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Augsburg: Pflege-Expertin zur Ebnerstraße: "Das Heim mit dem schlechtesten Ruf Augsburgs"

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Pflege-Expertin zur Ebnerstraße: "Das Heim mit dem schlechtesten Ruf Augsburgs"

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    Was hat sich in dem Augsburger Pflegeheim abgespielt? Die Berichte über eklatante Missstände häufen sich.
    Was hat sich in dem Augsburger Pflegeheim abgespielt? Die Berichte über eklatante Missstände häufen sich. Foto: Bodo Schackow, dpa (Symbolbild)

    Johanna S. sagt, sie ertrug es irgendwann nicht mehr, wie mit den alten Menschen umgegangen wurde. "So werden nicht mal Tiere behandelt." Die junge Frau sagt, sie habe als Pflegekraft im Seniorenheim Ebnerstraße gearbeitet. Nach einigen Monaten kündigte sie. Was sie dort erlebt habe, verfolge sie bis heute. Seitdem hat Johanna S. (Name geändert) nicht mehr in der Pflegebranche gearbeitet. Sie weiß noch nicht, ob sie überhaupt je dahin zurückkehren wird. Jetzt, wo die angeblichen Missstände an die Öffentlichkeit geraten, traut sich die junge Frau darüber zu sprechen. Ihr erschütternder Bericht und warum sich manche Angehörige in ihrem unguten Gefühl bestätigt fühlen.

    Oft habe sie sich gegen die Missstände in dem Seniorenheim gerichtet, sich an Heimleitung und an ihre Kolleginnen und Kollegen gewandt - ohne Erfolg. Mitunter sei sie sogar eingeschüchtert worden: Dass sie in der Branche keinen Job mehr finde, wenn sie etwas nach außen lasse. Dabei hätte Johanna S. schon vor einigen Monaten viel zu erzählen gehabt. Nun, nach den aktuellen Veröffentlichungen, wagt sie es. Wie berichtet, soll es massive Missstände bei der Pflege der Bewohnerinnen und Bewohner in der Ebnerstraße geben.

    Eine Schließung des Augsburger Heimes Ebnerstraße ist nicht ausgeschlossen

    Die Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände spricht von "schwerwiegenden Qualitätsdefiziten", die bei Prüfungen festgestellt, nach deren Beanstandung aber zunächst nicht beseitigt wurden. Eine Schließung des Heimes wird nicht ausgeschlossen. Ähnliches ist von städtischer Seite zu hören. Bei einer "engmaschigen Kontrolle" durch (die im Augsburger Gesundheitsamt angesiedelte, An.d.R.) Heimaufsicht seien Mängel in der Pflege festgestellt und Maßnahmen zur Behebung festgelegt worden, konstatiert Augsburgs Gesundheitsreferent Reiner Erben (Grüne) auf Nachfrage. Er spricht von einer "unakzeptablen Entwicklung" in der Einrichtung. Welche Zustände sich hinter dem Behördendeutsch möglicherweise verbergen könnten, kann man nur erahnen, wenn man der einstigen Pflegekraft zuhört.

    Das Seniorenheim Ebnerstraße im Augsburger Stadtteil Oberhausen steht in den Schlagzeilen.
    Das Seniorenheim Ebnerstraße im Augsburger Stadtteil Oberhausen steht in den Schlagzeilen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die hygienischen Missstände seien das eine, meint Johanna S. "Es gibt kaum frische Materialien, wie Bettunterlagen oder Handschuhe. Manche Bewohner lagen mehrere Tage auf ihren nassen Unterlagen." Die Teppichböden in den Zimmern seien in schlimmen Zuständen. Die alten Leute seien von Mitarbeitenden mitunter auch hart angepackt worden. Beim Essen habe es bisweilen altes, hartes Brot gegeben. Nach einigen Monaten habe sie gekündigt, erzählt sie. Ihre Mutter schildert, wie sich ihre Tochter immer wieder weinend bei ihr meldete. Sie, die Mutter, habe dann anonym bei der Heimleitung angerufen, um auf die Zustände hinzuweisen. Sie habe ihre Tochter nicht in Schwierigkeiten bringen wollen, sagt sie. "Es hieß immer, man gehe der Sache nach. Aber passiert ist nichts." Kontrolleure seien nur in die unterste Etage geführt worden. "Dafür hatte man alle Materialien zusammengekratzt", sagt Johanna S.

