Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Nicht windelfrei? Mutter berichtet von Druck in Kindergarten

Augsburg

Noch nicht windelfrei? Mutter berichtet von Druck in Augsburger Kindergarten

    • |
    Bei der Entwicklung zum Trockenwerden hat jedes Kind sein eigenes Tempo. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig – eigentlich.
    Bei der Entwicklung zum Trockenwerden hat jedes Kind sein eigenes Tempo. Darin sind sich Expertinnen und Experten einig – eigentlich. Foto: Mascha Brichta, dpa (Symbolbild)

    Die junge Mutter am anderen Ende des Telefons ist hörbar aufgebracht. In schnellem Tempo erzählt sie, was in einem Augsburger Kindergarten passiert sein soll. Ihr Dreijähriger hatte gerade seinen ersten Tag in der Einrichtung, die Leiterin zeigte Mutter und Kind noch einmal die Räumlichkeiten, auch die Toiletten. Ihr Sohn sei noch nicht so weit, er trage Windeln, habe sie da gesagt. Die Pädagogin antwortete daraufhin nach Aussage der Mutter: "Das gibt es bei uns nicht. Ab Montag bitte windelfrei." Das Wochenende über seien die Aufregung und die Verzweiflung immer größer geworden, berichtet die Augsburgerin, die anonym bleiben möchte. "Mir war schon klar, dass das so schnell nicht klappen würde." Der nächste Besuch im

    In einem darauffolgenden Gespräch mit der Leitung der Augsburger Einrichtung habe es geheißen, dass der Dreijährige die vierwöchige "Probezeit" wohl nicht schaffe, sollte er nicht trocken werden. "Ich war einfach nur schockiert", sagt die Mutter. Die 32-Jährige habe den Kindergarten weinend mit den Sachen ihres Sohnes verlassen. Und die Eingewöhnung in den Kindergarten daraufhin abgebrochen.

    Im Augsburger Kindergarten war man überrascht von der Kündigung

    Die Leiterin des Kindergartens sei von der Kündigung überrascht worden, sagt diese gegenüber unserer Redaktion. Und weiter: "Jedes Kind, das bei uns angemeldet ist und den Anforderungen des Kindergartenalltags gewachsen ist, bekommt auch einen Platz." In dem konkreten Fall sei den Eltern ein weiteres Gespräch angeboten worden. "Wir sind uns bewusst, dass Kinder im dritten Lebensjahr keine absolute Sicherheit über ihre Körperfunktionen haben", so die Pädagogin. Die Einrichtung stünde Eltern mit Blick auf das Thema Sauberkeitserziehung beratend zur Seite. Auch bei der Stiftung Kita-Zentrum St. Simpert, Träger der Einrichtung, betont man: "Die pauschale Forderung, die Sauberkeitsentwicklung bis zum Alter von drei Jahren beziehungsweise zum Kindergarteneintritt weitgehend abgeschlossen zu haben, ist unrealistisch und ergibt wenig Sinn."

    Welche Sätze in diesem Fall tatsächlich gefallen sind, welche Gesprächs- und Unterstützungsangebote es gab oder nicht gab, lässt sich nur schwer nachverfolgen. Fest steht aber: Vielen Eltern, deren Töchter und Söhne in den Kindergarten kommen, macht dieses Thema Druck. Man muss nicht lange suchen, um solche Geschichten zu hören. Freundinnen und Freunde mit Kindern erzählen sie, Familienforen im Internet sind voll davon. Immer wieder ist von "Probezeiten" zu lesen, und sogar von einem Entzug des Platzes, sollte das mit dem Trockenwerden nicht klappen.

    "Windelfreiheit" kann durchaus Vertragsbestandteil sein

    Doch ist das überhaupt rechtens? Eine Sprecherin des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales verweist darauf, dass generell jedes Kind ab Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung beziehungsweise Kindertagespflege habe – "bedingungslos". Bei freien Trägern, darunter kirchliche und private, aber gelte Vertragsfreiheit. So könne "Windelfreiheit" durchaus zur Bedingung gemacht werden. Auch Kommunen seien bei der Gestaltung ihrer Satzungen grundsätzlich frei, solange sie "nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen".

    Christian Voigt ist Sprecher für Augsburg und Nordschwaben im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte.
    Christian Voigt ist Sprecher für Augsburg und Nordschwaben im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. Foto: Marcus Merk

    In den städtischen Kindertagesstätten in Augsburg werde ein "Offenes Konzept" verfolgt, das sich an der Entwicklung des jeweiligen Kindes orientiere, betont Martina Wild, Bürgermeisterin und Referentin für Bildung und Migration. "Bei der Sauberkeitserziehung geben die Kinder das Tempo vor", sagt sie. Erst nach der Eingewöhnung, wenn sich die Fachkräfte, die Eltern und Kinder aufeinander eingestellt hätten und auf allen Seiten Vertrauen geschaffen sei, werde das Thema angegangen. Die Eltern würden dabei stets einbezogen und auch in die Verantwortung genommen, damit die Sauberkeitserziehung auch zu Hause stattfinde.

    Kinderarzt Christian Voigt aus Stadtbergen betont ebenfalls, dass jedes Kind sein eigenes Tempo habe. Das Interesse an den eigenen Ausscheidungen beginne meist zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr. Erst dann, mit der entsprechenden Hirnreife, könne ein Kind überhaupt spüren, ob Blase oder Darm drücken – und der Lernprozess beginnen, dass dann die Toilette anzusteuern ist. Eltern sollten nicht drängeln, aber unterstützen. Viel Beratungsbedarf sieht der Mediziner in seiner Praxis nicht. Er habe generell das Gefühl, dass Windeln in den allermeisten Kindergärten kein Stressthema sei.

    Den Alltag der jungen Familie aus Augsburg habe die abgebrochene Eingewöhnung kurzzeitig "ganz schön auf den Kopf gestellt", erzählt die Mutter. Sie habe sich länger Urlaub nehmen und eine Lösung finden müssen. Ihr Sohn könne nun noch ein Jahr seine Kita besuchen, bevor er in einen Kindergarten wechsle.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden