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Augsburg: Ohne Ansage - Konzertpianist spielt auf den Straßenklavieren

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Ohne Ansage - Konzertpianist spielt auf den Straßenklavieren

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    Eine Touristengruppe am Herkulesbrunnen weiß nicht, ob Knauers Darbietung zur Führung gehört.
    Eine Touristengruppe am Herkulesbrunnen weiß nicht, ob Knauers Darbietung zur Führung gehört. Foto: Ulrich Wagner

    Das Experiment beginnt am Herkulesbrunnen. Ist das ein gutes Omen? Schließlich hat der antike Held ja durch pure physische Kraft die Welt bewohnbarer gemacht, und in dieser Versuchsanordnung geht es um das Gegenteil. Nicht die Gewalt, sondern die Musik soll die Welt verzaubern. In Augsburg stehen zehn Klaviere im öffentlichen Raum: Was passiert dort, wenn ein Vollprofi daher schlendert und ohne Vorankündigung spielt? Weltniveau gratis – steht die Stadt da kopf? Erkennt sie den Meister?

    Am Klang-Klavier, so haben die Gestalter es für die Aktion „Play me, I’m yours“ getauft, fängt alles an. Der Konzertpianist Sebastian Knauer trägt heute keinen Frack, sondern schwarze Jeans, weißes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, zwei Knöpfe offen. Er hält kurz inne, dann konkurriert Franz Schuberts Ges-Dur-Impromptu mit Herkules um die Aufmerksamkeit der Touristengruppe, die sich den Helden gerade ansieht. Alle haben einen Knopf im Ohr, die Gruppenleiterin erläutert über das Funksystem kunsthistorische Details. Auf dem anderen Ohr hören die Touristen Schubert. Immer wieder schauen sie herüber. Gehört diese Musik zur Führung oder nicht? Fotoapparate werden gezückt, es wird abgedrückt. Sicher ist sicher.

    Dem Straßenklavier fehlt das Volumen

    Knauer schafft um sich ein kleines Reich der Musik. Klar, das öffentliche Klavier kann mit einem Konzertflügel nicht mithalten, dem Straßenklavier fehlt das Volumen, um sich gegen den Verkehr zu behaupten. Knauer verausgabt sich, er spielt kräftiger, als er das im Konzertsaal getan hätte, gegen die Straße kommt er nur bedingt an.

    Als wir den in Hamburg lebenden Konzertpianisten Sebastian Knauer angefragt haben, ob er für uns an den öffentlichen Klavieren spielen könne, hat er sofort zugesagt. Für sein nächstes Festival Mozart@Augsburg im September stand sowieso ein Augsburg-Termin im Kalender. Die Reaktionen seines Publikums hier in den Konzertsälen kennt er bereits, jetzt schaut er, wie die Passanten in der Innenstadt auf seine Musikkunst reagieren.

    Es gibt Applaus für Sebastian Knauer

    Das größte Hindernis, das sich dabei stellt, sind die Instrumente. „Die müssten verstärkt werden“, sagt Knauer am Herkulesbrunnen. Der Klang reicht über die Verkehrsinsel nicht hinaus. Der Pianist spielt für sich, selbst die am lautesten gespielten Passagen wirken leise bis moderat. Kontraste entfalten, den ganzen Zauber der Musik, das ist so fast unmöglich. Hier, auf der Straße, schweigt niemand, wenn der Künstler sein Werk beginnt. Hier muss der Konzertpianist sich gegen das anbrandende Hintergrundrauschen der Großstadt behaupten, und sein Werkzeug dazu ist denkbar leise.

    Am Martin-Luther-Platz spielen zwei Mädchen auf dem Augsburg-Klavier, als Knauer dazukommt. Der Flohwalzer, immer wieder nur der Flohwalzer, mal ein paar Takte lang, mal nur der Anfang. Zwischendrin werden Kirschen gegessen. „Den habe ich nie gespielt. Aber meine Tochter spielt ihn rückwärts und vorwärts. Der Komponist müsste Milliardär sein“, sagt Knauer. Hier an dem Platz ist das Klavier deutlicher zu vernehmen. Der Schall kommt von den umliegenden Häusern zurück. Als das Instrument frei wird, versucht es Knauer mit Beethoven. Aber schon wartet die nächste Hürde. Die weißen Beläge der Tasten sind an einigen Stellen abgeschlagen, das irritiert, und noch schlimmer: Es fehlen Töne. Knauer schlägt, nichts klingt.

