Es ist Samstag, 15.30 Uhr, die Stadt pulsiert. Das schöne Wetter hat offenbar zahlreiche Menschen dazu bewegt, in die Innenstadt zu kommen. In manchen Geschäften steht die Kundschaft an den Umkleiden Schlange, andere genießen ein Getränk in der Sonne und schnuppern Urlaubsflair. Von EM-Stimmung ist allerdings kaum etwas zu spüren. Weder haben die Geschäfte üppig dekoriert noch gibt es spezielle Aktionen rund um das Turnier. Die gute Laune führt die Verkäuferin eines Modeladens auf den Sonnenschein, nicht auf die Euphorie einer Fußball-EM im eigenen Land zurück. Da helfe es auch nicht, dass sich die Serben direkt wenige Meter weiter im Hotel Maximilian's einquartiert hätten. Immerhin: Einige Fans der Türken sind rund zweieinhalb Stunden vor Spielbeginn gegen Portugal in die Innenstadt gekommen. Meist eingehüllt in große Fahnen tauchen sie gelegentlich und teils lautstark aus der Menge auf, um dann auch schnell wieder in ihr zu verschwinden. Wer mehr EM-Flair erleben möchte, muss sich abseits der Haupteinkaufsstraßen bewegen.
Ross, Sean und Cameron sitzen in der Fußball-Kneipe 11er in der Dominikanergasse und prosten sich gut gelaunt mit Bier und Wodka-Limo zu. Sie sind Fußball-Fans aus Schottland und für zwölf Tage in Augsburg. Sie hatten Tickets für die Partie ihrer Mannschaft in Köln und besuchen zudem die Spielstätten in München und Stuttgart, erzählen sie in breitem Dialekt. Von Augsburg aus ginge das hervorragend und überhaupt sei die Stadt „beautiful“, also wunderbar, meint Sean. Dazu auch noch so sauber. Und natürlich schmecke das Bier gut. Vor allem das einer Augsburger Brauerei. Irgendwas mit R, meint Cameron.
Die Schottischen EM-Fans lieben Augsburg und das Bier
Hinter dem Tresen beobachtet Sabrina das Geschehen, während sie schon das nächste Helle zapft. Sie ist Mitarbeiterin im 11er. Die Schotten seien regelmäßig in der Kneipe, erzählt sie. Die EM bringe an diesem Ort aber verschiedenste Fangruppen zusammen. Das sei eine tolle Abwechslung. Die Gruppen tauschten sich aus, man lerne neue Kulturen kennen – auch Trinkkulturen, sagt sie lachend. Die Schotten beispielsweise könnten einiges ab, blieben aber stets kultiviert und höflich. Es sei ein friedliches Miteinander unter den Gästen. Fußball verbinde.
Das merkt auch Stella. Sie arbeitet im Al Drago - in der Wintergasse. Dort hängen die deutsche und italienische Flagge unter der Markise. Die Spiele dieser beiden Teams werden auf jeden Fall gezeigt, schildert Stella - und auf Wunsch auch andere Partien. Wenn es das Wetter zulässt, dann steht der große Flachbildfernseher draußen. „Wenn wir aufbauen, dann setzen sich sofort die Leute hin“, schildert sie. Das Restaurant-Team würde für Italien und Deutschland fiebern. Vor allem am Sonntagabend. Dann hoffe sie auf volle Tische und einen Sieg der Gastgeber.
Türkische Fans machen Maxstraße zur Public-Viewing-Zone
Am Samstag sind es aber vor allem die Türken, die in der Stadt unterwegs sind. Sie sind für ihr Fußball-Fieber und ihr emotionales Auftreten bekannt. Schon nach dem Vorrundenspiel gegen Georgien fuhren die Anhänger im Autocorso durch die Innenstadt, als hätten sie eben die EM gewonnen. Um 18 Uhr startet am Samstag die Partie gegen Portugal. Schon knapp eineinhalb Stunden vorher kurven die ersten dekorierten Autos durch die Maxstraße und die Insassen stimmen Fangesänge an - während in der Haupteinkaufsmeile der Stadt noch der normale Shoppingtrubel tobt. Beobachtet werden sie dabei von Yasarhan, Kerem, Vigit und Tamer, die am Straßenrand gerade noch ihr Fan-Outfit zurechtzupfen. Die vier Jungs fiebern auf den perfekten Fußballabend hin. Der Tisch im Lokal mit dem großen Flachbildfernseher ist deshalb bereits reserviert. „Wir wollen die besten Plätze“, sagt Kerem. Für die treuen Anhänger von Besiktas Istanbul steht am Samstag das National-Team im Fokus. Es wird gewinnen: 2:1 oder 3:1, da sind sich die Freunde noch nicht ganz einig. Aber darin, dass der Europameister in diesem Jahr Türkei heißen wird. „Unser zweiter Favorit ist aber Deutschland“, sagt Vigit schmunzelnd.
Je näher das Spiel der Türken rückt, um so mehr füllen sich die Plätze der Cafés und Bars in der Maxstraße - fast alle haben einen großen Fernseher aufgestellt. So ist es auch am Sonntag vor der Partie des Deutschen Teams. Augsburgs Prachtmeile wird plötzlich zur Fußballmeile, einer Art Straßen-Public-Viewing. Dann kommt doch noch mehr EM-Stimmung auf. Am Samstagabend fühlen sich die Passanten in dem Trubel wohl, "es sei einfach Leben auf der Straße", sagt eine Frau Mitte 40. Gestört fühlt sich in diesen Stunden offenbar niemand. Es ist friedlich und Platz für alle. Während die Fußballfans gebannt auf die Bildschirme schauen, fährt eine alte Straßenbahn samt Blasmusiker an Bord als "Sonderfahrt" durch die Maxstraße, vor den Fuggerhäusern posieren Touristen für ein Gruppenfoto und das "Team Braut" zieht mit seinem Junggesellinnenabschied an den Fußballfans vorbei.
Fans verschiedener Nationen feiern in Augsburg friedlich die EM
Durch die Europameisterschaft sei ein höheres Personenaufkommen im öffentlichen Raum zu verzeichnen und es werde gefeiert. Die Stimmung sei aber eindeutig freudig und friedlich, sagt Augsburgs Ordnungsreferent Frank Pintsch. So ist es auch an diesem Abend. Als feststeht, dass die Türken gegen Portugal verlieren und der Autocorso mit dem einsetzenden Regen sprichwörtlich ins Wasser fällt, bleibt die Stimmung dennoch positiv. Yasarhan, Kerem, Vigit und Tamer sind weiter gut drauf. "Portugal war zu stark, das muss man anerkennen. Der Spaß ist doch das Wichtigste, da ist kein Platz für Streit", sagt einer von ihnen. Als erstmals an diesem Abend eine kleine Gruppe Portugiesen lautstark den Sieg feiert, werden sie von türkischen Fans abgeklatscht, einer von ihnen hat zum Fantrikot eine Lederhose kombiniert. Die Polizisten, die sich sicherheitshalber in der Maxstraße positioniert haben, beobachten die Szene aus der Distanz und stellen sich gedanklich schon mal auf das nächste EM-Highlight in der Maxstraße ein: die Partie der Deutschen gegen die Schweiz am Sonntagabend.