Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Flüchtlinge aus Ukraine kommen an - Gestrandet im Gewerbegebiet

Augsburg

Gestrandet im Gewerbegebiet: Ukrainische Flüchtlinge kommen in Augsburg an

    • |
    Im Ankerzentrum in der Aindlinger Straße in Augsburg  werden Menschen aus der Ukraine registriert und aufgenommen. So wie Wladimir und Anastasia Ivanov mit ihren drei Kindern.
    Im Ankerzentrum in der Aindlinger Straße in Augsburg werden Menschen aus der Ukraine registriert und aufgenommen. So wie Wladimir und Anastasia Ivanov mit ihren drei Kindern. Foto: Silvio Wyszengrad

    Wenn es sein muss, stehen sie hier in einer Reihe bis zum Straßenrand und stundenlang. Manche von ihnen haben die ganze Ukraine durchquert, um herzukommen, ein riesiges Land, dazu Polen oder die Slowakei und Tschechien. Sie haben vorerst ihre Heimat verloren, in die eine fremde Armee einmarschiert ist, in der vielleicht ihre Häuser zerbombt wurden. Was machen da noch ein paar Stunden Warterei? Es sind Menschen wie Eugenia, die hier ankommen, 26 Jahre alt, eine gelernte Übersetzerin, die fließend Englisch spricht, gerade Online-Kurse belegt hatte und im IT-Bereich beruflich neu anfangen wollte, ehe die russische Invasion begann. Menschen wie Anastasia Ivanova und Wladimir Ivanov, die drei kleine Kinder haben, das jüngste nur vier Wochen alt. Und die nun vorerst hier gestrandet sind, im schmucklosen Gewerbegebiet in Lechhausen.

    Die ukrainischen Flüchtlinge werden hier im sogenannten Anker-Verwaltungszentrum in der Aindlinger Straße registriert, die Mitarbeiter machen Fotos von ihnen und nehmen Fingerabdrücke ab. Wer keine weitere Unterkunft hat, bleibt die erste Zeit erst einmal im Gebäude, das früher zur Verlagsgruppe Weltbild gehörte. Zwei große Schlafsäle gibt es, der Schlafsaal 1 ist an diesem Dienstagvormittag brechend voll. Gut 90 Menschen liegen in ihren Stockbetten, lesen etwas, schauen auf ihre Handys oder unterhalten sich. Es kommen hier Flüchtlinge und Asylbewerber aus der ganzen Welt an, derzeit hört man in dem Raum vor allem russische oder ukrainische Wortfetzen, für Laien ist der Unterschied nur schwer herauszuhören. Man sieht junge Mütter mit müden Augen und Kinder, die in den Gängen umherflitzen, etwas in Malbrücher kritzeln oder in den Stockbetten sitzen und quengeln. Die Stimmung ist friedlich, trotz der vielen Menschen auf engem Raum.

    Icon Galerie
    21 Bilder
    Neu ankommende Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, werden im Ankerzentrum in der Aindlinger Straße in Augsburg registriert, aufgenommen und versorgt.

    Krieg in der Ukraine: So werden Flüchtlinge in Augsburg untergebracht

    Frank Kurtenbach steht in der Eingangstür zum Schlafsaal und blickt auf die Szenerie. Kurtenbach, 57, ein freundlicher Mann mit wachen Augen, ist Leiter der der schwäbischen Einrichtungen für "Ankunft, Entscheidung und Rückführung", abgekürzt Ankerzentren. Es ist ein Job, der in diesen Tagen viel Einsatz verlangt und auch viele Einsatzstunden. "Seit zwei Wochen sind wir am Rotieren", sagt er. Zum Teil arbeite er gerade 15 Stunden am Tag, und es ist eher nicht absehbar, dass die Lage so schnell entspannter wird. Das liegt an den vielen, vielen Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind und die nun in Deutschland Schutz und Unterkunft suchen. Im gesamten Februar noch, berichtet Kurtenbach, habe man hier in der Aindlinger Straße etwa 300 Menschen registriert. Momentan seien es 300 bis 400 Menschen, die sich im Verwaltungszentrum anmelden wollten – pro Tag. Das Problem an der Sache: Eine "erkennungsdienstliche Behandlung", wie der Vorgang im Behördendeutsch heißt, braucht viel Zeit. "Wir schaffen pro Tag etwa 150 Registrierungen", sagt Kurtenbach. Also nur knapp die Hälfte, es staut sich. Wer nicht dran kommt, erhält einen separaten Termin.

