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Augsburg: Hildegard Doser wird heute 90 Jahre alt: Was "Frau Theater" antreibt

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Hildegard Doser wird heute 90 Jahre alt: Was "Frau Theater" antreibt

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    Hildegard Doser an ihrem Arbeitsplatz – der Garderobe des Theaters. Sie feiert am Donnerstag ihren 90. Geburtstag.
    Hildegard Doser an ihrem Arbeitsplatz – der Garderobe des Theaters. Sie feiert am Donnerstag ihren 90. Geburtstag. Foto: Peter Fastl

    Es war freilich nicht erlaubt. Aber als die Vorstellungen liefen, schlüpfte Hildegard Doser heimlich in den ein oder anderen Pelzmantel von Theaterbesucherinnen. Einfach um zu sehen, wie ihr so etwas steht, erzählt sie und winkt lachend ab. „Aber da war ich noch jung.“ Seit über 60 Jahren arbeitet die Augsburgerin an der Garderobe des Theaters. Sie hat Intendanten und Schauspieler kommen und gehen sehen und blieb selber die feste Konstante des Theaters. Heute wird „Hilde“ Doser 90 Jahre alt. Wer sie in ihrer Altstadtwohnung besucht, um zu gratulieren, könnte ein Gläschen Eierlikör serviert bekommen. Garniert mit etlichen Geschichten, die die Theaterdame erlebt hat.

    Vielleicht ist es das Glas Rotwein, das sie sich gerne während einer Vorstellung gönnt. Wenn an der Garderobe Ruhe eingekehrt ist. Oder die morgendliche Gymnastik, die sie konsequent 50 Jahre lang jeden Morgen durchzog. Vor allem aber sind es sicherlich ihre Eigenschaften, die Hildegard Doser in dem hohen Alter so fit halten: Ihre Neugier auf Menschen, ihre Offenheit für Veränderungen und ihre Freude an der Arbeit. Viele Abende steht die betagte Dame nach wie vor in der Theatergarderobe oder am Einlass in den Zuschauerraum. „Das Theater“, sagt sie nachdrücklich, „ist mein Leben und mein zweites Wohnzimmer. Was soll ich denn abends daheim? Fernsehen? Nein, wirklich nicht.“ Neulich, erzählt die zierliche Frau mit den wachen Augen nahezu empört, wurde sie gefragt, warum sie sich das mit dem Theater in ihrem Alter noch antue. Vielleicht muss man ihre Geschichte etwas kennen, um ihren Antrieb zu verstehen.

    Sie hatte es nicht immer einfach

    Einfach hatte es Hildegard Doser im Leben nicht immer. Ohne Vater wuchs sie im Lechviertel auf. „Wir waren bettelarm. Mein Bruder und ich waren ledige Kinder.“ Die Mutter arbeitete in der Wäscherei einer Textilfabrik. Als Hildegard Doser in der achten Klasse war, so erzählt sie, fielen die Bomben auf Augsburg. Von ihrer Schule blieben nur Trümmer übrig. Für Überlegungen, welche Ausbildung sie wählen könnte, blieb keine Zeit. Die dreiköpfige Familie brauchte Geld.

    Hildegard Doser feiert ihren 90. Geburtstag.
    Hildegard Doser feiert ihren 90. Geburtstag. Foto: Peter Fastl

    Hildegard Doser arbeitete wie ihre Mutter viele Jahre in der Textilindustrie. Später wurde sie Verkäuferin im Modehaus Rübsamen. „40 Jahre lang. Ich schaffte es sogar zur zweiten Verkäuferin, obwohl ich keine Lehre hatte.“ Darauf ist sie heute noch stolz. Einige Augsburger würden sie noch vom Rübsamen kennen. „Ein Theaterbesucher sprach mich mal an, dass ich ihm einst so ein schönes Hösle verkauft habe“, erzählt sie in ihrem Augsburger Dialekt. Solche Begegnungen freuen die Seniorin. „Frau Theater“, wie manche Besucher sie nennen, liebt den Kontakt zu den Menschen. Freundlichkeit und Höflichkeit sind ihr wichtig. Arroganz kann sie gar nicht leiden. Das bekam einst Udo Jürgens in der alten Komödie zu spüren, der ihr offenbar überheblich begegnet war.

