Urmel aus dem Eis, Jim Knopf, Räuber Hotzenplotz: Die Augsburger Puppenkiste ist für viele Bühnenstücke und Filme weit über die Region hinaus bekannt. Spannend geht es aber auch hinter den Kulissen zu. Dort arbeitet ein eingespieltes Team daran, dass jede Puppe und Kulisse auf den Punkt hergerichtet ist und bei den Aufführungen alles funktioniert. Jede Puppenspielerin und jeder Puppenspieler übernimmt dafür nicht nur die Rollen der Marionetten. Ob im Malsaal, in der Werkstatt oder auf dem Dachboden des Marionettentheaters: Viele Arbeiten bleiben dem Publikum verborgen. Zwei Mitarbeiter und eine Mitarbeiterin haben uns mit hinter die Bühne genommen.
Das Team der Puppenkiste setzt sich aus vielen Leuten zusammen, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen - und so verschieden sind wie die Figuren auf der Bühne. Einer von ihnen ist Andreas Ströbl. Der 55-Jährige ist seit 2003 bei der Puppenkiste. Der gebürtige Straubinger ist mit den Stücken des Marionettentheaters aufgewachsen und schon in der Kindheit mit Musicals in Kontakt gekommen. So zog es ihn später auch auf die Bühne. Er ließ sich zum Tänzer ausbilden, hat an verschiedenen Opern gearbeitet und Gesangsunterricht genommen. Auch in Musicals und im Tanztheater trat er auf. Mit Mitte 30 hatte er schließlich genug von ständigen Umzügen. Er wollte beim Theater bleiben, erinnerte sich an seine Kindheit zurück - und landete bei der Puppenkiste. Ihn fasziniere vor allem die Art des Spielens, sagt Ströbl. "Die Illusionsform und der Stil der Figuren inspirieren mich."
Wer sich verheddert,schneidet kurzerhandeinen Faden ab
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Als Puppenspieler kann Ströbl seine Theatererfahrung einbringen. Doch auch hinter der Bühne hat er Aufgaben: Er arbeitet unter anderem am Einfädeltisch, wo die Puppen aufgeschnürt werden. Jede Figur ist mit mindestens zehn Fäden mit dem Spielkreuz aus Holz verbunden. Je nachdem, wie viele Bewegungen eine Figur zusätzlichen beherrschen muss, können es auch noch mehr sein. Dass man sich ab und an beim Spielen verheddert, gehöre dazu. Ströbl verrät, dass jeder auf der Spielbrücke aus diesem Grund immer ein wichtiges Utensil bei sich trägt: eine Schere. Wenn sich während eines Stücks ein Faden so verfängt, dass man die Figur nicht losbekommt, so wird er kurzerhand abgeschnitten. Zwar kann eine Marionette dann für ein paar Minuten mal ein Bein nicht mehr heben oder die Hand nutzen - das fällt aber weit weniger auf als das Stück zu unterbrechen. Sobald sich die Situation ergibt, wird der Faden dann schnell ersetzt.
Nicht nur das Einfädeln muss schnell geschehen. Auf der vorderen und hinteren Spielbrücke stehen teilweise mehrere Personen auf einmal, müssen auch mal ein Spielkreuz weiterreichen. Etwa dann, wenn eine Figur von vorne bis ganz hinten auf der Bühne läuft - und die Armlänge des Puppenspielers dafür nicht ausreicht. Auch die Kulisse muss immer wieder in Sekundenschnelle umgebaut werden. "Alles ist wie ein präzises Uhrwerk. Da muss jeder wissen, was er tut", sagt Ströbl.
Abseits der Aufführungen bleibt jedoch auch Zeit, um sich in Rollen hineinzuversetzen oder Figuren und Kulissen zu gestalten. Das weiß Ströbl besonders zu schätzen: "Detailverliebtheit ist ein Kennzeichen der Puppenkiste", sagt er. So kann er sich auch immer wieder gestalterisch einbringen und hat so beispielsweise Gespensterpuppen für ein Stück entworfen. Zu seinen Hauptaufgaben gehört aber auch die Verwaltung und Logistik in den Puppenräumen. Wenn Figuren nicht mehr auf der Bühne gebraucht werden, weil neue Stücke aufgeführt werden, dann verpackt Ströbl diese in Tüten und versorgt sie in den Lagerräumen. Gelegentlich ist er auch Sprecher für verschiedene Rollen. Das gibt ihm dann noch mehr Spielraum, eine Rolle zu entwickeln: "Wenn man selbst einen Charakter gestalten kann, ist das schon sehr schön." Selbst seine Leidenschaft fürs Tanzen kann er immer wieder einbringen. Für verschiedene Kabarettstücke hat Ströbl bereits Tanznummern choreografiert.
