Das Ermittlungsverfahren gegen einen früheren Mitarbeiter der Augsburger Domsingknaben, der mehrere Dutzend Kinder und Jugendliche des überregionel bekannten Chors heimlich gefilmt haben soll, steht offenbar vor dem Abschluss. Wie Thomas Goger von der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg auf Anfrage bestätigt, seien die Ermittlungen "weit fortgeschritten". Bei der Staatsanwaltschaft ist das bayernweite "Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet" angesiedelt, daher ist die Behörde aus Franken in dem Fall zuständig. Wie berichtet, richten sich das Verfahren gegen einen heute 25 Jahre alten Mann, der zwischen 2017 und 2020 insgesamt 160 Videoaufnahmen angefertigt haben soll.
Die Vorwürfe gegen den früheren Mitarbeiter der Domsingknaben, einer Einrichtung des katholischen Bistums Augsburg, waren aufgekommen, nachdem die deutschen Ermittler einen Hinweis aus dem Ausland erhalten hatten, demzufolge er im Besitz von Kinderpornografie sein könnte. Daraufhin gab es im September 2020 eine Razzia, bei der die Polizei 378 kinderpornografische Bilder auf einem unverschlüsselten Handy entdeckte. Als sie später weitere, verschlüsselte technische Geräte des Mannes knackte, sollen die Beamten auf die Videos gestoßen sein. Offenbar hatten die Ermittler schnell einen Verdacht, woher die Aufnahmen stammen könnten: unter anderem aus den Räumen der Domsingknaben. Dort also, wo der Verdächtige früher als Assistent Zugang und Kontakt zu Chormitgliedern hatte.
Bei den Augsburger Domsingknaben war der Schock groß
Bei den Domsingknaben arbeitet der 25-Jährige indes schon eine Weile nicht mehr; nach Recherchen unserer Redaktion lebt und arbeitet der Verdächtige inzwischen in Dresden. Bei dem Augsburger Chor war der Schock indes groß; es gab etwa vier Informationsabende zu dem Sachverhalt, in den Wochen zuvor waren Betroffene informiert und Zeugen befragt worden. Ein Elternteil sprach gegenüber unserer Redaktion von einer „Tragödie“. Abmeldungen gab es nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den früheren Mitarbeiter indes nicht, wie der Geschäftsführer des Chors unserer Redaktion vor einigen Wochen mitteilte.
Die Ermittlungen nahmen einige Zeit in Anspruch, auch da zunächst nicht alle Opfer, die auf den Videos zu sehen waren, von der Polizei identifiziert werden konnten. Inzwischen sei ein weiterer Geschädigter identifiziert, sagt Oberstaatsanwalt Goger. Damit erhöht sich die Zahl der Opfer auf 35. Bis zu einer möglichen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Sollte es zu einem Prozess kommen, würde dieser voraussichtlich am Amtsgericht oder am Landgericht in Augsburg stattfinden. Möglich ist theoretisch aber auch, dass das Verfahren eingestellt oder mit einem Strafbefehl abgeschlossen wird - quasi ein Urteil, das Richter nach der Prüfung der Aktenlage fällen, wenn sie nach Stand der Dinge von der Schuld des Betroffenen überzeugt sind. Wenn Verdächtige innerhalb von zwei Wochen dagegen vorgehen, kommt es zum Prozess.
Juristisch geht es neben dem Verdacht auf Kinderporno-Besitz vor allem um die "Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen" – und um den Verdacht, dass der damalige Domsingknaben-Mitarbeiter 2017 einen 13-jährigen Jungen in einer Wohnung in München missbraucht haben soll, was wohl der gravierendste Vorwurf wäre.