    Viel los: Im Schlafsaal 1 der Unterkunft sind die Betten voll, rund 90 Menschen leben hier zur Zeit, die meisten aus der Ukraine.
    Viel los: Im Schlafsaal 1 der Unterkunft sind die Betten voll, rund 90 Menschen leben hier zur Zeit, die meisten aus der Ukraine. Foto: Silvio Wyszengrad

    Bald soll die Lage besser werden. Vier spezielle Registrierungsssysteme gibt es in der Aindlinger Straße, bald sollen weitere dazukommen. Frank Kurtenbach stellt sich allerdings darauf ein, dass das alleine nicht ausreicht. "Wir werden die Zeiten ausdehnen", sagt er. Bisher wird die Anmeldung der Flüchtlinge von 8 bis 17 Uhr vorgenommen, von Montag bis Freitag, künftig stattdessen an sieben Tagen die Woche von 7 bis 22 Uhr, die Mitarbeiter der Regierung von Schwaben arbeiten dann im Zwei-Schichten-System. "Und wenn das nicht reicht, machen wir eine Nachtschicht", sagt Kurtenbach. Man muss sich der Lage anpassen.

    Was mit den Ukrainerinnen und Ukrainern passiert, die in Deutschland Schutz suchen und in Augsburg landen, ist unterschiedlich geregelt. Geflüchtete, die bei Verwandten oder Freunden unterkommen können, müssen lediglich zur Registrierung in der Einrichtung der Regierung von Schwaben erscheinen und können anschließend zurückkehren. Wer vor Ort keine Anlaufstelle hat, wird kurzfristig für die Registrierung in der Einrichtung untergebracht, ehe die Flüchtlinge in dezentrale Gemeinschaftsunterkünfte kommen.

    Ukraine-Flüchtlinge in Augsburg: Zurück in die Heimat, sobald das geht

    Unter denen, die sich derzeit noch im Schlafsaal des Verwaltungszentrums in Lechhausen aufhalten, ist Eugenia, die frühere Übersetzerin. Eine junge Frau, die ausgezehrt wirkt von der Flucht, dem Schlafmangel, der Lage in ihrer Heimat oder allem zusammen. Sie lebte bis vor Kurzem noch in Odessa, einer Millionenstadt am Schwarzen Meer, und kam über Ungarn mit dem Bus nach Deutschland. Ihr Mann, berichtet sie, sei nach wie vor in der Ukraine. Es gehe ihm gut, aber er solle nun kämpfen. Viele ihrer Freunde und Verwandten seien noch in der Ukraine. "It's crazy what's going on", sagt sie auf Englisch. Es sei verrückt, was dort passiere. Sie teilt sich ein Stockbett mit Natalya, 43, die mit ihren zwei Kindern nach Deutschland geflüchtet ist. Im Stockbett gegenüber schläft Natalyas Schwester Ilona, 29, sie hat ebenfalls zwei Kinder. Sie stammen aus Dnipro, einer Stadt im Osten der Ukraine. Viele Ukrainer, sagt Natalya, flüchteten wegen der Kinder, sie wollten sie nicht der Gefahr und den Bildern des Krieges aussetzen.

    Bewegtes Schicksal: Die Schwestern Natalya (links) und Ilona sind mit ihren Kindern aus Dnipro nach Deutschland geflüchtet.
    Bewegtes Schicksal: Die Schwestern Natalya (links) und Ilona sind mit ihren Kindern aus Dnipro nach Deutschland geflüchtet. Foto: Silvio Wyszengrad

    Ähnliches berichten Anastasia Ivanova und Wladimir Ivanov, ein junges Ehepaar, das bis vor Kurzem noch in der Nähe von Kiew lebte, der ukrainischen Hauptstadt. Sie haben drei Kinder, der jüngste Sohn, Daniel, ist vier Wochen alt. Es gehe ihnen und den Kindern nun gut, sagt Anastasia Ivanova, sie und ihr Mann versuchten, den Kleinen positive Momente zu schaffen. Vor ihrer Flucht verbrachte die Familie drei Nächte im Keller vom Wladimir Ivanovs Bruder, erzählt sie. Sie flüchteten über die Slowakei, irgendjemand nahm sie immer mit, niemand habe Geld gewollt, die Menschen seien sehr hilfsbereit gewesen. Während Anastasia Ivanova berichtet, übersetzt Dimitri Ivanov ins Deutsche, ein Mann, der schon alleine wegen seiner gelben Warnweste auffällt.

