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Augsburg: Experte: So ungleich trifft der Klimawandel die Menschen in Augsburg

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Experte: So ungleich trifft der Klimawandel die Menschen in Augsburg

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    Jens Soentgen  vom Wissenschaftszentrum Umwelt der Uni Augsburg beschäftigt sich mit den Folgen des Klimawandels.
    Jens Soentgen vom Wissenschaftszentrum Umwelt der Uni Augsburg beschäftigt sich mit den Folgen des Klimawandels. Foto: Peter Fastl

    Der fortschreitende Klimawandel hat vielfältige Auswirkungen. Mehr Hitzeperioden und zahlreiche andere Umweltveränderungen machen auch hierzulande mehr Menschen krank. Kann man sich Gesundheit im Klimawandel kaufen?

    Soentgen: Natürlich kann man das. Gesundheit konnte man immer schon kaufen. Auch in früheren Gesellschaften war es so, dass Personen mit hohem Einkommen und hohem gesellschaftlichen Status gesünder waren und deutlich länger lebten als Menschen mit niedrigem sozialen Status und niedrigem Einkommen. In Deutschland und auch in einigen anderen Ländern konnte seit dem 19. Jahrhundert die Ungleichheit in der Lebenserwartung und allgemein in der Gesundheit durch etliche sozial- und umweltpolitische Maßnahmen ausgeglichen werden.

    Welche Maßnahmen waren das?

    Soentgen: In erster Linie war dafür verantwortlich die Einführung der allgemeinen Krankenversicherungspflicht durch Bismarck im Jahr 1881, die eine medizinische Grundversorgung auch für ärmere Gruppen ermöglichte. Allgemein stieg dadurch auch das Interesse an Gesundheitsthemen. Hinzu kamen zentrale umwelthygienische Maßnahmen, bei denen Bayern übrigens Vorreiter war, dank der Arbeit von Max von Pettenkofer, der von Ludwig II. substantiell unterstützt wurde. In Augsburg hat Umweltgerechtigkeit übrigens ebenfalls Tradition. Sauberes Trinkwasser wurde ab dem 19. Jahrhundert für alle bereitgestellt, nicht nur für die Reichen und Mächtigen. Sehr wichtig waren, in Augsburg, in Bayern und in Deutschland, auch Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur gesundheitlichen Aufklärung.

    Bedeutet das, dass sich heute die Lebensbedingungen und Lebenserwartung für Bürger aller sozialen Schichten in etwa angeglichen haben?

    Soentgen: Nein, so erfolgreich waren die genannten Maßnahmen auch wieder nicht. Es ist ja offensichtlich und wird auch durch Studien bestätigt, dass auch bei uns die Wohlhabenden im Allgemeinen weniger krankmachenden Umwelteinflüssen ausgesetzt sind als ärmere Bevölkerungsgruppen. Dies betrifft etwa den Lärm oder die Luftqualität. Auch bei uns gibt es also noch Luft nach oben für mehr Umweltgerechtigkeit.

    Wie wird sich die Situation mit dem Klimawandel verändern?

    Soentgen: Es ist nicht damit zu rechnen, dass die 1 ,5-Grad-Marke bei der Erderwärmung, die in Paris vor ziemlich genau fünf Jahren beschlossen worden war, noch gehalten wird, auch wenn mit den ungewollten und unvorhergesehenen Effekten von Corona ein kleiner Aufschub kommt. Der Klimawandel wird sich weiter entfalten, und dies hat eine Lawine von Effekten. Wir werden einiges tun müssen, damit es nicht zu neuen massiven Ungleichheiten kommt.

    Welche neuen Ungleichheiten kommen auf uns zu?

    Soentgen: Das ist ein Thema der aktuellen Forschung an der Universität Augsburg. Professorin Elke Hertig von der medizinischen Fakultät beschäftigt sich zum Beispiel mit den zu erwartenden Veränderungen der Luftqualität. Kürzlich haben wir mit herausragenden Experten ein Symposium zu „Ungleicher Umweltbelastung“ an der Medizinischen Fakultät durchgeführt. Das Ziel muss sein, auch bei steigender Temperatur eine gute Umweltqualität für alle Bürgerinnen und Bürger zu sichern beziehungsweise zu erreichen. Auch in dem neuen Klimaresilienz-Zentrum der Universität Augsburg, das bald gegründet werden wird, wird zu diesem Thema geforscht werden.

    Wie wird sich der Klimawandel denn ganz konkret in Augsburg auswirken?

    Soentgen: Die Stadt Augsburg hat ja klugerweise schon eine Vulnerabilitätsstudie machen lassen, derzeit wird an einer Maßnahmen- Studie gearbeitet. Verglichen mit anderen Städten haben wir in Augsburg insgesamt, beispielsweise aufgrund der stadtnahen Naturschutzgebiete, eine sehr gute Ausgangsposition, wenn man es etwa mit Städten wie Stuttgart vergleicht. Es wird, dank einer wirklich nachhaltigen Politik der Stadt und ihrer Versorgungsunternehmen, auch in den nächsten Dekaden weiter eine hervorragende Trinkwasserqualität in Augsburg geben. Der Welterbe-Titel, der Augsburg verliehen wurde, hat zu Recht nicht nur Monumente ausgezeichnet, sondern gerade auch das zukunftsweisende Konzept in der nachhaltigen, ökologischen Wasserpolitik. In vielen anderen Feldern aber werden Maßnahmen notwendig werden.

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    Kraftwerke, Brunnen und Lechkanäle verhalfen Augsburg einst zum Aufschwung. Dieses Zusammenspiel macht Augsburg zum Unesco-Welterbe.

    Was bedeutet das konkret?

    Soentgen: Wir werden steigende Temperaturen und auch mehr Temperaturextreme erleben und teilweise auch erdulden müssen. Hier ist zum einen gesundheitliche Aufklärung wichtig. Wichtig ist aber auch, Wege zu finden, die Stadt zu kühlen, um es einmal plakativ zu sagen - und zwar so, dass alle und nicht nur die besser Situierten etwas davon haben. Hierzu zählen dann auch Aufforstungen und neue Grünanlagen, denn insbesondere Bäume sorgen für Abkühlung.

    Gibt es auch Effekte des Klimawandels, die alle gleichmäßig betreffen?

    Soentgen: Auch die dürfte es geben. Denken wir etwa an die jetzt schon messbaren Veränderungen im Pollenflug. Wir werden künftig voraussichtlich kaum mehr pollenfreie Zeiten im Jahr haben. Dies betrifft zunächst alle gleichmäßig, und in diesem Fall vielleicht sogar die Wohlhabenden etwas stärker, da diese oft in Gegenden wohnen, die stärker begrünt und bewaldet sind. Zu denken ist aber auch an die psychischen Belastungen. Unsere gewohnte, jahrhundertelang sehr stabile Umwelt wird schon in wenigen Dekaden ganz anders aussehen. Zahlreiche Arten und viele gewohnte Schönheiten werden verschwinden. Das wird auch psychische Effekte haben, Traurigkeit und Entfremdung zum Beispiel. Heute wird in der Forschung von Solastalgia gesprochen. Das ist jener existentielle Stress, der bei Menschen, wenn auch nicht bei allen im gleichen Maße, durch rapide Umweltveränderungen und Umweltzerstörung hervorgerufen wird.

    Zur Person: Jens Soentgen ist Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Universität Augsburg. Soentgen ist Chemiker und Philosoph. Er ist Autor zahlreicher philosophischer Werke und Sachbücher.

    Hören Sie sich dazu auch unsere Podcastfolge über die Bewegung "Fridays for Future" an:

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