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Augsburg: Sozialsiedlung als Vorbild: So könnten Fuggereien in der ganzen Welt entstehen

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Sozialsiedlung als Vorbild: So könnten Fuggereien in der ganzen Welt entstehen

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    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besuchte am Samstag die Fuggerei in Augsburg.
    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen besuchte am Samstag die Fuggerei in Augsburg. Foto: Silvio Wyszengrad

    Hinter dem Slogan "Fuggerei Next 500", mit dem die älteste Sozialsiedlung der Welt gerade ihr Jubiläum feiert, steht der Wunsch der Fugger, ihr bewährtes Konzept künftig in die Welt zu exportieren. Dass aus der Vision mit einem Mal eine konkrete Bitte der Europäischen Union zur Zusammenarbeit werden sollte, hat Alexander Erbgraf Fugger-Babenhausen dann doch überrascht. Im Beisein von Ministerpräsident Markus Söder machte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dem Fugger-Stiftungsrat bei einem Festakt am Samstag auf dem Podium im Goldenen Saal das Angebot, beim Wiederaufbau der Ukraine mitzuwirken.

    Von der Leyen hatte am Wochenende gemeinsam mit Markus Söder den Fuggerei Next 500 Pavillon auf dem Ratausplatz besichtigt und zeigte sich nach dem Termin beeindruckt von den dort präsentierten Erfolgsrezepten, die hinter der 500-jährigen Sozialsiedlung stehen. Sie nahm sich auch noch die Zeit, die echte Fuggerei zu besuchen und ließ sich dort von einer Bewohnerin die Wohnung zeigen. In ihrer Rede im Goldenen Saal verglich sie die Fuggerei mit dem Projekt "Neues Europäisches Bauhaus" der EU. Dabei soll die Vision des sogenannten europäischen Grünen Deals mit konkreten Verbesserungen für die Menschen vor Ort verbunden werden. Obwohl sie die Fuggerei im Detail zuvor nicht gekannt habe, passten die beiden Projekte perfekt zusammen. Europa brauche mehr Fuggerei, so die Politikerin. Sie habe nach dem Besuch das Gefühl, etwas sehr Wertvolles mit nach Europa und Brüssel zu nehmen.

    Fuggerei könnte sich beim Wiederaufbau der Ukraine beteiligen

    Die Kommissionspräsidentin berichtete, dass sie im regelmäßigen Austausch mit dem Ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj steht, der sie gebeten habe, schon jetzt Partner für einen Wiederaufbau des Landes zu finden. In der Ukraine gehe es nach dem Krieg darum, Lebensqualität und Nachhaltigkeit in die Städte zu bringen. "Bei dieser Entwicklung könnte die Fuggerei Pate spielen", sagte sie auf dem Podium in Augsburg.

    Die Werte, die vor 500 Jahren zur Gründung der Fuggerei geführt haben, unterschieden sich nicht von dem, was heute gefragt sei, betonte Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) in ihrer Rede. Auch heute gehe es darum, die Menschen zu befähigen, ein gutes, selbstständiges Leben zu führen, so die OB. Dazu gehöre nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch ein soziales Netzwerk, wie es in der Fuggerei gepflegt wird.

    Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, die Fugger seien zu ihrer Zeit eine der ersten europäischen Familien gewesen. Nur wenige Projekte, die laut Stiftungsurkunde für die Ewigkeit angelegt waren, hätten diesem Anspruch auch durchhalten können, lobte er. Die Fuggerei sei nicht nur irgend eine Wohneinheit, sondern eine zeitlose Heimat, so der Ministerpräsident. Die Idee, etwas vom eigenen Wohlstand weiterzugeben, sei "super modern und visionär", so Söder.