    Die "Ebnerstraße", wie das Heim kurz genannt wird, zählt zu den günstigsten Pflegeeinrichtungen in Augsburg. "Es war das Billigste. Etwas anderes konnten wir uns für unseren Vater nicht leisten", sagt ein Augsburger, der nicht genannt werden will. Sein Vater sei inzwischen verstorben. Manchmal habe er aber kein gutes Gefühl bezüglich des Heimes gehabt. "Oftmals gab es für meinen Vater kein Wasser, der SOS-Knopf am Bett war hochgebunden und für ihn unerreichbar." Zwei Mal sei sein Vater von der Toilette gefallen und habe ins Krankenhaus gemusst, einmal mit Blutergüssen im Gesicht. Jetzt, mit dem Wissen um die Missstände dort, hinterfrage er das Heim noch mehr. Das tut jetzt auch Michaela K. (Name geändert). Sie macht sich Sorgen um ihre Oma.

    Laut dem Augsburger Seniorenheim gibt es derzeit Besuchsverbot wegen Corona

    Einen Tag, nachdem Augsburger Allgemeine und der Bayerische Rundfunküüber das Heim berichtet hatten,wollte K. ihre Großmutter besuchen. Doch sie wurde nicht ins Heim gelassen - es gebe einen Corona-Ausbruch, sei ihr gesagt worden. Eine Mitarbeiterin des Heims bestätigt das unserer Redaktion am Telefon. Es ist bislang die einzige Stellungnahme, die auf mehrere Anfragen per Mail und Telefon erfolgte. Der Heimleiter war bis jetzt für unser Redaktion nicht zu erreichen. Für Michaela K. ist der Corona-Fall ein Vorwand. "Das ist die einfachste Lösung, um dort jetzt niemanden hineinzulassen." Manches sei ihr in dem Seniorenheim Ebnerstraße komisch vorgekommen, berichtet Michaela K.

    Die verschwundenen Kleider und Hygieneartikel etwa, die sie der Oma gebracht hatte. Vor allem aber die zwei Hüftbrüche, die die Seniorin in der Einrichtung erlitten habe. "Niemand konnte uns eine ordentliche Erklärung geben. Da wurde ausgewichen", erzählt sie. Sie und die Familie hätten nie etwas Handfestes für eine Beschwerde gegen das Heim gehabt - nur dieses Gefühl. "Wenn ich das jetzt lese, fügt sich einiges zusammen." Das Seniorenheim in der Ebnerstraße hat seit vielen Jahren kein gutes Image. "Es ist das Heim mit dem schlechtesten Ruf in der Stadt", meint eine Frau, die seit vielen Jahren Einblick in Augsburgs Pflegebranche hat.

    Massive Kritik an der Heimaufsicht wegen Zuständen an der Ebnerstraße

    Auch sie will namentlich nicht genannt werden, sagt aber, sie habe eine "Sauwut" auf die städtische Heimaufsicht. "Dort wurde auf ganzer Linie versagt. Die Kontrollen sind lasch ohne Ende", so ihr Vorwurf. Besonders tragisch finde sie, dass nach der Schließung des Skandalheims am Schliersee vergangenen Herbst an die 20 Bewohner von dort in das Augsburger Heim gebracht wurden und auch Mitarbeiter mitkamen. "Logisch, dass sich die Missstände fortsetzen." Als Heimaufsicht müsse man doch alle zwei Tage dort mitarbeiten, um mitzukriegen, was dort passiert. Sie sehe keine andere Möglichkeit, als dem Träger das Heim zu entziehen und dafür einen neuen zu finden. Johanna S. ist froh, dass der Fall nun an die Öffentlichkeit kam. Das Schlimmste, sagt sie, war zu wissen, dass die alten Menschen dort weiter leben müssen.

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