Die Enttäuschung bei der Hessing-Stiftung ist groß: Die Klinik wird in den nächsten Jahren kein Sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) haben. Die einzige Einrichtung dieser Art, in der schwer behinderte Kinder und Jugendliche betreut werden, bleibt am Josefinum in Oberhausen. Zum Jahreswechsel gab es den überraschenden Trägerwechsel. Hessing zeigte sich damit nicht zufrieden und legte Widerspruch ein. Der Berufungsausschuss für Ärzte hat den Widerspruch abgelehnt. Zugleich sieht dieses Gremium keinen Anlass, den Bedarf eines zweiten, also zusätzlichen Sozialpädiatrischen Zentrums in Augsburg, anzuerkennen.
Seit der Zulassungsausschuss der Ärzte im Dezember 2020 Hessing die Zulassung entzog, war der Ärger groß. Familien wehrten sich, es gab eine Onlinepetition. Auch die Politik wurde eingeschaltet. Der Landtag befasste sich mit den Vorgängen. Es kam zu einer Verhandlung vor dem Ärzteausschuss Bayern. Die Entscheidung wurde den zuständigen Stellen jetzt zugestellt. In der Begründung heißt es, dass die Kriterien des Zulassungsausschusses nachvollziehbar seien. Es habe eine gründliche Untersuchung stattgefunden. Zudem habe sich durch eine Abfrage bei anderen Sozialpädiatrischen Zentren gezeigt, dass für Augsburg kein erhöhter Bedarf bestehe.
Der Direktor der Hessing-Stiftung ist enttäuscht
Roland Kottke, Direktor der Hessing-Stiftung, sagt: "Wir halten die Entscheidung für falsch und bedauern, dass die über Jahre bewährte und von Eltern geschätzte Kompetenz des Hessing-Förderzentrums für Kinder und Jugendliche nicht in Anspruch genommen wird." Bedauerlich sei auch, dass man der Argumentation zur Einrichtung eines zweiten SPZ im Großraum Augsburg nicht folgen konnte. Künftig werde sich das Hessing-Förderzentrum auf seine Kernkompetenzen fokussieren und diese ausbauen. Die Hessing-Stiftung werde sich darauf konzentrieren, weiter Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche jeden Alters sowie deren Eltern sein zu können.
Von der Politik gab es am Freitag erste Reaktionen. SPD-Landtagsabgeordneter Harald Güller sagt: "Die Entscheidung ist natürlich enttäuschend, auch weil damit die intransparente und zur zeitlichen Umsetzung äußerst kurzfristige Entscheidung und das damit zusammenhängende Verhalten des Zulassungsausschusses der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns nicht sanktioniert wird." Das Verfahren vor dem Zulassungsausschuss sei nicht zu Unrecht auch im Ausschuss für Gesundheit und Pflege im Landtag im März im Rahmen der Behandlung einer Petition bereits sehr deutlich kritisiert worden. Ziel müsse es dennoch weiter sein, in der Region Augsburg zwei hoch qualifizierte Sozialpädiatrische Zentren zu haben. Eines unter der Trägerschaft von Hessing, eines am Josefinum. "Die hohen Bedarfszahlen aus der gesamten Region geben das her und machen zwei Zentren auch notwendig. Es geht um das Wohl und die gute und zeitnahe Versorgung von teils schwer kranken Kindern und Jugendlichen und deren Familien", sagt Güller.
Christine Lüdke, Sprecherin der Interessengemeinschaft SPZ Augsburg, sagt: "Wir sind von der Entscheidung bitter enttäuscht." Vor allem für Familien, deren Kinder seit vielen Jahren bei Hessing betreut werden, sei es ein schwerer Schlag. Dass der Bedarf für ein zweites Zentrum vorhanden sei, ist aus Sicht von Christine Lüdke unbestritten: "Wir befürchten, dass der Bedarf an sozialpädiatrischen Behandlungen infolge der hohen Belastungen bei Kindern und Jugendlichen durch die Corona-Pandemie noch einmal steigen wird." Da die nächsten Sozialpädiatrischen Zentren außerhalb von Augsburg bis zu einer Stunde Fahrzeit entfernt lägen, müsse das Augsburger Einzugsgebiet weit gefasst werden. Zu den Augsburger Zahlen kämen also noch jene aus den angrenzenden Landkreisen hinzu.
Das sagen die Verantwortlichen vom Josefinum
Zu Jahresbeginn wurde die Klinik Josefinum, die zur Katholischen Jugendfürsorge (KJF) gehört, vom Zulassungsausschuss Ärzte Schwaben für den Betrieb eines Sozialpädiatrischen Zentrums in der Klinik für Kinder und Jugendliche (Chefarzt: Dr. Thomas Völkl) für die Stadt und die Region Augsburg ermächtigt. Nach mehr als einem halben Jahr ziehen die Verantwortlichen eine positive Bilanz. Von Beginn an sei es ein großes Anliegen gewesen, alle zugewiesenen Kinder und Jugendlichen im SPZ multiprofessionell zu betreuen. Dr. Johannes Stoffels, Ärztlicher Leiter des SPZ und Oberarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Josefinum, sagt: "Wir sind sehr gut gestartet und konnten bereits in der ersten Januarwoche Kinder und Jugendliche aufnehmen und behandeln. Auch in Zukunft werden wir für alle Patientinnen und Patienten da sein, die eine SPZ-Therapie benötigen." Die Laufzeit ist zunächst auf fünf Jahre begrenzt.
Im SPZ werden Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 18 Jahren mit chronischen und komplexen Erkrankungen gemeinsam mit ihren Familien individuell betreut - insbesondere, wenn eine Weiterbehandlung durch Kinder- und Jugendärzte allein nicht ausreichend ist und Störungen der Entwicklung drohen oder bereits bestehen. Übergeordnetes Ziel der Diagnostik und Therapien im Sozialpädiatrischen Zentrum ist es, den Patientinnen und Patienten im Rahmen ihrer Erkrankungen eine altersgerechte Teilhabe am Leben zu ermöglichen.