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Augsburg: "Jeder geht auf seine Weise": Wieso sich ein Arzt für Sterbehilfe engagiert

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"Jeder geht auf seine Weise": Wieso sich ein Arzt für Sterbehilfe engagiert

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    Ein Pfleger hält die Hand einer schwer kranken Frau: Ein Augsburger Arzt hilft Menschen, die nicht mehr weiterleben wollen, beim Suizid.
    Ein Pfleger hält die Hand einer schwer kranken Frau: Ein Augsburger Arzt hilft Menschen, die nicht mehr weiterleben wollen, beim Suizid. Foto: Sebastian Kahnert, dpa (Symbolbild)

    Die Frau öffnet die Tür zum Krankenzimmer. "Schön, dass Sie da sind, Herr Doktor", sagt der Patient im Bett. Mit dem Besuch von Dr. Peter Heiser (Name von der Redaktion geändert) wird sein Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben bald Wirklichkeit. Die Dauerschmerzen sollen ein Ende haben. Nachdem sein Antrag auf Freitodbegleitung bewilligt wurde, führt Dr. Heiser heute mit dem Bettlägerigen das zweite Gespräch im Dienst der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben – kurz DGHS. Das erste, Grundsätzliches abklärende Gespräch, hat bereits ein Jurist übernommen, der ebenfalls für die Organisation tätig ist. Der Augsburger Arzt Dr. Heiser betreut den Patienten nun bis zu seinem Tod. 

    Seit drei Jahren ist der assistierte Suizid unter Auflagen wieder gesetzlich gestattet. Ab 2015 war es strafbar gewesen, die Selbsttötung eines anderen geschäftsmäßig – im juristischen Sinne von wiederholt – zu ermöglichen. Dieses Verbot ist verfassungswidrig, urteilte im Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse "als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben". Peter Heiser ist seitdem ehrenamtlicher Freitodbegleiter. Er leitet das Zweitgespräch und bereitet den Suizid vor, indem er die Infusion mit dem tödlichen Medikament legt, die aber, so die Bedingung, von dem Sterbewilligen eigenhändig geöffnet werden muss. Aktive Sterbehilfe ist nach wie vor verboten. Kann der Suizidwillige die Infusion nicht mit den Händen öffnen, greift Dr. Heiser zur Wäscheklammer: Damit klemmt er den Infusionsschlauch ab. Der Patient nimmt dann die Klammer in den Mund und öffnet mit seinen Zähnen die Infusion. 

    Nach dem Suizid muss die Polizei verständigt werden

    Der bettlägerige Patient, den Dr. Heiser heute besucht, wird die Wäscheklammer nicht brauchen. Im Lauf des Gespräches erkundet der Arzt, ob die Voraussetzungen für eine Freitodbegleitung gegeben sind und wie die Angehörigen zu dieser Entscheidung stehen. Manche können es akzeptieren, andere erst nach einigem Ringen mit sich, erzählt Dr. Heiser. Die meisten verstünden schließlich die Entscheidung und unterstützten den Patienten. Einige möchten dabei sein, die Hand halten, manche warten im Nebenraum. Dr. Heiser muss sie auch aufklären, dass nach dem Ableben die Polizei verständigt werden muss, da der Suizid kein natürlicher Tod ist. Anfangs gab es ausführliche Befragungen, denn auch für die Polizisten war das Neuland, erinnert er sich. Inzwischen wissen die Beamten um die Freitodbegleitung und gehen sensibler mit der Situation um. 

    Bei dem Gespräch wird auch das Datum des Freitods festgelegt. Wichtig ist dem Arzt dabei, zu betonen: Der Patient kann von der Einreichung seines Antrags bis zu dem Moment des eigenhändigen Vollzugs jederzeit abbrechen und seine Suizidabsicht widerrufen. Zudem liegen zwischen der Antragstellung und dem assistierten Suizid gewöhnlich Monate. Zeit, während derer sich der Antragsteller noch einmal mit dem Thema auseinandersetzen kann und muss. Die DGHS legt nach eigenen Angaben großes Gewicht auf die sogenannte Freiverantwortlichkeit des Sterbewilligen. Fünf Voraussetzungen müssen – neben einer mindestens sechsmonatigen Mitgliedschaft – gegeben sein, damit ein Antrag bewilligt wird: die Urteils- und Entscheidungsfähigkeit (Demenz oder schwere psychische Erkrankungen müssen ausgeschlossen sein), die "Wohlerwogenheit" (eventuelle Alternativen müssen bekannt sein), die Konstanz und Festigkeit des Suizidwunsches, Autonomie und die Tatherrschaft: Der Antragsteller muss in der Lage sein, den Freitod eigenhändig oder -mündig durchzuführen; bis zuletzt hat die Entscheidung zur aktiven Umsetzung des Suizidwunsches bei ihm zu liegen.

