigungswaffen." Dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj zollt Tanja Hoggan-Kloubert in der Krise großen Respekt. Er wachse mit seiner Aufgabe und leiste Unglaubliches. Voller Lob ist sie auch dafür, wie solidarisch sich die Nachbarländer, Deutschland und auch Augsburg gegenüber der Ukraine und ihren Menschen verhalten. "Als ich nach Augsburg kam, wollte ich zunächst gar nicht meine Koffer auspacken, weil ich keinen Zugang fand. Heute nehme ich es als eine der offensten Städte mit vielen Vernetzungen wahr, in der jeder jeden kennt."

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    Neu ankommende Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, werden im Ankerzentrum in der Aindlinger Straße in Augsburg registriert, aufgenommen und versorgt.

    Zum Augsburger Bekannten- und Freundeskreis der 40-Jährigen zählen Menschen mit russischen Wurzeln. Die Kontakte seien entweder abgebrochen oder sehr eng geworden. "Eine deutsch-russische Freundin hat mir ein Foto gezeigt, wie sie ihren russischen Pass zerreißt. Das würde ich mir so viel häufiger wünschen", sagt Hoggan-Kloubert mit feuchten Augen. Emotionale Momente beschert ihr auch die Angst um einen Kollegen in der Ukraine, der entführt worden sei und von dem es seit Tagen kein Lebenszeichen gebe. Dass ihre Töchter Angst vor dem Krieg haben und um die Großeltern bangen, tue ihr als Mutter unendlich weh.

    Lieb gewonnene Rituale sind in den Hintergrund gerückt

    Das Familienleben mit den lieb gewonnenen Ritualen, wie Kochen ("das ist meine Meditation"), gutem Essen und den Laufrunden mit Ehemann Chad Hoggan, ist seit dem 24. Februar in den Hintergrund gerückt. "Eigentlich wollte ich im März meinen ersten Marathon laufen". Jetzt hat sich Tanja Hoggan-Kloubert auf einen anderen

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. Die Augsburgerin Tanja Hoggan-Kloubert spricht über die Angst um ihre Eltern in der Ukraine – und die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung.

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