Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Ex-Gefängnisdirektor: "Gefängnisse nützen niemandem"

Augsburg

Ex-Gefängnisdirektor: "Gefängnisse nützen niemandem"

    • |
    Der ehemalige Gefängnisdirektor und Rechtsanwalt Thomas Galli hält nicht viel von Gefängnissen. Er hat ein Buch geschrieben: „Weggesperrt – warum Gefängnisse niemandem nützen“.
    Der ehemalige Gefängnisdirektor und Rechtsanwalt Thomas Galli hält nicht viel von Gefängnissen. Er hat ein Buch geschrieben: „Weggesperrt – warum Gefängnisse niemandem nützen“. Foto: Klaus Rainer Krieger

    Thomas Galli kritisiert seit vielen Jahren Sinn und Zweck von Gefängnissen. Der Augsburger Rechtsanwalt hält es für absolut sinnlos, „Menschen zu Hunderten in Anstalten zu sperren“. Mittlerweile hat er zu diesem Thema sein viertes Buch veröffentlicht: „Weggesperrt – warum Gefängnisse niemandem nützen“. Galli greift darin auf seine eigene Erfahrung zurück. Der 47-Jährige hat einst als Beamter in Justizvollzugsanstalten gearbeitet, Gefängnisse sogar geleitet.

    Thomas Galli weiß, dass viele Menschen seine Kritik am deutschen Strafsystem nicht teilen. Doch für ihn ist das kein Grund, das Thema beiseitezulegen. Der gebürtige Augsburger hat es sich zu einer Art Lebensaufgabe gemacht, eine Veränderung des Strafsystems in Gang zu setzen. Denn Gefängnisstrafen, so ist seine Beobachtung, seien nur in den seltensten Fällen angebracht. Mit seinen Büchern war Thomas Galli bereits ein gefragter Gast in Talkshows. Medien interviewten ihn, mit Lesungen tourte er in den vergangenen Jahren durch Deutschland. „Ich führte viele Diskussionen. Mir fiel auf, dass die meisten Menschen denken, im Knast sitzen nur Mörder und Vergewaltiger.“

    Thomas Galli: Anwalt fordert, Gefängnisse in bisheriger Form abzuschaffen

    Der ehemalige Gefängnisdirektor und Rechtsanwalt Thomas Galli hält nicht viel von Gefängnissen.
    Der ehemalige Gefängnisdirektor und Rechtsanwalt Thomas Galli hält nicht viel von Gefängnissen. Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

    Dabei machten diese Verbrecher nur einen geringen Anteil aus. „Die absolute Mehrheit der Inhaftierten hat keine Gewalttat begangen. Statistiken zufolge muss die Hälfte aller Inhaftierten nur eine Haftstrafe bis zu einem Jahr verbüßen.“ Kleinkriminelle eben oder Drogensüchtige. Galli ist überzeugt, dass in den meisten Fällen der Entzug der Freiheit eher Schaden anrichtet, als Nutzen bringt. Zwar gebe es in der Gesellschaft ein Bedürfnis nach Strafe. Doch die Ziele – einen Täter zur Reue bewegen, ihn abschrecken oder Opfern Genugtuung verschaffen – würden nur selten erreicht.

    Als Beispiel führt er in seinem neuesten Buch das Schicksal eines Gefangenen mit dem Namen Ludwig an. „Seine Geschichte steht exemplarisch für viele andere, die sich in Haft befinden.“ Zwar komme Ludwig nicht aus schwierigsten sozialen Verhältnissen, schildert Galli. „Aber er wuchs allein bei seinem Vater auf, der emotional eine sehr distanzierte Person war.“ Ludwig entwickelte selbst emotionale Schwierigkeiten, nahm Drogen, handelte irgendwann damit.

    Wir haben Thomas Galli auch zu einem langen Gespräch getroffen. Sie können sich die gut einstündige Podcast-Folge hier anhören:

    Galli lernte ihn im Gefängnis als einen sensiblen, in sich verschlossenen Mann kennen, der seinen kleinen Sohn vermisste. „Er erschien mir nicht gewalttätig.“ Ludwig gelangte auch im Gefängnis an Drogen. Galli sagt, im Laufe der Haft wurde die Verfassung des jungen Mannes immer schlimmer. Einmal habe er in der JVA einen Beamten geschlagen. Disziplinarische Maßnahmen wie Einzelarrest und nur eine Stunde Hofgang am Tag folgten. Ludwig begann unter Angstzuständen zu leiden. „Er geriet in einen Teufelskreis, der systembedingt vorgegeben war und den er nicht durchbrechen konnte“, beobachtete Galli. Der Inhaftierte bekam eine zusätzliche Haftzeit oben draufgepackt. Letztendlich sei Ludwig drei Jahre hinter Gittern gewesen.

    Augsburger Rechtsanwalt: Haftstrafen oft kontraproduktiv

    Thomas Galli könnte zig Beispiele aufführen, in denen sich die Haft als kontraproduktiv entpuppt habe. Rund 15 Jahre lang war der Augsburger im Strafvollzug tätig. Sein Fazit: Die Menschen machten sich etwas vor, wenn sie glaubten, Gefängnisse würden etwas Positives bewirken. Galli plädiert für alternative Strafen. „Man könnte die gemeinnützige Arbeit ausbauen, das wäre gerade für den Großteil der kurzen Haftstrafen sinnvoll.“ Er denkt weiter an dezentrale Wohngruppen, in denen Bewohner elektronisch überwacht werden könnten, an elektronische Fußfesseln. „Unser Strafrecht ist zudem zu sehr täterfixiert. Die Mehrheit der Opfer leidet unter materiellen Schäden und will eine finanzielle Wiedergutmachung.“ Er ist überzeugt, dass der Täter-Opfer-Ausgleich stärker in den Mittelpunkt gerückt gehört.

    Der Augsburger Rechtsanwalt sagt, er habe in den vergangenen Jahren aufgrund seiner bereits veröffentlichten Bücher und des regen Austausches darüber viel dazugelernt. Die Dimension des Minenfeldes, auf dem er sich bewege, sei ihm dadurch erst klar geworden. Oft wurde über ihn mit der Schlagzeile berichtet: Ex-Gefängnisdirektor will Gefängnisse abschaffen. „Wenn Angehörige von Opfern so eine Überschrift lesen, kann ich verstehen, dass sie wütend werden und es eine unverantwortliche These finden.“ Notorische und hochgefährliche Straftäter gehören seiner Meinung nach weiterhin inhaftiert.

    Doch für alle anderen brauche es einen alternativen, wirkungsvollen Strafvollzug. Doch auch dafür handelt sich Thomas Galli offenbar Kritik ein, weil seine Alternativansätze von manchem als unmenschlich und ungerecht befunden werden. „Ich gerate von allen Seiten unter Druck.“ Das belastet den 47-Jährigen zwar nicht, aber es regt ihn an, mehr über das Wie seiner Kommunikation nachzudenken. „Inzwischen weiß ich, dass ich versuchen muss, die Mehrheit der Menschen mitzunehmen“, sagt der verheiratete Familienvater.

    Info:„Weggesperrt – warum Gefängnisse niemandem nützen“, erschienen bei Edition Körber, 18 Euro.

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden