Der Anruf in der Einsatzzentrale der Polizei trifft Samstagabend kurz nach Mitternacht ein. Schlägerei in einer Seitenstraße am Königsplatz. Die Gegend mit einer großen Kneipendichte gilt als "heißes Pflaster". Mehrere Funkstreifen rasen zum Einsatzort. Vorsorglich wird ein Unterstützungskommando (USK), wie bei Spielen der Fußballbundesliga, angefordert. Es herrschte "Chaos", beschreibt acht Monate später ein junger Polizist vor Gericht die Situation. Angelockt durch eine lautstarke Auseinandersetzung auf der Straße haben sich Besucher umliegender Kneipen eingefunden, verfolgen wie Sanitäter eine Frau behandeln. Die 17-Jährige blutet im Gesicht.
Eine andere junge Frau sitzt an diesem Nachmittag auf der Anklagebank des Amtsgerichts. Die 28-Jährige ist ohne Anwalt erschienen. Der Staatsanwalt wirft ihr vor mit einem Maßkrug zwei Menschen verletzt zu haben. Erst einen Mann, der durch einen Schlag auf den Hinterkopf kurzzeitig das Bewusstsein verlor. Im einsetzenden Tumult traf es dann die junge Frau. Ein in die Menge geschleuderter Bierkrug verletzte sie im Gesicht. Der Staatsanwalt hat gefährliche und fahrlässige Körperverletzung angeklagt. Dafür können Gerichte Haftstrafen verhängen.
Angeklagte bestreitet vor dem Augsburger Gericht den Schlag mit Bierkrug
Doch stimmen die Vorwürfe der Anklage? Die Angeklagte bestreitet den Schlag mit dem Bierkrug. Sie sagt aus, sie habe, um zu rauchen, das Lokal verlassen. Draußen sei ihr ein Mann entgegengekommen, der sie begrabscht habe. Erst griff er mir an die Brust, dann in den Schritt. Ich habe ihn weggestoßen, schildert die 28-Jährige die Situation, dabei habe sie den Krug "hochgeschmissen". Er traf die in der Nähe stehende Freundin des Mannes. Diese erlitt durch Scherben eine Schnittwunde, die genäht werden musste.
Den Schlag mit Maßkrug hat die 17-Jährige nicht gesehen. Ihr Freund habe aber davon erzählt, berichtet die Zeugin. Und sie erwähnt noch, dass ihr Freund später zum Arzt gegangen sei, um sich Schmerzmittel verschreiben zu lassen.
Prozess in Augsburg: Der Zeuge erscheint erst nach dem Urteil
Was stimmt? Die Aussagen der Angeklagten und der Zeugin widersprechen sich. Weiterhelfen könnte hier das Opfer. Doch trotz zweimaliger Sitzungsunterbrechung wartet das Gericht vergeblich auf den jungen Mann. Da der Staatsanwalt einverstanden ist, stellt Richterin Andrea Hobert das Verfahren ein. "Weil die gefährliche Körperverletzung, der schwerwiegendste Vorwurf, sich nicht sicher nachweisen lässt." Schon vor dem Prozess hat die Angeklagte, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, der Schülerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 3500 Euro zugesichert. Was für das Gericht Grund genug ist, sie nicht wegen gefährlicher Körperverletzung zu verurteilen. Mit der Aussage des Geschädigten hätte das Urteil ganz anders ausfallen können. Doch der Zeuge taucht erst in dem Moment auf, als das Urteil verkündet ist.