800 Jahre ist es her, dass die ersten Franziskaner in Augsburg ankamen. Sie errichteten die Barfüßerkirche im Lechviertel unterhalb des Rathauses. Dieses Jubiläum wird in diesem Jahr gefeiert. Dabei sorgt allerdings eine unschöne Überraschung für einen Wermutstropfen. Denn zufällig hat sich herausgestellt, dass die Statik der evangelischen Barfüßerkirche in Teilen gefährdet ist. Pfarrerin Gesine Beck und die Pfarrgemeinde stehen vor aufwendigen Sanierungsarbeiten - und vor immensen Kosten.
"Der Schreck war beträchtlich", beschreibt Gesine Beck den Moment, als sie von der Statikproblematik der Barfüßerkirche erfuhr. Gerechnet hatte damit keiner. Mehr oder weniger zufällig kam der kritische Zustand ans Tageslicht. Bei Sanierungsarbeiten des benachbarten Jakobsstifts im Herbst 2019, als die Kanäle in der Altstadt abgelassen waren, entdeckten Bauarbeiter im Kanal des Hinteren Lechs das Desaster: Im Bereich der Überbauung durch die Kirche waren Bruchstellen in den historischen Kanalwände zu sehen. Ein Teil der Barfüßerkirche ist über den Hinteren Lech gebaut. Das Gotteshaus selbst zum Glück nicht, aber der Kreuzgang, der in die Kirche führt, der Innenhof, die Verwaltungsräume der Pfarrerin sowie deren Dienstwohnung, wie auch ein Teil der vorderen Ladenzeile an der Barfüßerbrücke.
Der Übeltäter der Barfüßerkirche in Augsburg ist einer der Kanäle
Ingenieur und Statikexperte Anton Schiele kennt die Problematik mit dem teils unsicheren Untergrund im Augsburger Lechviertel, das auf einer Wasserwechselzone mit großen Grundwasserschwankungen liegt. Derzeit ist das Ingenieurbüro Schiele + Schiele mit der Statik eines historischen Hauses am Holbeinplatz beschäftigt. Wie er in diesem Zuge unlängst berichtete, sind die meisten Häuser in der Altstadt auf Auffüllungen errichtet. Manche seien auf Holzpfählen, ähnlich wie in Venedig, gebaut. Auch das kann problematisch werden. Der Übeltäter der Barfüßerkirche jedoch ist der Kanal des Hinteren Lechs. Schiele erklärt, warum.
Während im Zuge der Altstadtsanierung in den 70er- und 80er-Jahren teilweise die Kanäle neu betoniert wurden, war dies am vier Meter breiten und zehn Meter langen Kanalabschnitt unter der Barfüßerkirche nicht der Fall. "Hier handelt es sich um einen rein historischen Kanal", sagt Anton Schiele. Ein Dokument weise darauf hin, dass die erste Überbauung im Jahr 1265 erfolgt war. "Das Gebäude steht komplett auf dem Tonnengewölbe des historisch gemauerten Kanals. Da lasten Tonnen darauf", so Schiele. Nachdem die Bauarbeiter vom Jakobsstift auf Schäden aufmerksam gemacht hatten, begannen die Untersuchungen über das Ausmaß. Das Ergebnis fiel ernüchternd aus.
Statikproblem: Die Kanalwände sind hinterspült
Wie Schiele berichtet, ist im Kanal an zwei Stellen geklopft und untersucht worden. "Dabei kamen Holzteile zum Vorschein. Wir schließen also eine historische Pfahlgründung nicht aus." Durch Grundwasserschwankungen könnten die Pfähle durchgefault sein, vermutet der Statikexperte. Im historischen Kanal selbst seien die Wände hinterspült. Man hoffe, die Untersuchungen so abschließen zu können, um Ende nächsten Jahres mit der groß angelegten Sanierung zu starten. Jetzt eine Evakuierung durchzuführen und den betroffenen Teil zu sperren, wie es im nahe gelegenen Haus am Oberen Graben vor rund drei Jahren geschah, ist aus Sicht des Experten nicht erforderlich. "Aber wir lassen jetzt auch niemanden in das Tragsystem eingreifen. Wir müssen erst ein Konzept entwickeln, wie wir den Kanalbereich von der Überbauung entlasten können, um mit der Sanierung zu beginnen." Diese soll, wenn alles gut geht, voraussichtlich Ende 2024 abgeschlossen sein. Es kann sein, dass Pfarrerin Gesine Beck und ihre Familie so lange aus der Dienstwohnung ausziehen müssen.
Pfarrerin Gesine Beck hofft auf finanzielle Unterstützung
Die 51-Jährige trägt diese Nachricht mit Fassung. Beck hat viele Aufgaben vor sich. Eine davon ist, das finanzielle Problem der anstehenden Sanierung zu lösen. Denn sobald ein Kanal überbaut ist, ist der Eigentümer des darauf stehenden Gebäudes dafür verantwortlich. Für offene Kanäle hingegen ist das städtische Tiefbauamt zuständig. Auf die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Barfüßerkirche kämen wohl Sanierungskosten mit einem unteren siebenstelligen Betrag zu, schätzt Anton Schiele.
"Das können wir aus eigener Kraft nicht bewältigen", sagt Pfarrerin Gesine Beck ganz offen. Schon jetzt habe eine anderweitige Sanierung an der Außenfassade der Ladenzeile viel Geld verschlungen, die bisherigen Voruntersuchungen zur Statik hätten allein um die 100.000 Euro gekostet. Finanzielle Unterstützung habe man hierbei vom Dekanat erhalten. Beck sagt, sie hoffe auf eine Förderung durch die Landeskirche, die in jeden baulichen Schritt mit eingebunden sei. "Sonst übersteigt das unsere Kräfte", betont die Geistliche.
Weiter bemühe sie sich über den Denkmalschutz um Fördergelder. Sie selbst rechne mit mindestens einem Drittel Eigenanteil. "Wenn nicht Corona wäre, hätten wir längst schon einen Förderverein gegründet. Der ist aber in konkreter Planung." Mit der Stadt selbst sei es noch nicht gelungen, bezüglich des Kanals in ein Gespräch zu treten. Die Pfarrerin, die vor vier Jahren aus Paris nach Augsburg kam, hat aber auch noch weitere Baustellen.
Die bedeutende Orgel etwa sei teilweise nicht mehr bespielbar und müsse saniert werden, ebenso der Glockenstuhl der Barfüßerkirche, in dem die Glocke nicht mehr geläutet werden kann, die kleine Sakristei benötige einen neuen Dachstuhl, für 2030 sei die Außensanierung der Kirche geplant. Die Barfüßerkirche war im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört worden und wurde danach in Teilen wieder vereinfacht aufgebaut. "Im Zuge des Neubaus gab es starke Eingriffe. Der Neubau wurde zwar statisch betrachtet, aber der Bestand nicht. Das bereitet jetzt Probleme", fasst Anton Schiele vom Ingenieurbüro zusammen. "Nach rund 70 Jahren habe ich das Gefühl, dass uns davon jetzt vieles auf die Füße fällt", meint die Pfarrerin.
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