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Augsburg: Er ist Russe, sie Ukrainerin: Ein ungewöhnliches Paar erzählt von seiner Liebe

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Er ist Russe, sie Ukrainerin: Ein ungewöhnliches Paar erzählt von seiner Liebe

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    Eine Liebe in schweren Zeiten: Der Russe Mark Zharkov und die Ukrainerin Kseniia Zhytel sind ein Paar. Vor wenigen Wochen wurde Tochter Olivia geboren.
    Eine Liebe in schweren Zeiten: Der Russe Mark Zharkov und die Ukrainerin Kseniia Zhytel sind ein Paar. Vor wenigen Wochen wurde Tochter Olivia geboren. Foto: Peter Fastl

    Weit weg vom Kriegsgräuel begegneten sie sich das erste Mal in Oberhausen auf einem Balkon. Sie verliebten sich ineinander. Mark Zharkov ist Russe, Kseniia Zhytel Ukrainerin. Der 21-Jährige und die 27-Jährige sind aus unterschiedlichen Gründen aus ihren Heimatländern geflohen. In Augsburg haben sie ein neues Zuhause gefunden. Vor wenigen Wochen wurde ihre Tochter geboren. Die jungen Eltern erzählen, warum der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ihre Beziehung nicht beeinträchtigt und mit welchen Problemen sie dennoch zu kämpfen haben.

    In dem karg eingerichteten Wohnzimmer kleben bunte Schmetterlinge an der weißen Wand. Die Sticker verleihen der kleinen Wohnung, in der die Familie jetzt noch mehr zusammenrücken muss, etwas Leichtigkeit. Zharkov und Zhytel sind beide noch jung, haben dafür aber schon viel durchgemacht. Auch grauenvolles. Kseniia Zhytel ist im März 2022 aus der Ukraine geflohen. Die Physiotherapeutin stammt aus Bachmut. Die schwer umkämpfte Stadt im Osten der Ukraine ist weitgehend zerstört. Mit fester Stimme erzählt die Ukrainerin, wie ihr kleiner Neffe beim Spielen im Garten von einer explodierenden Bombe getötet wurde. Wie ihre Tante bei einem Bombenangriff starb und die fassungslose Oma immer wieder ihre tote Tochter anschrie, sie solle doch endlich aufwachen. Wie die Großmutter ein halbes Jahr später vor lauter Stress einen tödlichen Herzinfarkt erlitt und ihr Bruder immer noch an der Front gegen die Russen kämpfen muss. Neben ihr auf der Couch im Wohnzimmer sitzt ein Russe. Es ist der Mann, den sie liebt.

    Warum der junge Russe mit seinen Eltern nach Augsburg kam

    Mark Zharkov kam mit seinen Eltern vor knapp fünf Jahren nach Deutschland. Das Leben der Familie in St. Petersburg schien nach außen gut. "Ich spielte im Jugendphilharmonie-Orchester Saxofon, meine Mutter war professionelle Sängerin, mein Vater Musikproduzent", berichtet der junge Mann mit dem blonden Strubbelkopf und dem lustigen Lachen. Ein Lachen, das er offenbar erst wieder lernen musste. Die Kindheit war nicht einfach, er litt an Depressionen. Seine Eltern, so erzählt er, seien bei den Zeugen Jehovas, die in Russland vor wenigen Jahren verboten wurden. "Du wirst dafür verhaftet und kommst mehrere Jahre ins Gefängnis", erklärt Zharkov. Deshalb die Flucht nach

    Ihm selbst allerdings seien die Zeugen Jehovas schon als Kind zuwider gewesen. Der 21-Jährige erzählt von vielen Problemen mit seinen Eltern, die er deswegen gehabt habe, von Schlägen und anderen Züchtigungen daheim, von der Isolierung von anderen Kindern, die nicht der Gemeinschaft angehörten. Hier in Augsburg, sagt er, der mit den Zeugen Jehovas nichts zu tun haben wolle, habe er inzwischen so gut wie keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern. Seine Lebensgefährtin hofft, dass sich die familiären Probleme jetzt einrenken werden. Der Anlass dafür liegt in ihren Armen: die kleine Olivia.

    Augsburger Verein "Brücke" unterstützt das junge Paar

    Die jungen Eltern sind merklich stolz auf ihre Tochter, ihrem neuen, positiven Lebensmittelpunkt. "Meine Motivation sind Kseniia und Olivia", bestätigt Zharkov, der im deutschen Arbeitsalltag erst noch Fuß fassen muss. Dafür nimmt der Russe an dem Projekt "M.u.T." der "Brücke e.V." teil, eine Maßnahme des Vereins in Zusammenarbeit mit dem Augsburger Jobcenter. Dabei wird jungen Menschen mit individuellen, problematischen Hintergründen geholfen, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. "Bei Mark sehen wir eine gute berufliche Perspektive. Er kennt sich gut mit Computern und Informatik aus, darauf kann aufgebaut werden", sagt Tobias Müller von der "Brücke e.V.". Der Sozialpädagoge, der den jungen Mann betreut, schaut regelmäßig bei dem jungen Paar, das momentan von staatlicher Unterstützung lebt, vorbei. "Auch für Kseniia als Physiotherapeutin wird es nach einem Sprachkurs sicherlich bald Perspektiven geben", ist sich Müller sicher. Vor den jungen Eltern liegt noch viel Arbeit, aber ihr Zusammenhalt scheint groß - trotz des Krieges zwischen ihren Landsleuten. 

    Ukrainerin: "Natürlich hasse ich Putin"

    "Ich habe nie Hass für die russische Nation gefühlt", erklärt die Ukrainerin auf Englisch. Dass sie nun einen Russen als Lebenspartner habe, könnten Menschen in ihrem Umfeld allerdings nicht nachvollziehen. "Ich habe dadurch viele Freunde verloren." In den sozialen Medien werde sie teilweise dafür wüst beschimpft. "Da heißt es etwa, ich solle meinen ukrainischen Pass vernichten und nie wieder zurückkommen." Sie versuche dann zu erklären, dass der Krieg ein böses Spiel zwischen den Mächtigen sei, die das Volk nur für ihre eigenen Interessen benutzten. "Natürlich hasse ich Putin", sagt die Frau mit den langen, lockigen Haaren. Aber sie möge auch Selenski nicht, der sein Versprechen, Bachmut zu befreien, nicht eingehalten habe. "Klar habe ich jeden Grund, Russen zu hassen. Aber es ist nicht Mar, der meine Angehörigen getötet hat", sagt sie und blickt zu ihrem Partner, der neben ihr auf der Couch sitzt - zwischen ihnen liegt die kleine Olivia.

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