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Augsburg: Experte zu Skandalheim: "Warum ergreift keiner das Wort für Pflegende?"

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Experte zu Skandalheim: "Warum ergreift keiner das Wort für Pflegende?"

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    Viele Pflegekräfte machen einen "Top-Job", betont Palliativ-Arzt Eckhard Eichner. Sie wären gestärkt, wenn jemand das Wort für sie ergreifen würde, findet er.
    Viele Pflegekräfte machen einen "Top-Job", betont Palliativ-Arzt Eckhard Eichner. Sie wären gestärkt, wenn jemand das Wort für sie ergreifen würde, findet er. Foto: Julian Leitenstorfer (Symbolbild)

    Nach der Schließung des Seniorenheims Ebnerstraße werden nun im Landtag Veränderungen im Pflegebereich diskutiert. Sie kritisieren den eingeschlagenen Weg. Warum?
    DR. ECKHARD EICHNER: Der vom bayerischen Gesundheitsminister Klaus Holetschek vorgestellte Fünf-Punkte-Plan und andere Diskussionen zielen vor allem darauf ab, mehr zu kontrollieren und die Heimaufsicht zu stärken. Mein Ansatz wäre, die Missstände zu identifizieren und zu beseitigen.

    Wie würde das konkret aussehen?
    EICHNER: Das größte Problem ist der Pflegenotstand, der mehrere Ursachen hat. So müsste man sich Gedanken darüber machen, wie die Flucht aus dem Beruf reduziert werden kann. Oder wie wir es schaffen könnten, dass bedürftige und alte Menschen besser versorgt werden. Geht das wirklich nur über mehr Kontrollen? So würde alles bleiben wie gehabt und nach der Ebnerstraße wäre vor der nächsten Ebnerstraße. Viel eher müsste es darum gehen, was getan werden kann, damit die Pflegekräfte nicht ausbrennen.

    Dr. Dr. Eckhard Eichner ist Vorsitzender des Vorstands Augsburger Palliativversorgung.
    Dr. Dr. Eckhard Eichner ist Vorsitzender des Vorstands Augsburger Palliativversorgung. Foto: Ahpv/jost-g.thorau

    Was bräuchte es, dass das nicht passiert?
    EICHNER: Andere Dienstmodelle. Es bräuchte verbesserte Arbeitsbedingungen, etwa mehr Pflegekräfte pro Schicht oder eine Reduzierung der Wochenendarbeitszeit. Schließlich haben Pflegekräfte auch eine Familie zu Hause, die sie sehen oder Freunde, mit denen sie ausgehen wollen. Viele beklagen sich, dass sie zu oft einspringen müssen. Andere sind krankmachend überlastet. Ich verstehe nicht, warum nach dem Vorfall in der Ebnerstraße niemand für die Pflege spricht.

    Wer sollte das Thema aus Ihrer Sicht ansprechen, um den Blick eher darauf zu lenken?
    EICHNER: Die Pflege müsste für sich selber sprechen. In den Medien, auch in Ihrer Zeitung, war so viel über Skandalheim, Missstände, Pflegemangel, Pflegeskandal und Pflegekräfte zu lesen. Es gibt die Vereinigung der Pflegenden in Bayern, was eine Art Ersatzkammer im Freistaat ist. Wo sind die jetzt? Sie hätten sich nach den Vorkommnissen in der Ebnerstraße hörbar zu Wort melden müssen. Viele Pflegekräfte machen einen Top-Job. Sie wären gestärkt, wenn jemand das Wort für sie ergreifen würde.

    Das Seniorenheim Ebnerstraße war ein vergleichsweise günstiges Heim. Womöglich ist gute Pflege für diesen Betrag einfach nicht möglich...
    EICHNER: Billige Heime sollten per se nicht verdammt werden. Sie haben auch ihre Berechtigung, wenn sie innerhalb der Zulässigkeit agieren. Dort war auch nicht nur schlechtes Personal, wie es in der Berichterstattung teilweise rüberkam. In meinem Beruf als Palliativ-Arzt bei der Augsburger Palliativversorgung komme ich viel herum. In der Ebnerstraße hatte ich auch schon sehr gute Begleitungen von Schwerstkranken.

    Der Augsburger Gesundheitsreferent Reiner Erben steht nun in der Kritik, weil er und die Heimaufsicht nicht früher gehandelt haben.
    EICHNER: Das ist typisch deutsch. Man braucht immer einen Schuldigen, der dann an den Pranger gestellt wird. Dabei braucht es keinen Schuldigen. Man muss gute Pflege stärken und schlechte Pflege identifizieren und abstellen. Der Augsburger Stadtrat ist auch nicht das richtige Organ, um etwas zu ändern. Dafür braucht es Gesetzesänderungen wie ein Pflegestärkungsgesetz. Es ist der Auftrag der überregionalen Politik, Lösungen zu finden. Wir müssen uns darüber klar werden, was uns die Pflege von alten Menschen und Hilfsbedürftigen wert ist.

    Wie könnte der Fachkräftemangel gelöst werden?
    EICHNER: Natürlich sind Vorfälle wie in der Ebnerstraße nicht gerade förderlich. Der Nachwuchs liest negative Berichterstattungen und denkt sich, in so einen Beruf gehe ich erst gar nicht, obwohl dieser Beruf auch weiterhin toll ist. Bei Asylbewerbern oder Migranten, die in den Pflegeberuf gehen wollen und gut geeignet wären, müsste man bürokratische Hürden abbauen. Diese Arbeit muss auch angemessen bezahlt werden. Dabei macht Geld, meiner Meinung nach aber nur etwa ein Drittel der Motivation aus. Der Mensch will mit dem Gehalt zufrieden sein, zusätzlich braucht er das Gefühl, einer sinnhaften Arbeit nachzugehen und er muss sich in seinem Team wohlfühlen.

    Zur Person

    Dr. Eckhard Eichner, 55, ist sowohl Vorstandsvorsitzender des Augsburger Hospiz- und Palliativversorgung e.V. als auch Geschäftsführer/stv. ltd. Arzt der Augsburger Palliativversorgung. Der Netzwerkverein zählt in Stadt und Landkreis Augsburg rund 50 Mitglieder. Im vergangenen Jahr haben die Mitarbeiter der Augsburger Palliativversorgung 580 sterbende Menschen begleitet.

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