Der Raum hat vielleicht die Ausmaße eines mittelgroßen, beladenen Lkw. Ein permanentes metallisches Rauschen füllt ihn und tönt durch das Dickicht von bunten Rohren, Armaturen und Anzeigen. Wolfgang Lutsch hat die Tore geöffnet, in der Hand ein Messgerät. Nur zur Sicherheit, aber man weiß ja nie. Ein paar Sekunden später gibt der Anlagenbetreuer Entwarnung: Die Luft ist rein, und das im Wortsinn. Hier, auf dem weitläufigen Gelände der Stadtwerke unweit des Jakobertors, kompakt auf wenigen Quadratmetern, liegt die zentrale Drehscheibe für Augsburgs Gasversorgung. Das Gas, das hier unterirdisch ankommt, fließt nach einigen Verarbeitungsschritten - darunter Aufwärmung, Filterung und Druckregelung - nur wenige Meter weiter direkt in die Stadt und zu ihren Menschen. Und die haben derzeit guten Grund zur Annahme, dass sich der Krieg in der Ukraine auf ihre Gasversorgung auswirken wird.
Rund 50.000 Kundinnen und Kunden werden in Augsburg mit Gas versorgt, davon nach eigenen Angaben rund 70 Prozent von den Stadtwerken. Viel Gas kommt aus Norwegen und den Niederlanden, der weltweit wichtigste Exporteur ist aber Russland. Deutschland bezieht rund 55 Prozent seines Erdgasbedarfs aus dortigen Quellen - eine enorme Abhängigkeit von nur einem Versorger.
Auch in Augsburger Leitungen fließt vor allem russisches Gas, wie Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg erklärt. "Da Erdgas - anders als Strom - physisch geliefert wird, kann als Grundprinzip davon ausgegangen werden, dass Gasverbraucher im Norden und Nordwesten Deutschlands überwiegend aus Quellen der Nordsee, Verbraucher im Süden und Osten Deutschlands überwiegend aus russischen Quellen Erdgas erhalten. Auch in Augsburg haben wir - physikalisch gesehen - also überwiegend Erdgas aus Russland."
Krieg in der Ukraine wirkt sich auf Gasversorgung in Augsburg aus
Das bedeutet allerdings nicht, dass Augsburg von den bereits jetzt spürbaren Konsequenzen auf dem Gasmarkt härter getroffen wird als der Rest Deutschlands. Denn: Die Stadt ist Teil eines deutschlandweiten Netzwerks. In dieses Netzwerk wird sämtliches Gas eingespeist - unabhängig davon, ob es aus Russland, Norwegen, den Niederlanden oder USA kommt. "Am Handelsmarkt, an dem Gaslieferanten wie auch die Stadtwerke ihren Gasbedarf eindecken, verschwimmen diese unterschiedlichen Quellen zu einem Mix", erklärt Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg. Damit verteilen sich auch die Lasten - konkret auch: Mehrkosten - auf das gesamte Netzwerk und die jeweiligen Anbieter.
Doch diese Lasten werden demnächst deutlich zunehmen, auch wenn viele Auswirkungen des Kriegs noch nicht absehbar sind. Bereits seit vergangenem Jahr waren die Gaspreise enorm gestiegen. Zahlreiche Billig-Energieanbieter konnten ihre Kundschaft nicht mehr beliefern, die Stadtwerke mussten Tausende Haushalte übernehmen und ihnen zunächst deutlich teurere Tarife anbieten. Die Betroffenen konnten inzwischen wieder wechseln. Ob und inwiefern der Ukraine-Krieg nun zu weiteren Preissteigerungen führt, dazu hält sich Fergg auf Nachfrage bedeckt. Er sagt: "Prognosen zur Preisentwicklung sind immer schwierig, derzeit sind sie unmöglich."
Steigende Energiekosten: Wirtschaft besorgt, Versorgung wohl gesichert
Die aktuellen Entwicklungen lassen auch heimische Unternehmen besorgt auf die kommenden Wochen blicken. Rund ein Drittel des Erdgasverbrauchs in Deutschland entfällt allein auf die Industrie - ein höherer Anteil als der von Haushalten. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben stuften schon im Januar 68 Prozent der Unternehmen aus Produktion, Handel und Dienstleistungen die explodierenden Preise als größtes Risiko ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ein.
"Die Energiekosten sind für viele Unternehmen ohnehin schon eine sehr hohe Belastung und könnten aufgrund Russlands enormer Bedeutung für die Energieversorgung Bayerns nochmals steigen", erklärt ein IHK-Sprecher. Die möglichen Auswirkungen des Kriegs seien "alarmierend" - und das für nahezu alle Branchen. "Daher sehen wir die Politik gefordert, ihren Handlungsspielraum zu nutzen, damit die Energiepreise zumindest nicht weiter steigen." Langfristig seien Strategien notwendig, um eine sichere Energieversorgung zu garantieren.
Zumindest für die nähere Zukunft ist die Gasversorgung gesichert. "Sicher ist: In diesem Winter wird jeder Gas- und Fernwärmekunde eine warme Wohnung haben", sagt Stadtwerke-Sprecher Fergg. Selbst wenn es zu Engpässen komme, womit derzeit und zumindest in den kommenden Monaten nicht zu rechnen sei, gebe es in Europa bestimmte Sicherungsmechanismen. "In jedem Fall sind Haushaltkunden und Einrichtungen wie beispielsweise Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt. Auch würden vertraglich geregelte Abschaltvereinbarungen mit der Industrie oder der Wechsel auf andere Energieträger die Nachfrage nach Erdgas drosseln." Im "schlimmsten Fall", Erdgas-Knappheit, trete also eine Reihenfolge in Kraft, an deren Ende die sogenannten "geschützten Verbraucher" stünden - dazu zählen etwa Haushalte, Kliniken und Gaskraftwerke.
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