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Augsburg: Kampf für Kurzzeitpflegeplätze: Verzweifelte Eltern machen Druck

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Kampf für Kurzzeitpflegeplätze: Verzweifelte Eltern machen Druck

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    Eltern von schwer pflegebedürftigen Kindern haben am Dienstag in einer Ausschusssitzung des Bezirks Schwaben darauf aufmerksam gemacht, dass dringend Kurzzeitpflegeplätze geschaffen werden müssen.
    Eltern von schwer pflegebedürftigen Kindern haben am Dienstag in einer Ausschusssitzung des Bezirks Schwaben darauf aufmerksam gemacht, dass dringend Kurzzeitpflegeplätze geschaffen werden müssen. Foto: Silvio Wyszengrad

    3266 Kinder mit Pflegegrad gibt es in Schwaben, sagt Angela Jerabeck. Und gerade einmal sieben Kurzzeitpflegeplätze für alle zusammen. Kinder, die kontinuierlich überwacht werden müssen oder an schweren Epilepsieformen leiden, könnten nicht einmal die in Anspruch nehmen. "In Augsburg haben wir 350 schwer pflegebedürftige Kinder und im Umkreis von 100 Kilometern findet sich kein Platz für sie." 

    Seit 15 Jahren kämpft Jerabeck, Gründerin des Vereins Dachskinder im Landkreis Augsburg, darum, dass sich etwas ändert. Dass Eltern, die eine Auszeit von der jahrelangen Dauerbelastung der Pflege brauchen, die ins Krankenhaus müssen oder einfach einmal einen Ausflug mit den Geschwisterkindern machen wollen, einen Ort haben, an dem sie ihre Kinder gut versorgt wissen. 2022 ging dann endlich etwas vorwärts. Für mehrere Millionen Euro sollte in Augsburg unter Trägerschaft der Katholischen Jugendfürsorge, finanziell unterstützt vom Bezirk Schwaben, der "Dachsbau" mit sechs Pflegeplätzen entstehen. Für 2024 oder 2025, hatte Bezirkstagspräsident Martin Sailer vor zwei Jahren mit der Inbetriebnahme des Dachsbaus gerechnet. Das Grundstück ist bereits gerodet, Stiftungsgelder zugesagt. Doch ein neues Gesetz, das 2028 in Kraft treten könnte, hat das Projekt zum Stillstand gebracht.

    Betroffene Familien kapern die Sitzung des Bezirks Schwaben

    In ihrer Verzweiflung sind die Mitglieder des Vereins und die betroffenen Eltern am Dienstag einen drastischen Schritt gegangen. Mit ihren Kindern im Schlepptau sind sie zur Sitzung des gesundheits- und sozialpolitischen Ausschusses des Bezirks Schwaben gefahren. Um sichtbar zu werden. Um zu zeigen, um welche Kinder, welche Familien es hier geht. "Da schau her", haben sie die Aktion genannt, mit der sie die Sitzungsteilnehmer und Bezirkstagspräsident Martin Sailer überrumpelt haben. Mit dabei ist auch Gabi Waldner-Tensfeld aus Lechhausen. Seit 28 Jahren pflegt sie ihren mehrfach behinderten Sohn Christian, den sie heute auf einer Liege mitgebracht hat. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, auf sich allein gestellt. 

    Gabi Waldner-Tensfeld aus Lechhausen pflegt sei 28 Jahren ihren mehrfachbehinderten Sohn Christian allein. Sie weiß: Ich darf nicht ausfallen.
    Gabi Waldner-Tensfeld aus Lechhausen pflegt sei 28 Jahren ihren mehrfachbehinderten Sohn Christian allein. Sie weiß: Ich darf nicht ausfallen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Auf einem Plakat hat sie aufgelistet, wie viele Einrichtungen die Betreuung ihres Sohnes schon abgelehnt haben. Noch gut kann sie sich an eine Situation erinnern, als sie einmal für zwei Wochen ins Krankenhaus sollte. In ganz Schwaben habe sie nach einem Platz für ihren Sohn gesucht. "Ich bin überall abgelehnt worden." Schließlich musste ihre Schwester aus England kommen und Christian übernehmen. "Seitdem hat sich nichts getan. Wir kämpfen seit über zehn Jahren. Dass hier nichts passiert, ist eine Klatsche ins Gesicht." 