    Mitarbeiter des Augsburger Ankerzentrums stehen vor einer Sondersituation

    Dimitri Ivanov, 48, ist Security-Mitarbeiter hier im Verwaltungszentrum, gerade aber so etwas wie der Mann für alle Fälle. Der Augsburger ist in Usbekistan geboren und spricht Russisch, das macht ihn momentan zu einem sehr gefragten Mann. Als am Vormittag eine Familie zur Einrichtung kommt und weder Englisch noch Deutsch spricht, schaltet ein anderer Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes schnell sein Walkie-Talkie an: "Dimitri, kannst du kurz herkommen?" Und jetzt kann Dimitri Ivanov kaum einen Meter durch den Schlafsaal 1 gehen, ohne dass jemand etwas von ihm will. "Jeder hat zehn, fünfzehn Fragen." Manchmal, sagt er, muss er die Menschen hier einfach nur beruhigen, ihnen erzählen, dass der Krieg in Deutschland weit weg sei. Eine Sondersituation, all das.

    Security-Mitarbeiter Dimitri Ivanov ist momentan im Ankerzentrum ein gefragter Mann - er spricht Russisch und hilft an vielen Stellen als Übersetzer aus.
    Security-Mitarbeiter Dimitri Ivanov ist momentan im Ankerzentrum ein gefragter Mann - er spricht Russisch und hilft an vielen Stellen als Übersetzer aus. Foto: Silvio Wyszengrad

    Zur Sondersituation gehört auch, dass die Menschen, die die Unterkunft in der Aindlinger Straße leiten, nicht penibelst auf jede Vorschrift schauen, die auf dem Papier existiert. Klar, man wolle einen "Kontrollverlust wie 2015 vermeiden", sagt Frank Kurtenbach, deswegen der etwas mühselige Registrierungsprozess, der sehr ernst genommen wird. Und Corona sei noch mal ein eigenes Thema. Die Impfquote in der Ukraine ist niedrig, und dazu wurde dort vielfach ein chinesischer Impfstoff verimpft, der eher nicht als besonders wirksam gilt. Ohne negativen PCR-Test dürfen die Flüchtlinge das Verwaltungszentrum nicht in Richtung einer anderen Unterkunft verlassen, sagt Kurtenbach. Aber dann gibt es da zum Beispiel die Regel, dass in der Einrichtung keine Tiere erlaubt sind. Was schwer umsetzbar ist, wenn Familien aus einem nahen Kriegsland flüchten und schnell den wichtigsten Hausrat zusammensuchen und ihre Haustiere nicht sich selbst überlassen wollen und daher mitnehmen. Seit der russischen Invasion sieht man also in der Unterkunft die eine oder andere ukrainische Katze oder auch mal einen Hund. Die Leitung drückt ein Auge zu.

    Ankerzentren-Leiter Frank Kurtenbach sieht viel Arbeit für die Behörden

    Frank Kurtenbach sagt, die meisten Ukraine-Flüchtlinge wollten zurück, aber "wir gehen davon aus, dass wir die Menschen länger unterbringen". Die Lage ist dabei in vielen Punkten anders als zur Flüchtlingswelle 2015, beginnend damit, dass sich die Ukrainerinnen und Ukrainer theoretisch in Deutschland nicht einmal anmelden müssten und hier bis zu 90 Tage lang ohne Registrierung aufhalten dürften. Allerdings erhalten sie nur mit einer Registrierung auch die Leistungen, die denen von Asylsuchenden entsprechen. Organisator Kurtenbach sieht noch viel Arbeit für die Behörden. "Die Kinder wird man beschulen müssen", sagt er. Und die Erwachsenen würden arbeiten wollen.

    Einrichtungsleiter Frank Kurtenbach rechnet mit vielen weiteren Flüchtlingen aus der Ukraine.
    Einrichtungsleiter Frank Kurtenbach rechnet mit vielen weiteren Flüchtlingen aus der Ukraine. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Ukrainer in der Unterkunft selbst wissen oft noch nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Wollen sie mal zurück? Ja, sagen manche, sobald die Situation das zulasse, wann immer das ist. Nein, sagt Natalya, die Mutter zweier Kinder. Sie wolle wohl in Deutschland bleiben.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. Die Augsburgerin Tanja Hoggan-Kloubert spricht über die Angst um ihre Eltern in der Ukraine – und die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden