In der Augsburger Synagoge sind am Mittwoch rund 200 Mitglieder versammelt, um den höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, zu feiern. Während der Gottesdienst gefeiert wird, versucht ein Attentäter im rund 350 Kilometer entfernten Halle, die dortige Synagoge zu stürmen. Weil die Tür verschlossen ist, gelangt er nicht ins Gebäude. Er erschießt zwei Zufallsopfer, womöglich aus purem Frust darüber, dass sein geplanter Anschlag auf jüdische Gläubige nicht geklappt hat. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Augsburg erfahren in einer kurzen Pause des Gottesdienstes von dem antisemitischen Terrorakt. Alexander Mazo, der Vorsitzende der Augsburger Gemeinde, sagt: "Wir waren danach besorgt." Überrascht seien sie aber nicht gewesen. Der Antisemitismus in der Gesellschaft habe zuletzt zugenommen, geschürt von Rechtsextremisten wie auch Islamisten. Inzwischen zeichnet sich immer mehr ab, dass der Attentäter von Halle, der 27-jährige Stephan B., ein rechtsextremes Motiv hatte. Alexander Mazo sagt, ihn sorge aber auch, dass in manchen Moscheen gezielt gegen Juden gehetzt werde.
Eine gesicherte Türe wie in Halle gibt es in Augsburg bislang nicht. Der Eingang an der Halderstraße, der zu einem Innenhof führt, ist bislang nur mit einem Gittertor verschlossen. Dazu kommt, dass das Gelände der Synagoge in Augsburg öffentlich zugänglich ist, da hier auch das jüdische Museum seinen Sitz hat. Es gibt nur einen gemeinsamen Eingang für Museumsbesucher und Gemeindemitglieder. Einen eigenen bewaffneten Sicherheitsdienst habe man nicht, sagt Alexander Mazo. Die Polizei ist ebenfalls nicht dauerhaft mit Kräften präsent. Die Kontrollen innerhalb der Gemeinde selbst wurden aber verschärft, zum Beispiel die Gesichtskontrollen.
Ende September wurden schon wieder Hakenkreuze in der Synagoge entdeckt
Der Gemeindevorsitzende Alexander Mazo sagt: "Der Anschlag von Halle zeigt, dass wir wachsam sein müssen." Er rufe "schmerzhafte Erinnerungen" hervor. Die Leiterin des jüdischen Museums, Barbara Staudinger, sagt, sie gehe schon seit einiger Zeit mit einem unangenehmen Gefühl zu ihrer Arbeitsstelle. Das Sicherheitsgefühl leide durch den stärker spürbaren Antisemitismus. Das Problem des Rechtsextremismus sei zu lange "weggelogen" und "verdrängt" worden. Dazu kommen mehrere konkrete Vorfälle im Museum und der Synagoge in den vergangenen Wochen und Monaten, die Barbara Staudinger entsetzen. Wiederholt sind dort Hakenkreuze eingeritzt und Schmierereien festgestellt worden. Erst im Juli ist das Gestühl der Frauenempore in der Synagoge saniert worden, um mehr als 60 eingeritzte Hakenkreuze zu entfernen. Ende September wurde dann festgestellt, dass in der kurzen Zeit erneut mehr als 30 Hakenkreuze eingeritzt worden sind. Wie bisher auch schon, wurde wieder die Polizei eingeschaltet, Beamte der Staatsschutz-Abteilung ermitteln. Wer die Täter sind, ist aber unklar.
Bei den ersten Vorfällen hatte die Polizei den Verdacht, dass es Schüler gewesen sein könnten, die mit ihrer Klasse das Museum besucht haben. Nun aber kann das eigentlich nicht sein. Denn im aktuellen Zeitraum waren Sommerferien und es gab keine Besuche von Schulklassen. "Es zeigt mir aber, dass wir ein Sicherheitsproblem haben", sagt Barbara Staudinger. Es müsse jetzt schnell etwas geschehen, um die Sicherheit auf dem Areal der Synagoge zu erhöhen, auch durch entsprechende Um- oder Einbauten. Geplant ist das auch. Derzeit laufen die Vorbereitungen für die Generalsanierung der Synagoge. Ein konkreten Zeitplan gibt es aber noch nicht. Es hängt auch am Geld.
Wie die Polizei derzeit in Augsburg die Gefährdungslage einschätzt
Eine 24-Stunden-Überwachung der Synagoge ist für die Polizei in Augsburg auch nach dem Attentat in Halle bislang kein Thema. An der Einschätzung, wie stark gefährdet das jüdische Gotteshaus in Augsburg sei, habe sich durch den Vorfall aktuell nichts geändert, sagt ein Polizeisprecher auf Anfrage. Die Polizei sei aber in engem Kontakt mit den Verantwortlichen der Gemeinde und des Museums. Die Beamten beraten die Gemeinde dabei auch in Sicherheitsfragen. Derzeit werde bei Streifenfahrten zudem darauf geachtet, häufiger die Synagoge anzufahren.
Bei konkreten Anlässen, etwa Feiertagen und Festen, sei die Polizei ohnehin schon immer mit Kräften präsent – wenn man zum Ergebnis komme, dass ein besonderer Schutz erforderlich ist. Zum Jom-Kippur-Fest am Mittwoch gab es zunächst keinen besonderen Polizeischutz. Nachdem die Nachricht von dem Attentat bekannt wurde, hätten aber Beamte die Synagoge aufgesucht, sagt Polizeisprecher Siegfried Hartmann.
Am Donnerstagabend demonstrierten gut 50 Menschen am Königsplatz, um ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde zu bekunden. Vertreten waren vor allem eher jüngere Mitglieder linker Gruppierungen und Gewerkschaften, etwa Linkspartei, Jusos und Bildungsgewerkschaft GEW. Einige der Demonstranten hielten Israelflaggen in die Höhe, andere Schilder, auf denen mehr Engagement im Kampf gegen Rechts gefordert wurde. Es gehe darum, ein Zeichen gegen Antisemitismus und rechten Terror zu setzen, sagte Maximilian Richter von der Augsburger Linken, der die Kundgebung auch angemeldet hatte.
Das Attentat von Halle: Die aktuelle Entwicklung in dem Fall lesen Sie hier im Live-Blog.