    Fuggerei Augsburg: Auch in Afrika und Litauen gibt es konkrete Projekte

    Neben dem Angebot von Ursula von der Leyen gibt es bereits zwei konkrete Projekte, die den Geist der Fuggerei in andere Länder exportieren wollen. So arbeitet Stella Rothenberger gemeinsam mit ihrer lokalen Partnerin Rugiatu Neneh Turay an einem Dorfprojekt in Sierra Leone daran, einen nachhaltigen Lebensraum für Familien zu schaffen, der besonders auch Frauen und Mädchen eine selbstbestimmte Entwicklung ermöglicht und sie beispielsweise auch vor den in Sierra Leone üblichen Genitalbeschneidungen schützt, berichtet Rothenberger. Dabei wolle man eine neue Denkweise in der Entwicklungshilfe etablieren, da die übliche Herangehensweise des Westens die Bedürfnisse der Menschen vor Ort nicht genügend einbezieht, so Rothenberger.

    Die Fugger – prägend über Jahrhunderte

    Um 1475:

    Augsburg erlebt eine Hochblüte. Neben den Großkaufleuten profitiert auch die Mittel- und Unterschicht vom Aufschwung. Fürsorge für die Armen übernehmen private und kirchliche Stiftungen und wohltätige Einrichtungen. Die Stadt regelt mit Verordnungen das Almosen- und Bettelwesen.

    1509:

    Jakob und Ulrich Fugger vereinbaren nach dem Tod ihres Bruders Georg (+1506) den Bau einer Kapelle mit Familiengruft. Sie soll in der Kirche der Karmeliter zu „Unserer Lieben Frauen Brüder“ (heute St. Anna) entstehen. 1510 stirbt Ulrich. Jakob verwirklicht die Stiftungsidee auch im Namen seiner Brüder.

    1514:

    Jakob Fugger erwirbt in der Jakobervorstadt Grundstücke zum Bau einer Wohnsiedlung für arme, arbeitswillige Augsburger. 1516 regelt er in einem Vertrag mit der Stadt die Besteuerung der künftigen Fuggerei. Hier wird auch der Mietzins von einem Rheinischen Gulden jährlich festlegt.

    1516 – 1519:

    Erste Bauphase der Fuggerei. Schon 1519 sind 40 Häuser bewohnt.

    1518:

    Einweihung der Fuggerkapelle. Georg und Ulrich werden vom Friedhof bei St. Moritz in die neue Familiengruft umgebettet.

    1521:

    Am 23. August wird der Stiftungsbrief für die Fuggerei, die Grabkapelle bei St. Anna und die Prädikatur bei St. Moritz ausgestellt. Am 27. August verfasst Jakob Fugger sein erstes Testament

    1522:

    Gründung des Almosenamts in Augsburg. Die Armenpflege geht immer mehr auf die Stadt über. Betteln wird streng reguliert.

    1523:

    Fertigstellung der Fuggerei mit 53 Häusern. Das „Holzhaus“, eine medizinische Einrichtung innerhalb der Fuggerei, versorgt ab 1523/24 an den „bösen Blattern“ (Syphilis) Erkrankte.

    1525:

    Am 30. Dezember stirbt Jakob Fugger – acht Tage nach Niederlegung seines zweiten Testaments. Er wird in der Familiengruft in der St.-Anna-Kirche beigesetzt, die zu dieser Zeit bereits ein Zentrum der Reformation ist. Jakobs Neffe Anton Fugger wird Nachfolger in der Fuggerfirma.

    1548:

    Anton Fugger ordnet die Stiftungen neu und vereinbart mit seinen Neffen, dass auch künftig die Vertreter ihrer beider Linien die Stiftungen gemeinsam verwalten.

    Das „Holzhaus“ in der Fuggerei wird zu einer eigenständigen Stiftung, eine Zustiftung des Fuggerschen Handelsdieners Veit Hörl und das Spital in Waltenhausen kommen als weitere Stiftungen hinzu.

    1560:

    Anton Fugger stirbt am 14. September. Mit einem Teil seines Vermögens wird als siebte Fuggersche Stiftung die Schneidhaus-Stiftung zur chirurgischen Behandlung Bedürftiger errichtet.

    1582:

    Die Fuggerei-Bewohner bekommen ein eigenes katholisches Gotteshaus: die St.-Markus-Kirche.

    Um 1600:

    Augsburg zählt etwa 45.000 Einwohner, davon sind bis zu 3.000 auf Almosen angewiesen.

    1632 – 1635:

    Schwedische Truppen besetzen Augsburg und nehmen in der Fuggerei Quartier. Die Bewohner werden vertrieben. Nach Abzug der Schweden bleiben zerstörte Häuser zurück. Vielfach beseitigen die zurückkehrenden Fuggerei-Bewohner die Kriegsschäden selbst.

    1660:

    Dank der Rückzahlung eines Darlehens aus dem Jahr 1586 in Höhe von 60.000 Rheinischen Gulden können die Stiftungen Grundherrschaften erwerben. Dadurch vollzieht sich ein Wandel von Kapital- zu Liegenschaftsstiftungen.

    1806:

    Die Herrschafts- und Gerichtsrechte der Fuggerschen Besitzungen fallen an das Königreich Bayern. Die Familie Fugger kann ihre Entscheidungsbefugnisse über die Stiftungen vertraglich sichern und so die Einziehung des Stiftungsvermögens verhindern.

    1848:

    Die Stiftungswälder werden nachhaltiger und professioneller bewirtschaftet. Der Forst entwickelt sich zur Haupteinnahmequelle der Fuggerschen Stiftungen.

    1943/44:

    In der Fuggerei wird 1943 ein Bunker eingerichtet. Bei Luftangriffen am 25./26. Februar 1944 sterben 750 Augsburger, 80.000 verlieren ihr Zuhause. Die Fuggerei ist zu drei Vierteln zerstört. Die meisten Bewohner müssen evakuiert werden. Bereits am 1. März 1944 beschließt das Seniorat den Wiederaufbau der Fuggerei

    Ab 1945:

    Wiederaufbau der Fuggerei. 1947 sind die ersten der beschädigten Häuser wiederhergestellt und evakuierte Bewohner kehren zurück. Auch Neuaufnahmen finden wieder statt.

    Das Dorf in Sierra-Leone ist eine ehemalige "Slave-Factory", also ein Unterschlupf von Sklavenhändlern. Den Menschen dort fehle es an grundlegenden Einrichtungen wie Toiletten, Sanitäranlagen und Trinkbrunnen. In Zusammenarbeit mit der Dorfgemeinschaft sei ein mehrstufiges Konzept entstanden, wie man die Menschen nach dem Gedanken der Fuggerei selbst ermächtigen könne, für ihr Leben zu sorgen, berichtet die Entwicklungshelferin. So seien die jetzt noch verfallenen Ruinen von großer kultureller Bedeutung und könnten beispielsweise über den Tourismus für ein Einkommen der Dorfbevölkerung sorgen. Ganz oben auf dem Plan stünden bei dem Projekt die Themen Bildung und Einkommen der Menschen, damit diese selbst für ihr Leben sorgen könnten. Für die Finanzierung ist Rothenberger, welche die Nichtregierungsorganisation (NGO) PfefferminzGreen leitet, auf der Suche nach Sponsoren.

    Das zweite im Fugger Pavillon vorgestellte Projekt liegt in Litauen. Dort will Gintaras Grachauskas eine Mehrgenerationensiedlung nach dem Vorbild der Fuggerei bauen. Die Siedlung soll als Modell für ein ganzes Netz von "Fuggereien" in dem Land dienen, das mit sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, berichtete er vom Konzept.

    Grachauskas hat nach eigenen Angaben zwei litauische Gesundheitsminister beraten und dabei erkannt, dass das Land ein grundsätzliches Problem mit der Versorgung vor allem seiner Rentner hat. Die durchschnittliche Rente liege in Litauen bei 238 Euro – und das, obwohl die Lebenshaltungskosten nur unwesentlich niedriger sind als beispielsweise in Deutschland. Nach einem Besuch in Augsburg in der Fuggerei sei ihm der Gedanke gekommen, das Konzept auf sein Heimatland zu übertragen. "Ursprünglich sollte es eine Siedlung für alte Menschen werden – aber wir wollen keine Ghetto schaffen, weshalb jetzt ein Projekt für Menschen jeden Alters entstehen soll", erläutert der Stifter. "Mich haben die Gründer der Fuggerei sehr beeindruckt", so Grachauskas.

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