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Augsburg: Auf dem Sheridan-Areal wird am Traum vom bezahlbaren Wohnen gearbeitet

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Auf dem Sheridan-Areal wird am Traum vom bezahlbaren Wohnen gearbeitet

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    Das Wohnprojekt "Sherlo" will 55 Wohneinheiten schaffen. Dabei soll auch sozialer Wohnraum für Flüchtlinge entstehen.
    Das Wohnprojekt "Sherlo" will 55 Wohneinheiten schaffen. Dabei soll auch sozialer Wohnraum für Flüchtlinge entstehen. Foto: Sherlo E.v.

    Wer aktuell das Baugelände im Augsburger Sheridan-Areal besichtigen will, der braucht festes Schuhwerk. Der Boden ist aufgeweicht vom vielen Regen und ein kräftiger Wind fegt über die noch brachliegenden Flächen. Vier Baufelder auf dem ehemaligen Kasernengelände hat die Stadt Stattdessen bekamen besondere Bau- und Wohnkonzepte den Zuschlag. Jetzt, gut ein Jahr später, werden die Pläne konkreter. Bei der Baugemeinschaft "Sheridan Park & Junia" geht es jetzt zum Beispiel um die Frage, welchen Anstrich die Fassade aus Holz einmal bekommen soll. Der kräftige Wind, der den Mitgliedern draußen ins Gesicht weht, passt auch zur allgemeinen Lage. Die Zinsen steigen, die Baupreise ebenso - dennoch wollen sie an dem Projekt festhalten. Bald schon sollen hier drei Mehrfamilienhäuser entstehen, für 2025 ist der Einzug geplant.

    Baugemeinschaft in Augsburg: Sie treffen sich alle 14 Tage

    "Mit oder ohne Maske?" Eine erste Frage, über die man in der Baugemeinschaft "Sheridan Park & Junia" an einem Dienstagabend im Gemeindesaal der Alt-Katholischen Gemeinde verhandeln muss. Hier, nahe am Baugrund, treffen sich die Mitglieder der Baugemeinschaft aktuell alle 14 Tage. Wer es nicht schafft, schaltet sich übers Internet per Videokonferenz dazu. 20 Parteien sind bereits Teil der Baugemeinschaft, wollen Wohnungseigentümer werden und haben sich zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen. 29 Parteien sollen es mal werden. Denn so viele Wohneinheiten will man auf dem Baugelände 9 des Sheridan-Areals, Ecke John-May-Weg und Siegfried-Aufhäuser-Straße, schaffen. Der Bebauungsplan sieht drei Wohnblocks vor, deren Gestaltung der Augsburger Architekt Frank Lattke übernommen hat. Auch um die Projektleitung kümmert sich ein Profi, sie wurde Michael Lehner von den Plan-Z-Architekten aus München übertragen. Hier ist man spezialisiert auf Baugemeinschaften.

    Wie soll die Fassade mal aussehen? Architekt Frank Lattke, Eva Bendl, Alois Bauer, Elena Merz und David Langenberger von der Baugemeinschaft "Sheridan Park & Junia".
    Wie soll die Fassade mal aussehen? Architekt Frank Lattke, Eva Bendl, Alois Bauer, Elena Merz und David Langenberger von der Baugemeinschaft "Sheridan Park & Junia". Foto: Silvio Wyszengrad

    Auch beim Wohnprojekt "Sherlo" will man als Gemeinschaft leben. Nachbarn, die sich tatsächlich kennen und mehr füreinander übrig haben als vielleicht mal ein paar Eier, Mehl oder eine Packung Salz. Doch der Weg dorthin erfordert hier viele Sitzungen und Gespräche. Viel zu besprechen gibt es bei "Sherlo" auch deshalb, wie die Gruppe die Organisation des Projekts selbst übernimmt. Alle zehn Tage treffen sich die Mitglieder zu einem Plenum. Um die Planung der Grundrisse und des Gebäudes kümmert sich ein Architekturbüro aus München.

    Das Wohnprojekt ist Teil des Mietshäuser-Syndikats. Eine Vereinigung, die deutschlandweit bisher 177 gemeinschaftliche Hausprojekte verwirklicht hat. Das Ziel bei jedem autonomen Projekt: Wohnraum einem spekulativen und auf Gewinn ausgelegten Immobilienmarkt entziehen. Das will man bei "Sherlo" durch die Gründung eines Vereins und einer Haus-GmbH erreichen. Der Verein, in dem die späteren Bewohnerinnen und Bewohner der drei Wohnhäuser Mitglied sind, und das Syndikat agieren als Gesellschafter der GmbH. Jeweils mit einem Vetorecht ausgestattet, ist der Verkauf an Dritte ausgeschlossen. Wer im Wohnprojekt wohnt, ist demnach Mieter und Vermieter in einem.