    Die Diskussion um Sterbehilfe

    Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2020 das bis dahin geltende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt – mehrere schwer erkrankte Menschen hatten dagegen geklagt. Das Verbot, so argumentierten die Richter, verenge "die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verbleibt". Eine neue Regelung gibt es bisher nicht, der assistierte Suizid befindet sich seither in einer rechtlichen Grauzone. Die Politik debattiert darüber, wie das Thema geregelt werden soll – es gibt mehrere Vorschläge.

    Am meisten Unterstützer hat bisher eine Initiative von 85 Bundestagsabgeordneten um den SPD-Politiker Lars Castellucci. Es wäre die strikteste Regelung. Demnach wäre die Unterstützung des Suizids generell strafbar – es soll aber Ausnahmen geben. Wer Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollte, müsste sich mindestens zwei Mal von einem Psychiater untersuchen lassen und zusätzlich zu einem Beratungsgespräch. Die Gutachter sollen auch prüfen, ob der Betroffene Druck ausgesetzt ist – etwa durch das Umfeld oder gesellschaftliche Debatten. Castellucci warnt, je mehr Angebote es gebe, umso mehr Suizide werde es auch geben.

    Eine Gruppe um die Grünen-Politikerin Renate Künast lehnt es ab, dass für assistierten Suizid ein psychiatrisches Gutachten erforderlich sein soll. Ihr Vorschlag, der von 45 Abgeordneten unterstützt wird, sieht leichtere Hürden vor. Suizidhilfe soll generell erlaubt werden, es würde aber die Pflicht geben, zuvor eine unabhängige Beratungsstelle aufzusuchen. So soll sichergestellt sein, dass der Betroffene über mehrere Monate hinweg einen dauerhaften Sterbewunsch hat. Menschen in medizinischen Notlagen sollen schnellere Suizidhilfe bekommen.

    Am weitesten geht der Entwurf einer Gruppe von 68 Abgeordneten um die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr. Sie wollen das "Recht auf einen selbstbestimmten Tod" gesetzlich festschreiben. Wer sterben will, soll sich von einem Arzt ein "Arzneimittel zum Zweck der Selbsttötung" verschreiben lassen dürfen. Voraussetzung wäre auch ein Beratungsgespräch. Die Verschreibung soll frühestens zehn Tage nach der Beratung und spätestens acht Wochen danach erfolgen.

    Kritiker wie der Augsburger Weihbischof Anton Losinger führen an, dass der Suizid eines Menschen selten eine wirklich freie Entscheidung sei. Ein Suizid dürfe durch staatliche Regeln nicht zum "Normalfall" werden. Die allermeisten Suizide seien verbunden mit "psychischer und sozialer Not". Losinger, der Mitglied im Bayerischen Ethikrat ist, sagte in einem Interview mit dem Kölner Domradio, für Ältere und Kranke sei "eine glaubwürdige Palliativversorgung" wichtig. Auch Hospize seien für unheilbar Kranke eine Alternative zum Suizid. (jöh)

    Eine Demenz oder eine schwerwiegende psychische Erkrankung müssen ausgeschlossen sein. Im Zweifelsfalle klärt ein psychiatrisches Gutachten die Entscheidungsfähigkeit. Auch mögliche Alternativen zum Freitod müssen bekannt sein. Fremdbestimmung ist unbedingt auszuschließen. Es werden auch Anträge abgelehnt, berichtet Dr. Heiser. So wurde die Freitodbegleitung eines Tinnitus-Patienten schließlich verweigert, da Zweifel an Festigkeit und Autonomie des Suzidwunsches aufkamen. Der 73-Jährige verglich sein extremes Ohrgeräusch mit einem Güterzug, der 24 Stunden am Tag durch seinen Kopf rase. Sämtliche Therapien waren erfolglos. Dennoch verschob er den Termin mehrmals, auch die Familie suchte zu verhindern. "Nicht ganz ausgereift" sei das gewesen, erinnert sich Dr. Heiser.