    Als er sie dann um einen Sitzplatz bat, wo ihn keiner sehen könne, platzierte Hildegard Doser den Star extra nahe am Eingang. Zudem wies sie jeden Besucher darauf hin, dass da Udo Jürgens sitze. „Ich dachte mir, dir hilf i scho“, sagt sie mit ihrem typischen Schalk in den Augen. Die Zeit in der alten Komödie sei ihre schönste gewesen. Die Bühne war im Gignoux-Haus in der Altstadt untergebracht, das momentan saniert wird. Eigentlich landete Hildegard Doser nur beim Theater, weil sie dort auf ihrem Arbeitsweg zu Rübsamen täglich vorbeilief. „Der Aufpasser, der immer vor der Komödie stand, sprach mich eines Tages an. Sie würden dringend Platzanweiser benötigen. Damals war es noch Kino und Komödie in einem.“

    Sie, inzwischen selbst ledige Mutter einer kleinen Tochter, konnte das zusätzliche Geld gut gebrauchen. Außerdem war sie selbst begeisterte Kinogängerin. In den Schubladen ihres Wohnzimmerschrankes hortet die Seniorin 780 alte Filmprogramme, die sie einst gesammelt hat. Wenn Doser abends in der Komödie arbeitete, passte ihre Mutter auf das Kind auf. „Ich kam immer erst nachts heim. Dadurch habe ich manche Zeit mit meiner Tochter versäumt. Aber ich wollte ihr ja auch etwas bieten können.“ Noch heute, sagt Doser, tue ihr der Zuverdienst gut. Ihre Rente ist mager. Umso mehr freut sie sich über das Entgegenkommen ihres Vermieters, ihre Miete nie zu erhöhen. Das ist Menschlichkeit, die Hildegard Doser schätzt.

    Als die Komödie schloss, weinte sie

    Als die Komödie in der Altstadt schloss, habe sie tagelang geweint. Doch Hildegard Doser ging mit dem Theater mit. Ins große Haus, an die Brechtbühne, in den Martinipark und jetzt ins Ofenhaus. Von der Atmosphäre der neuen Spielstätte am Gaswerk schwärmt die 90-Jährige. „Es ist toll dort und modern. Ich muss nichts Altmodisches um mich herum haben.“ Dass sie nun einen längeren Arbeitsweg hat, stört sie nicht. Mit ihren 90 Jahren fährt Doser mit Tram und Bus nach Oberhausen. Nur abends, wenn sich der Theatervorhang längst geschlossen hat, genießt „Hilde“ Doser ein Privileg. „Dann werde ich als Einzige mit dem Theater-Shuttle nach Hause gefahren. Da bin ich schon froh und dankbar“, gesteht sie.

    Oft ist es kurz vor Mitternacht, wenn Hildegard Doser heimkommt. Dann macht sie sich noch etwas zu essen. An einem freien Abend geht sie auch mal gerne auf ein Gläsle ins Perlachstüble oder spazieren durch die Stadt. Die Couch ist für sie keine gute Alternative. Morgens schläft die Seniorin dafür länger. „Da verpasse ich ja auch nichts“, erklärt sie. Ob sie sich eigentlich alle Theaterstücke ansieht?

    Ein kleine Notlüge

    „Natürlich, wir sollen sogar, damit wir uns mit den Besuchern darüber unterhalten können.“ Manchmal aber greift die Dame zu einer Notlüge. „Wenn mir ein Stück nicht gefällt und mich Besucher nach meiner Meinung fragen, sage ich, ich habe es mir noch nicht angeschaut.“ Sie hebt die Arme und schaut fragend. „Ich kann doch den Leuten nicht sagen, gehen Sie da nicht rein, nur weil ich es nicht gut fand.“

    Ganz nach ihrem Geschmack feiert die Theaterdame ihren runden Geburtstag. Am Donnerstag selbst rechnet Hildegard Doser mit dem ein oder anderen Überraschungsbesuch bei ihr daheim. Dafür hat sie schon Wochen vorher Eierlikör und Aperol besorgt. Am Samstag feiert sie mit der Familie in einem Gasthaus. Bis aus Frankreich kommen die Gäste. Für ihre Feier hat Hildegard Doser einen Wunsch.

    „Ich will zum 90er meinen letzten Walzer tanzen.“ Klingt fast wie ein Schlusswort, ist aber freilich keines. Denn Hildegard Doser arbeitet weiter am Theater. „Bis zur Freilichtbühnensaison auf alle Fälle. Danach sehe ich weiter. Vielleicht ist es an der Zeit, mal etwas kürzerzutreten.“

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