    Es gibt viel zu entscheiden: Die Sherlo-Gruppe trifft sich alle zehn Tage, um über Bauvorschläge und andere Ideen zu beraten (von links): Maria Branddurst, Sven Hartlaub, Marie Feitisch, Wolfgang Reiserer und Johannes Meyer.
    Es gibt viel zu entscheiden: Die Sherlo-Gruppe trifft sich alle zehn Tage, um über Bauvorschläge und andere Ideen zu beraten (von links): Maria Branddurst, Sven Hartlaub, Marie Feitisch, Wolfgang Reiserer und Johannes Meyer. Foto: Frank Sobottka

    Was die beiden Baugemeinschaften eint: Sie leiden unter den massiv gestiegenen Baukosten und dem aktuellen Zinsniveau. Unsicherheit macht sich breit. Die Angst, sich finanziell zu übernehmen, vielleicht aussteigen zu müssen. Doch Marie Feitisch von der Sherlo-Gruppe ballt die Faust, während sie sagt: "Ich entwickle da eher eine Jetzt-Erst-Recht-Mentalität." Auch bei der Baugemeinschaft "Sheridan Park & Junia" hält man zusammen. "Es hilft aktuell, die Gruppe zu haben", sagt Andreas Muxel. "Auch im kleinen Kreis kann man immer reden, wenn es einem zu viel wird." Mirko Winbeck sieht es ähnlich: "Was wir vorhaben, wie wir bauen, wohnen und leben wollen. Das ist definitiv ein Anker, der Halt gibt." Beide Gruppen haben sich mit der Zeit verändert. Mitglieder stiegen aus, neue kamen dazu. Bei manchen änderten sich die Lebensumstände, andere identifizierten sich nicht mehr mit dem jeweiligen Projekt.

    Es geht bei der Sherlo-Baugemeinschaft in Augsburg um mehr als nur Wohnraum

    Bei der Sherlo-Gruppe geht es nicht nur um das Bauprojekt in Pfersee, es geht den Mitstreitenden um mehr. Viel Idealismus klingt durch, wenn sie über ihre Pläne sprechen. Nur ein kleiner Teil der Gesellschaft könne sich steigende Mieten oder Eigentum noch leisten, kritisieren sie. "Menschen, die zum unteren Rand der Mittelschicht gehören, oder einen Migrations- beziehungsweise Fluchthintergrund haben, werden es nie schaffen", sagt Marie Feitisch. Die junge Mutter ist eine der Geschäftsführerinnen der Haus-GmbH. "Nicht die, die aktuell aktiv mitwirken, haben sich damit automatisch einen Platz im Haus reserviert", erklärt sie. "Wenn es mal steht, gibt es vielleicht andere Menschen in wesentlich prekäreren Situationen." Johannes Meyer ist mit am längsten beim Projekt dabei. "Die meisten arbeiten mit, ohne selbst einziehen zu wollen", sagt der Familienvater. "Das Projekt zu verwirklichen, sozialen und bezahlbaren Wohnraum schaffen, darum geht's!" Dafür arbeitet die Sherlo-Gruppe hart, neben Vollzeitjobs, Studium, Familienalltag. "Es ist teilweise wirklich anstrengend. Aber es lohnt sich", sagt Wolfgang Reiserer. Den 59-Jährigen frustriert, wie es Flüchtlingen oft ergeht: "Selbst wenn man einen Job hat, und finanziell okay dasteht, du findest nichts."

    In der Baugemeinschaft "Sheridan Park & Junia" haben sich Familien, Paare und Singles aller Altersgruppen gefunden. Gemeinsam zu bauen, spare Kosten, argumentieren sie. Der für die Gruppe wichtigste Vorteil: Die Nachbarn schon vor dem Einzug kennen. "Man geht einen Weg zusammen", sagt Kalliopi Garouba, die für das Büro Plan-Z Interessenten und neue Mitglieder der Baugemeinschaft berät. "Es entstehen Freundschaften, man zieht an einem Strang und realisiert gemeinsam ein Projekt." Während ältere Mitglieder sich einen gemeinschaftlichen Lebensabend wünschen, geht es den jungen Familien um den Nachwuchs, der zusammen groß werden soll. David Langenberger lebt mit seiner Familie seit vier Jahren in einem "normalen" Mehrfamilienhaus. "Hier kommen keine Bindungen zustande. Ob zwischen Nachbarn oder den Kindern", sagt er. Die Baugemeinschaft stehe auch in Kontakt mit den anderen Baugruppen. So sollen Angebote für das gesamte Quartier entstehen.

    Unterschiedliche Aufteilung der Wohnblocks in Augsburg

    Beide Gruppen wollen klimafreundlich, nachhaltig und innovativ bauen. Bei "Sheridan Park & Junia" sticht die Holzbauweise hervor, auf die sich Architekt Frank Lattke spezialisiert hat. Der Neubau soll möglichst wenig Energie verbrauchen und wird ans Fernwärmenetz angeschlossen. Neben den Eigentumswohnungen sind Gemeinschaftsräume, eine Fahrradwerkstatt, ein "Lese-Nest" und ein "Kulturschuppen" geplant. Die Gartenflächen will man gemeinsam nutzen und pflegen. Eine eigens entwickelte App soll dabei helfen, die Nutzung der Räume zu koordinieren.

    Die Sherlo-Gruppe entwickelt sogenannte Clusterwohnungen. Dabei verfügt jede Wohnung über ein eigenes Bad oder eine Küchenzeile. Ein Großteil des Lebens findet aber im zentralen Gemeinschaftsbereich statt. Je nachdem, ob Familien, Singles, Paare oder Alleinerziehende auf einem Stockwerk zusammen leben, unterscheidet sich die Aufteilung. Flexible, nicht tragende Wände sollen es möglich machen, Wohnungen und ganze Stockwerke bei Bedarf neu aufzuteilen. "Dann kann für ein Paar, zum Beispiel eine Familie nachrücken", erklärt Wolfgang Reiserer. Privatsphäre soll es aber dennoch geben. Deshalb gibt es zwei Wohnungstüren: zum Gemeinschaftsbereich und zur eigenen Wohnung, die daran angrenzt.

    Auf dem Gelände der ehemaligen Sheridan-Kaserne sind inzwischen viele Wohnungen entstanden - vier Baugemeinschaften planen derzeit besondere Wohnprojekte.
    Auf dem Gelände der ehemaligen Sheridan-Kaserne sind inzwischen viele Wohnungen entstanden - vier Baugemeinschaften planen derzeit besondere Wohnprojekte. Foto: Ulrich Wagner

    Für alle Baugemeinschaften auf dem Areal wird es bald ernst. Die Umsetzung der Bauprojekte ist an einen Zeitplan gebunden, den die Stadt vorgibt. Dieser sieht für den Kauf der zugesprochenen Grundstücke bis spätestens Ende März 2023 vor. Der mit der Kaufoption verbundene Fixpreis verliert nach der genannten Frist seine Gültigkeit. "Unser Austausch mit der Stadt war immer konstruktiv. Darauf bauen wir auch weiterhin", sagt Marie Feitisch. Denn die hohen Zinsen seien eine Belastung. Die Sherlo-Gruppe schätzt die Projektkosten aktuell auf circa elf Millionen Euro. Dabei setzt man neben klassischen Bankdarlehen auf "Schwarmfinanzierung" durch Direktkredite. Private Darlehen, die, ohne eine Bank als Mittler, an die Gruppe fließen. "Mit Direktkrediten leisten wir das notwendige Eigenkapital. Ziel ist es, dass Menschen unabhängig von ihrer Vermögenssituation einziehen können", sagt Marie Feitisch.

    Die Gruppe "Sheridan Park & Junia" will das Grundstück schon im Dezember kaufen. "Wir haben gute Erfahrungen im Dialog mit der Stadt Augsburg gemacht. Selbst wenn wir unseren Plan nicht einhalten, wird sich eine Lösung finden", ist sich Michael Lehner vom Büro Plan-Z sicher. Ein paar Wohnungen sind noch frei, Interessenten daher willkommen. Das Wohnprojekt Sherlo sucht auch noch nach Menschen, die das Projekt mitgestalten und anpacken wollen. "Wir entscheiden zusammen, jeder kommt zu Wort und kann seine Ideen einbringen", beschreibt Maria Branddurst die Zusammenarbeit.

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