Der selbst ernannte „Präsident“ hat schütteres Haar, er trägt Karohemd und einen blauen Pullover, eine Lesebrille sitzt tief auf seiner Nase. So sieht der Mann aus, den die Bundesanwaltschaft als den Kopf einer neuen rechten Terrorgruppe bezeichnet. Andreas H., 57, aus Augsburg wirkt gelassen, als er am Mittwoch von Polizeibeamten in den Gerichtssaal geführt wird. Dabei steht ihm und drei weiteren Angeklagten ein langer Prozess bevor. Mehr als 30 Sitzungstage sind vorgesehen, bis in den Herbst soll vor dem Oberlandesgericht in München verhandelt werden. Eine Frage schwebt über allem: Wie gefährlich sind die Angeklagten wirklich?
Ermittler zapfen Telefone an und fangen Internet-Nachrichten ab
Gefunden haben sich Andreas H. und seine Mitstreiter vor gut zwei Jahren über das Internet, vor allem über Facebook. Dort, so steht es in der Anklage, hetzen sie sich gegenseitig auf in ihrem Hass auf Asylbewerber, Muslime und den Staat. Die Internet-Kameraden schließen sich zu einer Gruppe namens „Oldschool Society“ – kurz OSS – zusammen. Der Verfassungsschutz wird auf die Truppe aufmerksam, das Bundeskriminalamt beginnt zu ermitteln.
Die Ermittler setzen dabei neueste Technik ein: Sie zapfen Telefone an und fangen Internet-Nachrichten ab. Womöglich platzieren die Ermittler auch Informanten direkt in der Gruppe. Auffällig sei zumindest, so heißt es, dass zwei Personen einige Zeit eifrig im Internet mit den anderen OSS-Mitgliedern diskutieren – aber kurz vor der Razzia gegen die Gruppe aussteigen.
Der Zugriff erfolgt am 6. Mai vorigen Jahres, weil sich die Gruppe zwei Tage später in der sächsischen Kreisstadt Borna treffen will. Die Mitglieder schwadronieren in den Tagen zuvor davon, dass man dort eine „Aktion“ durchziehen könnte, von einem Anschlag auf ein Asylbewerberheim ist die Rede. Zwei der Angeklagten, Markus W. und Denise G., haben in Tschechien Böller besorgt, die in Deutschland wegen ihrer Sprengkraft verboten sind. In einem Telefonat mit Andreas H. schildert W. seine Idee, die Böller mit Nägeln zu bekleben und sie so viel gefährlicher zu machen. „Wäre schon so nach meinem Geschmack“, lautet Andreas H.s Antwort.
Gescheiterte, vom Leben gebeutelte Existenzen
Es sind gescheiterte, vom Leben gebeutelte Existenzen, die da auf der Anklagebank sitzen. So viel wird am ersten Prozesstag deutlich. Vizepräsident Markus W., 40, aus Borna hat drei Kinder von drei Frauen. Als sein Vater stirbt und seine Mutter kurz darauf einen neuen Mann liebt, hat er dessen Auto „zerlegt“, erzählt er freimütig. Als er als Abbruchhelfer arbeitet, stürzt eine Wand auf ihn, er liegt im Koma. Später ist er arbeitslos gemeldet, arbeitet aber als Sicherheitsmann unter anderem in einem Asylheim – gegen Barzahlung. Olaf O., 48, aus Bochum verdient als Arbeiter bei Opel gut. Doch ein Hirntumor und eine lange Chemotherapie sorgen für den Abstieg. Als Hartz-IV-Empfänger sei er abgestempelt gewesen, klagt er.
Andreas H., der vor seiner Verhaftung im kleinen, ländlich geprägten Augsburger Stadtteil Bergheim lebte, kommt am ersten Prozesstag noch nicht zu Wort. Beamte der Spezialeinheit GSG 9 hatten H. am 6. Mai 2015 frühmorgens in seiner Wohnung überrascht. Gegenüber den Ermittlern hat er seither geschwiegen. Doch seine Anwälte Michael Rosenthal und David Herrmann deuten an, dass er im Prozess eine Aussage machen wird. Vermutlich wird Andreas H. sich als eine Art „Maulheld“ darstellen wollen. Als einer, der zwar im Netz Reden schwang und gegen Ausländer hetzte, aber keine konkreten Pläne für Gewalttaten hatte. Dagegen spricht, dass seine Mitstreiter bereits die Böller besorgt hatten. 72 Feuerwerkskörper wurden in Markus W.s Wohnung in Borna gefunden.
Auch Andreas H., der in Augsburg als Maler arbeitete und NPD-Mitglied war, hat offenbar eine bewegte Lebensgeschichte. Nach Informationen unserer Zeitung saß er wegen Brandstiftungen, die keinen rechten Hintergrund gehabt haben sollen, schon einmal in Straubing im Gefängnis. Aus Justizkreisen heißt es, er soll er sich dort – zur Belustigung anderer Häftlinge – als Frau verkleidet haben. Ein Psychiater soll sich im Prozess noch zu seinem Geisteszustand äußern. H.s Nachbarn blieb die rechte Gesinnung nicht verborgen. Auf der Heckklappe seines alten Mercedes prangte ein Aufkleber mit einem Reichsadler und den Initialen „A. H.“ in Frakturschrift. Meinte er damit Adolf Hitler? Oder doch eher sich selbst als einem neuen rechten Anführer?