Eigentlich sollte Harry Winderl in diesen Tagen auf dem Rathausplatz Glühwein ausschenken. Es wäre sein erster Job nach seinem schweren Unfall im Oktober vergangenen Jahres gewesen. Über ein Jahr lang hatten ihn seine Verletzungen außer Gefecht gesetzt. Doch die Buden des Christkindlesmarktes sind wegen Corona bekanntermaßen längst wieder verschwunden. Zudem hat Winderl beim Helfen des Auf- und Abbaus des Glühweinstandes von Dieter Held festgestellt, dass er immer noch nicht schmerzfrei arbeiten kann. Keine einfache Erkenntnis für ihn. Der Augsburger Gastronom erzählt, er sei in den vergangenen 15 Monaten durch einige Tiefen gegangen. Jammern liegt ihm jedoch fern. Jetzt will der 53-Jährige an der "letzten Phase meines Comebacks" arbeiten, wie er es nennt.
Statt auf dem Rathausplatz zu stehen, hat er sich in ein Flugzeug gesetzt. Harry Winderl verbringt die nächsten Wochen in Thailand bei Sonne und Wärme. Nachdem der Christkindlesmarkt ausgefallen war, hat er sich dort eine Sport-Reha gebucht, abgesprochen mit seinen Therapeuten in Augsburg. Seit seinem Sturz im Herbst 2020, bei dem er unter anderem einen komplizierten Oberschenkelhalsbruch erlitten hatte (wir berichteten), wurde der Augsburger zweimal operiert, hat nach seinen Angaben rund 350 Behandlungstermine hinter sich. Zuletzt erhielt er im Juni ein künstliches Hüftgelenk. Seitdem kann Winderl wieder richtig laufen. Schmerzen plagen ihn allerdings weiterhin, die Leistungsfähigkeit seines Körpers sei begrenzt, erzählt er. "Das liegt an der langen Zeit meiner Verletzung und den fehlenden Muskeln."
Augsburger Gastronom Winderl: "Auf einmal bist du einfach raus"
Wer Harry Winderl kennt, weiß, dass der Gastronom ein Mensch mit viel Energie und Ideen ist, umtriebig und gerne mit Menschen zusammen. Der Unfall habe ihn von heute auf morgen aus dem normalen Leben geworfen. "Auf einmal bist du einfach raus", sagt er im Rückblick. Plötzlich drehte sich alles nur noch um Schmerzen, Medikamente, Behandlungen, finanzielle Herausforderungen. Der Kontakt zu Mitmenschen veränderte sich. Mit einer Verletzung oder Krankheit, habe er die Erfahrung gemacht, sei man nicht mehr so sexy. "Einige haben mich enttäuscht, das hat wehgetan. Aber damit darf man sich nicht aufhalten." Man lerne mit den Schwächen anderer zu leben. "Man selbst hat ja auch genügend davon." Immer wieder sei er an einen Punkt gekommen, an dem er dachte, das Maß sei voll.
"Aber ich habe nur das eine Leben. Da hilft nichts anderes, als einfach weiterzumachen." Zudem habe er eine Verantwortung gegenüber seinen Ärzten und Therapeuten, die ihn so weit gebracht haben, dass er heute wieder laufen könne. Denn anfangs saß Winderl noch im Rollstuhl, später ging er zunächst auf Krücken. Mit den Gehhilfen mühte er sich aus der Innenstadt manchmal bis in den Wittelsbacher Park. "Ich merkte zum ersten Mal, wie schräg manche Gehwege in Augsburg sind und wie schwer es Menschen mit einem Handicap haben. Sie sind ein Leben lang mit solchen Dingen konfrontiert." Zwei Monate will Winderl jetzt in Thailand bleiben. Für den Aufenthalt hat er sich Ziele gesetzt.
Harry Winderl hofft auf ein Comeback am Osterplärrer 2022
Er will Muskeln wieder aufbauen, trainieren und von den Schmerzmitteln, die er lange Zeit nehmen musste, loskommen. Der großgewachsene Mann kämpft sich weiter zurück. Er hofft, dass nächstes Jahr der Osterplärrer wieder stattfinden kann und er gesundheitlich so weit ist, um an der Schaller-Alm hinter der Bar zu stehen und den Gästen Drinks auszuschenken. Harry Winderl hat einen Leitspruch, der ihn mantraartig durchs Leben begleitet. Es ist nur ein Wort, mit dem er sich auch gerne von Menschen verabschiedet: "Weitermachen."
In unserer Podcast-Reihe "Augsburg, meine Stadt" hat Harry Winderl über sich, seine Verletzung und das Leben in Augsburg erzählt. (Der Podcast wurde vor der Absage des Christkindlesmarktes aufgezeichnet.)