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Augsburg: Obdachlose in Augsburg: Wie eine Aktion die Unsichtbaren sichtbar macht

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Obdachlose in Augsburg: Wie eine Aktion die Unsichtbaren sichtbar macht

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    Obdachlose haben nur wenige Orte, an denen sie sich aufhalten können. Ein besonderer Stadtrundgang machte jetzt auf dieses Thema aufmerksam.
    Obdachlose haben nur wenige Orte, an denen sie sich aufhalten können. Ein besonderer Stadtrundgang machte jetzt auf dieses Thema aufmerksam. Foto: Annette Zoepf

    Als der Augsburger Schichtarbeiter Werner eines Abends nach der Schafkopf-Runde betrunken nach Hause kommt, eskaliert die Ehekrise. Seine Frau setzt ihn samt seines Hundes Balu vor die Tür. Anfangs kommt der 56-Jährige bei Freunden unter. Er versucht, seinen Frust in Alkohol zu ertränken. Als seine Arbeit davon Wind bekommt, kommt es zum Streit mit seinem Vorgesetzten. Im Affekt schlägt Werner zu und verliert seinen Job. Nun wenden sich auch die Freunde von früher nach und nach ab. Die Anträge bei der Agentur für Arbeit füllt Werner nicht aus. Stattdessen verbringt er seine Tage mit Balu an der Wertach. Die Abwärtsspirale beginnt: Werner wird obdachlos - und eines Tages "Gastgeber" einer besonderen Besuchergruppe.

    Werner, so wie er hier beschrieben ist, gibt es nicht. Aber es gibt viele Menschen, die ein ähnliches Schicksal haben. Den fiktionalen Obdachlosen ausgedacht haben sich Universitätsseelsorger Tobias Wittenberg und Anna Zott, zuständig für die Wohnungslosennothilfe und Straffälligenhilfe bei der Diakonie. Sie wollen aufmerksam machen auf Menschen wie Werner, weshalb sie jüngst mit Lydia Kiefner von der Evangelischen Jugend einen Stadtrundgang zu Orten anboten, die für wohnungslose Menschen wichtig sind. „Man hat dieses Thema im Alltag nicht auf dem Schirm, Obdachlose sind im Stadtbild quasi nicht vorhanden“, sagt

    Ungewöhnlicher Stadtrundgang: "Gehen nicht zum Obdachlosengucken"

    Der ungewöhnliche Stadtspaziergang ist die dritte Veranstaltung aus der Reihe „Aux auf Augenhöhe“, welche von der Evangelischen Studierendengemeinde, der Evangelischer Jugend und der Diakonie ins Leben gerufen wurde. In der ersten Veranstaltung im Winter konnten Interessierte einen Obdachlosen zu seinem Alltag befragen. Bei der zweiten Veranstaltung kochten Ehrenamtliche für Obdachlose, weil es im Dezember war, gab es Geschenke. Beim dritten Event fungiert Anna Zott von der Diakonie als Stadtführerin. „Es soll kein Voyeurismus sein, wir gehen nicht an den Kö oder den Oberhauser Bahnhof zum Obdachlosengucken“, erklärt Pfarrer Tobias Wittenberg. Stattdessen begibt sich die Gruppe auf die Spuren von Werner.

    Studierendenpfarrer Tobias Wittenberg und Lydia Kiefner von der Evangelischen Jugend wollen die Unsichtbaren sichtbar machen.
    Studierendenpfarrer Tobias Wittenberg und Lydia Kiefner von der Evangelischen Jugend wollen die Unsichtbaren sichtbar machen. Foto: Michael Eichhammer

    Vom Treffpunkt am Rathausplatz geht es zum Domplatz. Hier hat Werner unter einer mächtigen Weide einen schattigen Ruheplatz gefunden. Obdachlose stehen mit der Sonne auf und ziehen dann weiter, weil sie sonst von ihrem Platz vertrieben werden, erzählt Anna Zott. „Sie schlafen nur in der Zeit, wo sie sicher sind, denn draußen sind sie Angriffen schutzlos ausgeliefert.“ Neben Kö, Oberhauser Bahnhof und Dompark sind Wolfzahnau und Dieselbrücke beliebte Treffpunkte von Obdachlosen. Gern bleibt man innenstadtnah, da sich alle Hilfsangebote hier finden. 

