Wenn sich Menschen das Leben nehmen, ist es oft ein einsamer Tod. Nur selten steht das bittere Thema auch derart im Fokus des öffentlichen Interesses wie unlängst, als vielfach über eine Studie der Uniklinik Essen berichtet wurde. Die Untersuchung hatte ergeben, dass die Anzahl der Suizidversuche bei Kindern im zweiten Lockdown offenbar deutlich höher lag als vor Corona. Gibt es durch die Maßnahmen und die Pandemie mehr Suizide und Suizidversuche? Die Frage steht seit Beginn der Krise im Raum, war mit Blick auf die Situation in Augsburg allerdings bislang nicht so eindeutig zu beantworten. Nun allerdings gibt es bei einer Zahl einen Anstieg.
Fachleute gehen bei Suiziden von einer hohen Dunkelziffer aus, die offiziellen Zahlen der Polizei geben also wohl nicht das Gesamtbild wieder. Eine Tendenz stellen sie dennoch dar. Und bereits im Corona-Jahr 2020 hatte die Zahl der Suizidversuche im Stadtgebiet laut Polizeiangaben bei 130 gelegen – eine deutliche Steigerung gegenüber 2019, in dem es 80 Versuche gewesen waren.
Auch im Bereich des gesamten Polizeipräsidiums, das auch für die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg, Dillingen und Donau-Ries zuständig ist, war die Zahl der Suizidversuche damals höher als in allen Vorjahren bis 2015. Allerdings: Die Zahl der vollendeten Suizide in der Stadt war für 2020 der Polizei zufolge während der Corona-Krise im Vergleich zu Vorjahren sogar erheblich gesunken, von 43 im Jahr 2019 auf 22 in 2020. Eine Entwicklung, für die weder die Polizei noch Fachleute so recht eine Erklärung hatten.
Corona-Krise in Augsburg: Lockdown führte zu psychischen Problemen
Für das Jahr 2021 notierte die Polizei nun für Augsburg eine weitere Steigerung der Suizidversuche; im Kalenderjahr 2021 seien "bezogen auf das Stadtgebiet Augsburg 139 Suizid-Versuche und 32 vollendete Suizide bei der Polizei bekannt", teilt ein Sprecher des Augsburger Präsidiums mit. Das heißt: Es haben noch einmal mehr Menschen versucht, sich das Leben zu nehmen; nimmt man die Zahl der versuchten und vollendeten Suizide zusammen, liegt die Zahl höher als in jedem anderen Jahr seit 2015. Allerdings: Ein drastischer Anstieg ist es nicht; auch liegt die Zahl der vollendeten Suizide niedriger als in manchen Vorjahren, etwa 2018 und 2019.
Für Alkomiet Hasan, Ärztlicher Direktor am Bezirkskrankenhaus Augsburg, kommt diese Entwicklung nicht überraschend. Patienten in der Klinik würden oft die Corona-Krise als bestimmenden Faktor für Krankheiten nennen, bei denen Stress als Ursache eine große Rolle spiele, sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Es gebe bislang keine Hinweise auf eine erhöhte Suizidrate in der Corona-Zeit, die Zahl der Suizide sei aber auch kein gutes Maß für die psychische Verfassung der Bevölkerung. Suizidversuche passierten hingegen öfter und impulsiver. Es gebe zwar selten eine alleinige Ursache für psychische Erkrankungen und Suizidversuche, aber Suizidversuche seien oft "eindeutig ein Stressphänomen" – und Stress gebe es etwa durch Pandemie und Einschränkungen, durch fehlende Strukturen, "und die ständige Beschäftigung mit einem Stressor".
Corona-Einschränkungen und Pandemie belasten Familien
Michele Noterdaeme, Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Josefinum, hatte unserer Redaktion bereits kurz vor Jahreswechsel geschildert, welche Folgen die Corona-Einschränkungen und die Pandemie für den Alltag vieler Familien und die Situation in der Klinik haben. Viele Familien seien belastet, sagte die Medizinerin, und damit seien es auch die Kinder. Der Winter sei ohnehin eine Jahreszeit, in der Kinder und Jugendliche vermehrt Hilfe suchten. Nun komme auch noch Corona dazu. Man sehe einen deutlichen Anstieg an Essstörungen vor allem bei Jugendlichen, aber auch viele massive depressive Verstimmungen, zum Teil hätten die jungen Patienten auch ausgeprägte suizidale Gedanken. Manchmal legen sie in der Klinik am Josefinum derzeit Matratzen aus, weil die 100 stationären Betten, die sie hier für Kinder und vor allem Jugendliche haben, die unter psychischen Problemen leiden, allesamt belegt sind, ebenso die 40 Betten der Tagesklinik. Jeder, der Hilfe brauche, bekomme aber einen Platz, sagte die Medizinerin auch.
Kreisen Ihre Gedanken darum, sich das Leben zu nehmen? Sprechen Sie darüber! Es gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten – per Telefon, Chat, E-Mail oder im persönlichen Gespräch, auch anonym. Hier finden Sie eine Übersicht.