Der Fahrer des tiefer gelegten BMW hat sich den Mittwochabend wohl anders vorgestellt. Als er in die Maxstraße fahren will, steht vor ihm eine Absperrung - und Ramona Gleich. Die Mitarbeiterin eines Security-Dienstes in neongelber Weste erklärt ihm, dass die Maximilianstraße ab sofort an bestimmten Abenden, wie vergangenen Sommer auch, für den Verkehr gesperrt ist. Was der Fahrer davon hält, ist hörbar: Mit quietschenden Reifen wendet er und rauscht über den Milchberg davon. Die Temperaturen sind mild, es ist der erste Abend ohne Maskenpflicht, die Innenstadt ist voll wie gefühlt ewig nicht mehr. Vor allem junge Menschen ziehen durch die Straßen. Sie sind fröhlich, manche ausgelassen. Augsburg lebt wieder. Doch der Spagat zwischen den wiedergewonnenen Freiheiten und dem Infektionsschutz ist kein einfacher. Das hatte das vergangene Wochenende gezeigt, an dem manche Situation brenzlig zu werden drohte. Die Stadt hat reagiert.
Miriam Kotter und Ann-Kathrin Beck wollten eigentlich essen gehen. Allerdings vergaßen sie zu reservieren. "Da war nichts zu holen. In den Restaurants war es überall voll", sagen die 17- und die 18-Jährige. Jetzt sitzen die Freundinnen mit Pizzakartons auf dem Rathausplatz. Dort, wo auch die vielen anderen Jugendlichen in Grüppchen verweilen, essen, trinken, plaudern, lachen. Die beiden jungen Frauen schauen sich um. Ihre Emotionen sind ambivalent. "Es ist ungewohnt, fast etwas unbehaglich wegen der vielen Menschen, aber auch einfach nur super. Auf Abstand achten wir trotzdem." Mit gemischten Gefühlen läuft auch ein Mann in Anzughose und weißem Hemd über den Rathausplatz und beobachtet das Treiben.
Augsburgs Ordnungsreferent: "Den Erfolg nicht gefährden"
Der städtische Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU) macht sich ein Bild, wie der Sommerabend in der vollen Innenstadt verläuft. "Das alles wirkt so surreal", findet auch er. Pintsch freut sich über die weiteren Öffnungsschritte. "Unsere Stadtgesellschaft braucht dieses Durchatmen." Das wolle man auch unterstützen, dennoch dürfe der Erfolg der gesunkenen Inzidenz nicht gefährdet werden. "Die Pandemie ist nicht vorbei." Aber das Leben zurück in der Stadt.
Am Moritzplatz und in der Maxstraße sind alle Tische der Restaurants und Cafés, die in ausreichendem Abstand aufgestellt werden müssen, besetzt. Am Eingang des Damenhofes werden Gäste abgewiesen, es gibt keine Plätze mehr. Vor den Bars bilden sich bis zu 40 Meter lange Schlangen. "Wir stehen für den To-go-Verkauf an", erklärt ein junges Pärchen vor dem Sausalitos. Für Leo Dietz ist es der erste Abend seit Monaten, an dem seine Cocktailbar Peaches wieder geöffnet hat. "Es ist wie ein Neuanfang", meint der Gastronom und CSU-Fraktionsvorsitzende. Zufrieden sei er, aber auch innerlich unruhig. Dietz sorgt sich, dass Leichtsinn und manche Unverantwortlichkeit die wiedergewonnenen Freiheiten gefährden könnten. "Wir alle haben es jetzt in der Hand", betont er. Noch am Morgen hatte die Stadt Augsburgs Gastronomen zu einer Videokonferenz einberufen.
Augsburgs Gastronomie steht unter Beobachtung
Laut Ordnungsreferent Pintsch habe man darin auf die gemeinsame Verantwortung und das Prozedere hingewiesen. Die "sitzende" Außengastronomie darf nach den aktuellen Regelungen des Freistaates Bayern bislang nur bis 22 Uhr öffnen. Pintsch findet das schwierig. "Im letzten Jahr war die regulative Wirkung der verlängerten Außengastronomie ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Wir hoffen auf eine Veränderung." Der To-go-Verkauf ist nur bis 24 Uhr erlaubt, um den Alkoholkonsum "moderat" zu begrenzen. Wenn es die Situation erfordere, sei auch eine drastische Verschärfung des To-go-Verkaufs-Verbots denkbar - wie auch Konsequenzen für einzelne Betriebe bei Auffälligkeiten. "Wir werden sehr genau hinschauen", so Pintsch. Genau im Blick hat auch die Polizei das Treiben. Denn am vergangenen Wochenende war die Situation in der Innenstadt angespannt, erzählt Klaus Lidl, der mit seinen Kollegen durch die Maxstraße Streife läuft.
Am Herkulesbrunnen etwa wurde nicht auf Abstand geachtet, immer wieder mussten die Beamten die Menschen zur Einhaltung der Infektionsschutzregeln anhalten. Die Maximilianstraße sei brechend voll gewesen. "Sheridan- und Reesepark waren leer. Die jungen Leute waren alle hier." Man kenne manche Gesichter inzwischen, fügt Lidl hinzu. Auch die Autoposer aus der Tuningszene, die sich sonst gern zu hundert an der Aral-Tankstelle am Gablinger Weg treffen, seien mit den Autos in die Innenstadt gekommen. "Teilweise wurden aus dem Kofferraum Bierkisten geholt."
Pflanzentröge am Herkulesbrunnen und Sperrung der Maxstraße
In manchen Situationen, berichtet der Außendienstleiter, habe nicht viel gefehlt, und die Nachtschwärmer hätten sich wieder gegen die Beamten solidarisiert. Er erinnert an den Vorfall vergangenes Jahr im Mai, als ein Einsatz vor einer Kneipe in der Maxstraße eskalierte. Dieser Mittwochabend, sagt Lidl und sieht sich um, sei nun viel entspannter. Das liege auch an den vielen Pflanzen am Herkulesbrunnen und an der Sperrung der Maximilianstraße. Die Stadt hat am Brunnen inzwischen zahlreiche Tröge aufgestellt, um Menschenansammlungen zu entzerren. Zudem ist Augsburgs Prachtmeile ab sofort wieder jeden Donnerstag, Freitag und Samstag von 20.30 Uhr bis 6 Uhr morgens für Autoverkehr gesperrt sowie - ganz neu - an jedem Vorabend eines Feiertages.
Dass der Druck auf die Innenstadt in diesem Sommer wieder enorm hoch sein wird, wissen Stadt und Polizei, sie arbeiten eng zusammen. Man setze primär auf Präsenz und Kommunikation, sagt Polizeisprecher Siegfried Hartmann. Die Zahl der Einsatzkräfte werde an den kommenden Wochenenden angemessen erhöht. Schwerpunkte seien die Maximilianstraße mit Seitenstraßen, Rathaus- und Königsplatz sowie die Ludwigstraße.
Um 22 Uhr leeren sich die Tische und Stühle in der Maxstraße schlagartig. Leo Dietz vom Peaches lässt seine Mitarbeiter die Sitzmöbel zusammenklappen und versperren, damit sich ja keiner mehr darauf niederlässt. Jetzt verlassen Besucher zu Fuß oder auf Fahrrädern die Innenstadt, viele Nachtschwärmer aber bleiben noch. Patric Heeren, Kellner des Restaurants Mille Miglia, raucht auf dem Gehsteig erst einmal eine Zigarette. "Es war heftig heute, aber hat so viel Spaß gemacht. Endlich wieder arbeiten, endlich wieder Leben in der Stadt."
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