    Dazu, wie viele Obdachlose in Augsburg leben, gibt es keine offizielle Statistik, man geht aber von rund 80 Personen und einer hohen Dunkelziffer aus. Fest steht: Es sind immer mehr Menschen betroffen. „Viele denken, ihnen könnte so etwas nicht passieren, doch es kann schnell gehen, weiß Anna Zott. Beispielsweise, wenn die Partnerin einen aus der Wohnung wirft oder der Vermieter Eigenbedarf anmeldet. Im angespannten Augsburger Wohnungsmarkt kann das rasch zu einer dramatischen Situation führen.

    Obdachlose: Diese Anlaufstellen gibt es in Augsburg für Betroffene

    Werner hat sich indes informiert und schaut bei der städtischen Obdachlosenunterkunft vorbei. Dort erklärt man ihm, dass er Balu nicht mitnehmen darf. Als Kompromiss bietet man ihm an, seinen vierbeinigen Weggefährten über Nacht im Tierheim abzugeben. Das kommt für Werner nicht infrage – Balu ist alles, was er noch hat. Neben der Obdachlosenunterkunft in der Johannes-Rösle-Straße für Männer und dem Pendant für Frauen in der Stadtberger Straße gibt es für Menschen ohne reguläres Mietverhältnis betreute Wohngruppen und das Bodelschwingh-Haus der Diakonie.

    Verena Ryssel ist im SKM für die Fachberatung Wohnungslosenhilfe zuständig.
    Verena Ryssel ist im SKM für die Fachberatung Wohnungslosenhilfe zuständig. Foto: Michael Eichhammer

    Die nächste Station für Werner und die Teilnehmer der Stadtführung: der katholische Sozialverband SKM (früher stand das Kürzel für Sozialdienst katholischer Männer) in der Klinkertorstraße. Unter dem Dach der Caritas unterstützen hier über 75 Mitarbeitende und rund 250 Freiwillige jährlich zirka 1.500 Personen in schwierigen Lebenssituationen. Wer von Banken abgelehnt wurde, kann beim SKM ein Sozialkonto erhalten. Auch eine Postadresse können Menschen ohne festen Wohnsitz hier angeben. Herzstück des SKM ist die spartanisch eingerichtete Wärmestube. Sie dient nicht nur im Winter als Tagesaufenthalt. Essen, Getränke, Duschen, Hygienepakete, Kleiderausgabe und Wäschewaschen gehören zu den Leistungen. Unterstützt wird die Wärmestube von einem Förderverein. Die Essensspenden stammen unter anderem vom FCA, der MAN Kantine, der Stiftung Kartei der Not und von der Tafel. „Nicht jeder weiß vom Hilfesystem in Augsburg“, erklärt Verena Ryssel, die im SKM für die Fachberatung Wohnungslosenhilfe zuständig ist. Gerade die Älteren haben kein Internet und seien auf Mundpropaganda und Streetworker angewiesen.

    Werner sucht aufgrund seines Alkoholproblems die Drogenhilfe Schwaben in der Jesuitengasse auf. Die letzte Station der Stadtführung: Werner wendet sich an die Ambulante Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie im Inneren Pfaffengäßchen. Nach einem halben Jahr auf der Straße kann dem 56-Jährigen eine Wohnung vermittelt werden. „Werner rappelt sich auf“, schließt Anna Zotts Geschichte. Leider erlebt nicht jeder Obdachlose in Augsburg ein solches Happy End.

    In einer ersten Version des Artikels haben wir versehentlich falsche Zahlen zu freiwilligen Helfern und betreuten Personen genannt. Diesen Fehler haben wir korrigiert.

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