    Assistierte Sterbehilfe: Es gibt Menschen, die gemeinsam gehen wollen

    Etwa drei- bis viertausend Euro werden an Kosten veranschlagt. Sie decken zum einen den Aufwand der Organisation und ihrer Mitarbeiter, zudem werden mittellose Antragsteller dadurch mitfinanziert. "Es wird keiner aus finanziellen Gründen abgelehnt", sagt Dr. Heiser. Fünf Gruppen von Suizidwilligen lernte er im Lauf seines Ehrenamtes kennen: schwer an Krebs oder neurologisch Erkrankte, chronische austherapierte Schmerzpatienten, betagte Menschen mit mehr Leidens- als Lebensmüdigkeit, gemeinsam alt gewordene Ehepaare, die zusammen gehen möchten, gerade, wenn einer von ihnen pflegebedürftig wird, und Menschen ohne schwerwiegende Erkrankung, die begründete Sorge haben, dass sie in absehbarer Zeit hilflos sein werden. 

    Dr. Heiser erinnert sich an eine 100-Jährige, die im Rollstuhl saß und befand: "Es reicht." Sie habe ein gutes Leben gehabt, nun werde alles nur noch schwieriger. Der Arzt erinnert sich an eine 32-Jährige, die querschnittsgelähmt war und von der Mutter gepflegt wurde; an das Ehepaar, das sich so sicher war: "Wären Sie nicht gekommen, hätten wir einen anderen Weg gewählt." Circa 150 Freitodbegleitungen vermittelt die DGHS im Jahr an die beteiligten Ärzte und Juristen – das ist etwa ein Drittel der Antragsteller. Dem stehen ungefähr 100.000 Suizidversuche jährlich gegenüber, von denen etwas mehr als neun Prozent tödlich sind. Eine "Welle" von assistierten Suiziden, wie sie mancher nach dem Urteil 2020 befürchtete, ist also eher unwahrscheinlich.

    Der Arzt legt die tödliche Infusion, der Patient öffnet den Hebel

    Als Dr. Heiser mit einer Kollegin der DGHS zum vereinbarten Termin wiederkehrt, sitzen Ehefrau und Sohn des bettlägerigen Patienten an seiner Seite. Für beide ist seine Entscheidung kaum zu ertragen, aber sie möchten bei ihm bleiben, sich verabschieden, bis zuletzt die Hand halten. Manche laden noch zu Kaffee oder Sekt ein, andere haben etwas gekocht; einige sagen letzte Worte, andere schweigen: Jeder geht auf eine andere Weise. Und das ist in Ordnung so, sagt Dr. Heiser. Er legt die Infusion, schließt die Flasche mit dem Medikament an und gibt dem Patienten den Hebel in die Hand. Entschieden öffnet der Patient den Mechanismus. 

    Nur eine Minute etwa dauert es, und das Herz steht still. Praktisch niemand zögert mehr in diesem Moment, erinnert sich Dr. Heiser. Lediglich zwei Patienten warteten bisher schweigend noch eine Weile, bevor sie die Infusion zum Laufen brachten. Während seines Berufslebens hat Dr. Heiser viele "scheußliche Krankheiten" erlebt und den Wunsch verspürt, zu helfen. Als Arzt schwor er, sein Leben in den Dienst der Menschlichkeit zu stellen. Das kann für ihn auch bedeuten, ein humanes Sterben zu ermöglichen. 

    Einen Gesprächsabend zur Diskussion um die Sterbehilfe veranstaltet das Akademische Forum der Diözese Augsburg am Donnerstag, 9. Februar. Dabei sollen Standpunkte aus Sicht der Palliativmedizin sowie der Theologie und Ethik vorgestellt werden. Beginn ist um 19 Uhr im Haus Sankt Ulrich in Augsburg. Referenten sind Prof. Claudia Bausewein, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Klinikum der LMU München und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, und der Augsburger Weihbischof und Mitglied des Bayerischen Ehtikrats, Anton Losinger. Anmeldungen sind möglich unter Telefon 0821/3166-8811 oder per Mail an akademisches-forum@bistum-augsburg.de.

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