    Sailer: "Der Bezirk hat seine Hausaufgaben gemacht"

    So empfinden es auch Marion und Joachim Schwärzer aus Friedberg. Ihr 14-jähriger Sohn Liam leidet an einem angeborenen Gendefekt, der eine seltene Muskelerkrankung auslöst. "Im Kopf ist er fit", sagt Mama Marion. Gemeinsam mit Liam seien sie vor einiger Zeit bei der Kindersprechstunde von Martin Sailer gewesen. "Wir haben versucht, ihn zu fragen, warum das Projekt jetzt auf den St.-Nimmerleinstag verschoben scheint." Sailer habe sie darauf hingewiesen, dass sich durch ein neues Gesetz ab 2028 die Zuständigkeit für den Dachsbau voraussichtlich vom Bezirk auf die Jugendämter verlagern werde. 

    Das tut er am Dienstagvormittag in der Sitzung erneut. Denn die Katholische Jugendfürsorge als Träger brauche Rechtssicherheit, dass die Einrichtung auch nach 2028 von den Jugendämtern belegt werde. Auf Bitte der Landräte, sagt Sailer, habe er für März einen Gesprächstermin mit den Jugendamtsleitungen anberaumt. Wenige Tage vorher sei dieser dann vom Leiter des Augsburger Jugendamts, der Vorsitzender der schwäbischen Jugendamtsleitertagung ist, abgesagt worden. "Ich habe ihm daraufhin einen deutlichen Brief geschickt und meinen Unmut kundgetan, dass es so nicht geht", sagt Sailer. Der Bezirk Schwaben habe mit seiner Grundsatzentscheidung für den "Dachsbau" seine Hausaufgaben gemacht. "Der Dachsbau scheitert nicht an uns. Hätten wir diese Probleme mit der Rechtskreisverschiebung nicht, dann stünden wir heute nicht hier, sondern würden an der Baustelle gemeinsam den Spatenstich feiern." 

    Stadt Augsburg sieht die Verantwortung klar beim Bezirk

    Von der Stadt Augsburg heißt es auf Anfrage, der Bedarf an Kurzeitpflegeplätzen für junge Menschen mit Behinderungen liege auf der Hand. Für die Finanzierung der Investitionskosten sowie der Betriebskosten sei aktuell aber klar der Bezirk verantwortlich. Ob diese Verantwortung im Rahmen der Umsetzung des Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes auf die Jugendämter übergehen werde, sei noch absolut offen. Für den Bezirk Schwaben ergäben sich aus einem Rechtskreiswechsel im Hinblick auf eine Entgeltvereinbarung mit dem Verein aus Sicht der Stadt Augsburg keine Unsicherheiten. 

    "Selbst für den Fall, dass die Zuständigkeit ab 2028 auf das Stadtjugendamt übergehen sollte, ist es zu erwarten, dass der Gesetzgeber regelt, dass eine bestehende Einrichtung weiterfinanziert werden muss, solange die zugrunde liegende Vereinbarung gültig ist", heißt es aus dem Sozialreferat. Die Stadt Augsburg habe dem Bezirk angeboten, dass sie außerhalb ihrer Zuständigkeit dem Jugend-, Sozial- und Wohnungsausschuss eine politische Willenserklärung zur „wohlwollenden Begleitung des Aufbaus und der Sicherung des zukünftigen Bestands des Dachsbaus“ zur Beratung vorlegen werde. Die Landkreise Augsburg und Aichach-Friedberg seien aufgefordert, dies ebenfalls als Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu tun.

    Der 14-jährige Liam leidet an einer seltenen Muskelerkrankung. Gemeinsam mit seinen Eltern war er schon in der Sprechstunde von Martin Sailer, um sich nach dem Stand in Sachen "Dachsbau" zu erkundigen.
    Der 14-jährige Liam leidet an einer seltenen Muskelerkrankung. Gemeinsam mit seinen Eltern war er schon in der Sprechstunde von Martin Sailer, um sich nach dem Stand in Sachen "Dachsbau" zu erkundigen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Wenn der Dachsbau nicht bald kommt, sagt Angela Jerabeck in der Sitzung, befürchte sie das Schlimmste. "Wir können nicht mehr lange warten", mahnt sie eindringlich. Die Familien bräuchten endlich einen Strohhalm, an den sie sich klammern können. Andernfalls sehe sie bei mehreren Eltern die Gefahr, dass sie am Ende, wie eine Augsburger Mutter im Jahr 2019, gemeinsam mit ihren Kindern Suizid begehen könnten.

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