"Man kann sich künstlerischin jeder Form austoben."Katrin Freund
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Auch bei Katrin Freund war nicht von Anfang an klar, dass sie einmal in der Puppenkiste arbeiten würde. Sie ist eigentlich Biologin. Die 37-Jährige, die aus Kissing kommt, hat sich aber bereits früher für das Künstlerische interessiert. Sie malte und bastelte gerne und baute zu Schulzeiten eigene kleine Marionetten und schrieb kurze Stücke. Eine Zeitungsannonce hat sie schließlich zur Puppenkiste gebracht. Seit 2016 gehört sie zum Ensemble des Figurentheaters - und ist bis heute von der Arbeit fasziniert. "Man kann sich künstlerisch in jeder Form austoben."
Das hat auch damit zu tun, dass die Puppenspielerin besonders viel im Malsaal zum Einsatz kommt. Dort bemalt sie die Kulissen für neue Stücke und kümmert sich um alles, was mit Farbe und Lacken zu tun hat. Wenn eine Kulisse produziert wird, dann kommt das in Form gebrachte Holz bei Freund auf den Tisch. Mit Styropor kaschiert sie dieses und macht aus den zweidimensionalen Brettern eine dreidimensionale Marionettenwelt. Die Kulissen werden für ein realistischeres Aussehen mit Nesselstoff überzogen und dann bemalt. Dabei variiert es sehr, wie lange es dauert, um verschiedene Kulissen herzustellen. "Es gibt sehr minimalistische Kulissen, aber auch sehr naturalistische", erklärt Freund. Doch nicht nur Kulissen werden bemalt. Für das Kabarett hat Freund zuletzt etwa das berühmte Gemälde "Der Schrei" von Künstler Edvard Munch nachgemalt.
In die Rollen von Figuren zu schlüpfen ist für Freund ein großer Vorzug ihrer Arbeit. "Im Puppenspiel kannst du alles sein", sagt sie - ob Frau oder Mann, Tier oder Fantasiewesen, groß oder klein. Im Schauspiel sei man dagegen an den eigenen Körper gebunden. "Ein gutes Stück macht aus, dass für alle etwas dabei ist", findet Freund, für Kinder wie auch für Erwachsene. Beim Rumpelstilzchen führt Freund zwei Figuren - den Esel und Edeltraud - und ist mit dafür zuständig, dass die Kulisse schnell umgebaut wird, wenn ein Szenenwechsel stattfindet. Trotz ihrer sechs Jahre bei der Puppenkiste sei das Spielenlernen "noch immer ein Prozess", so Freund. Sie nimmt weiterhin Übungsstunden, in denen Bewegungen geprobt, erlernt oder zur Perfektion einstudiert werden.
"Die Schwierigkeit ist,alles gleichzeitig umzusetzen."Hans Kautzmann
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Einer, der anderen in der Puppenkiste das Spielen beibringt, ist Hans Kautzmann. Der 55-jährige Augsburger ist ein echtes Urgestein des Ensembles, gehört diesem seit 1990 an. Mit dem Spielkreuz umzugehen, sei nicht einfach, sagt er. "Die Schwierigkeit ist, alles gleichzeitig umzusetzen." Es dauere etwa ein bis zwei Jahre, bis man eine Marionette gut spielen könne - bis man eine Hauptrolle übernehme, vergingen oft um die sechs Jahre. Doch Kautzmann ist nicht nur Lehrer in der Puppenkiste, sondern als Alleskönner gefragt. Er arbeitet besonders oft in der Werkstatt, repariert dort Requisiten oder baut neue Kulissen. Man findet ihn aber auch immer wieder im Malsaal, im Museum der Puppenkiste, manchmal auch im Tonstudio, in der Schneiderei oder in der Requisite auf dem Dachboden.
Vor seiner Zeit in der Puppenkiste hatte Kautzmann eine technische Laufbahn eingeschlagen –- Bauingenieurwesen. Das hilft ihm bei seiner Arbeit. In den drei Jahrzehnten in der Puppenkiste hat er aber noch viel Handwerkliches dazugelernt und sich selbst viel beigebracht. Die Arbeit in der Werkstatt mit immer neuen Stücken und Kulissen bringe eine große Vielfältigkeit und Abwechslung mit sich, die Kautzmann sehr schätzt.
Wegen Geldsorgen ist die Zukunft der Augsburger Puppenkiste ungewiss. Warum es dennoch Grund für Optimismus gibt, verrät Puppenkiste-Chef Klaus Marschall im Podcast "Augsburg, meine Stadt". Außerdem sagt er, warum das Figurentheater auch nach 75 Jahren noch fasziniert und was passiert, wenn während einer Vorstellung ein Faden reißt.
Zwar spielt der Augsburger inzwischen etwas weniger als früher, doch seine Faszination ist nach wie vor ungebrochen. Das Besondere sei, nicht sich selbst zu präsentieren, sondern in eine Rolle hineinzuschlüpfen, so Kautzmann, "dabei werden die Ebenen aufgehoben, der Mensch hinter der Figur verschwindet". Besonders gerne mag Kautzmann die Halunken aus den vielen Stücken. "Das sind auch die spannenderen Rollen", sagt er schmunzelnd. So mag er etwa den Räuber Hotzenplotz: "Es ist sehr schwer, einen Bösewicht so zu erschaffen, dass er trotzdem noch liebevoll und lustig ist."