    Der Zuhörer glaubt natürlich, der Pianist spielt schlecht. Also erfindet Knauer einen eleganten Übergang zurück zu Schuberts Impromptu. Das klingt hier immer noch. Passanten bleiben stehen. Ein Zuschauer steht wie verzaubert nur anderthalb Meter von Knauer entfernt und schaut auf die Hände, nur auf diese Hände, die mühe- und schwerelos die richtigen Töne finden. Applaus für den Meister, eine kleine Verbeugung fürs Publikum. Ein Mann fragt: „Sie sind doch gemeinsam mit Daniel Hope aufgetreten?“ Knauer: „Ja, ich bin Sebastian Knauer und veranstalte das Festival Mozart@Augsburg.“

    In den Bäumen geben die Krähen den Chor der Großstadt

    Ein junger Mann spielt am Königsplatz das Typografie-Klavier. Immer wieder setzt er ein paar Takte an, aber gleich wieder ab. Ein Raten? Ein Tasten? Wird die große Langeweile des Nachmittags am Instrument überbrückt? Das eine Bein hat er lässig über das andere gelegt, Konzerthaltung sieht anders aus. Oben in den Bäumen geben die Krähen den Chor der Großstadt. Straßenbahnen rollen vorbei.

    Nur im intimen Radius von ein paar Metern ist das Klavier zu vernehmen, eine winzige Oase des Wohlklangs in der derben Sinfonie der Großstadt. Als das Instrument frei wird, rollt ein Krankenwagen mit Blaulicht an. Er hält ein paar Meter weiter, dort, wo die Trinkerszene sich trifft. Knauer nimmt den Wettkampf an. Wer gewinnt? Das Klavier oder der Notfalleinsatz? Eine Frau mit Transportrad und Kind hält, ein Skater bremst und lässt sich mitnehmen von Schubert, dieses Mal ein anderes Impromptu. Aber der Rettungswagen hat die Nase vorn. Die Schaulustigen dort sind in der Mehrzahl.

    Also weiter. Das Weiter gehört in Knauers Leben fest dazu. Rostock, Leipzig, Zürich, München waren die Stationen der letzten Tage. Dreimal Gershwin, einmal Bach. Bach hat Knauer gerade eben als CD eingespielt. Am Rathaus ist das Fox Trott nicht belegt. Die umliegenden Cafés sind voll. Die Gäste an dem Tisch direkt neben dem Klavier können Knauer hören, auch die Flaneure, die am Augustusbrunnen sitzen. Aber selbst hier kommt es zu keinem Menschenauflauf. Wie auch? Man hört Knauer einfach nicht mehr in einer Entfernung von zehn Metern. „Schade“, sagt Knauer. „Da wäre mehr drin gewesen.“

    Auf zum letzten Versuchsort. Der Rote Oktopus steht in der City-Galerie, also in einem geschlossenen Raum. Allerdings ist der Platz zwischen dem Saturn-Markt und der Eisdiele tückisch. Bevor sich Knauer ans Instrument begibt, interessiert ihn eine andere Frage. Im Elektro-Fachhandel schaut er nach, ob dort seine neue Bach-CD zu kaufen ist. Dann könne der Kurzauftritt ja zu Werbezwecken genutzt werden. Ein Verkäufer fragt, ob er helfen könne. „Ja, ich suche meine neue CD“, sagt Knauer. „Und wie heißen Sie?“ Nein, es gibt nur eine große Auswahl von Lang Lang, die neue Bach-CD ist nicht dabei. Der Verkäufer sagt, dass das Sortiment nach dem Umbau noch nicht vollständig sei. Er geht zum Computer: „So, fünf CDs sind jetzt bestellt.“

    Das Klavier in der City-Galerie entfaltet einen größeren Klang. Es ist deutlich zu hören. Passanten bleiben stehen, als Knauer spielt. Die Menschen spüren, dass diese Darbietung nicht alltäglich ist, dass ein Meister seines Fachs sein Können zeigt. In den Piano-Passagen ist allerdings auch zu vernehmen, welches Klangvolumen eine Espressomaschine entfaltet. Trotzdem Applaus. Als Knauer schon gehen will, fragt eine Frau, zu welchem Klavier es jetzt gehe. Sie sei ihm die ganze Zeit mit ihrer Tochter gefolgt. Sie erfährt, dass das Experiment jetzt beendet ist. „Ich hätte mir gewünscht, dass mehr Menschen von der Musik in Bann gezogen werden“, sagt Knauer – und lacht. Es hat ihm sichtlich Spaß gemacht, fünfmal inkognito aufzutreten.

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