Die Szene am Königsplatz dauert gerade mal 15 Sekunden. Aufgezeichnet wurde sie von der Frontscheiben-Kamera eines Taxis, einer sogenannten Dashcam. Die Kameras werden genutzt, um das Geschehen vor einem Fahrzeug aufzuzeichnen. Bei einem Unfall kann man die Aufnahmen als Beweis nutzen. Am Freitagabend lief die Dashcam, als der 49-jährige Mann am Königsplatz totgeschlagen worden ist. Das Video kursierte vorübergehend im Internet und liegt unserer Redaktion vor. Es zeigt mehr, als die Ermittler bislang mitgeteilt haben.
Auf der kurzen Sequenz ist zu sehen, wie es zuerst ein kurzes Handgemenge gibt – offensichtlich zwischen dem 49-jährigen späteren Opfer und mehreren Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Auch der 49-Jährige schubst dabei einen der Kontrahenten weg. Von wem der erste Schubser ausging, ist auf dem Video nicht zu erkennen. Es ist unscharf und aus einiger Distanz gefilmt. Wir werden es auch in diesem Artikel nicht zeigen. Während des Handgemenges allerdings bekommt das Opfer eine Art Schlag ab, geht zu Boden – und bleibt dort reglos liegen.
Tödliche Attacke am Königsplatz: Video im Netz heizt Spekulationen an
Im Internet gab es wegen des Videos sofort Spekulationen, der 49-jährige Feuerwehrmann könnte womöglich mit dem Streit angefangen haben. Der tödliche Schlag, der ihn getroffen habe, könne „Notwehr“ gewesen sein. Anwalt Klaus Rödl vertritt einen der sieben Verdächtigen, die wegen der Tat in Untersuchungshaft sitzen. Er sagt, was auf dem Video zu sehen sei, weiche nach seiner ersten Einschätzung gravierend von dem ab, was im Haftbefehl stehe. Er könne nicht sehen, dass der Mann von allen Verdächtigen umzingelt werde. Auch das vorangegangene Handgemenge sei bisher nicht erwähnt worden.
Augsburgs Kripo-Chef Gerhard Zintl widerspricht auf Anfrage unserer Redaktion. Er sagt, auf den Aufnahmen sei nichts zu erkennen, was einen Faustschlag rechtfertige. Die Kripobeamten haben neben dem Dashcam-Video auch die Aufnahmen der Videoüberwachung am Kö ausgewertet. Darauf, das hatte Zintl bereits bei der Pressekonferenz am Montag berichtet, sei zu sehen, wie der 49-Jährige umringt werde – und dann von der Seite einen Schlag gegen den Kopf bekomme. Auch ein Rechtsmediziner kommt nach Informationen unserer Redaktion zum Ergebnis, dass bereits dieser Schlag für den Mann tödlich war und nicht etwa der Aufprall auf den Boden.
Nach Erkenntnissen der Kripo war es ein 17-jähriger Jugendlicher, der dem Feuerwehrmann den tödlichen Schlag versetzt hat. Er lebte bislang im Stadtteil Oberhausen bei seinen Eltern und ist deutscher, türkischer und libanesischer Staatsangehöriger. Dass jemand drei Staatsbürgerschaften hat, ist möglich, wenn er selbst in Deutschland geboren und die Eltern zwei verschiedene ausländische Pässe haben.
Wie Bekannte aus seinem Umfeld berichten, soll er in Oberhausen zu einer Art Jugendgang gehören, die sich „54er“ nennt. In Anlehnung an die Endung der Postleitzahl 86154, die für Oberhausen steht. Solche Spitznamen sind durchaus üblich. Es gibt auch Jugendliche aus dem Univiertel, die sich als 59er bezeichnen. Mitglieder der 54er-Gang sollen in Oberhausen auch mit Marihuana gedealt haben. In welchem Umfang das geschah, ist unklar. Bei der Polizei hatte man die Gruppe aber im Visier. Einer, der bei der Prügelattacke am Königsplatz nicht dabei war, wird von den Beamten mit einem Drogengeschäft im Kilobereich in Verbindung gebracht.
Welche Rolle spielt eine Jugendgang bei dem tödlichen Angriff in Augsburg?
Ein beliebter Treffpunkt der „54er“ ist offenbar der Drei-Auen-Platz im Norden Oberhausens. Eigentlich ist es ein eher unauffälliger, ruhiger Ort: ein paar Sitzgelegenheiten, gepflasterte Fläche, nebenan eine Grundschule und ein Wohngebiet mit gepflegt aussehenden Wohnblocks. Es ist allerdings auch ein Ort, zu dem in den vergangenen Monaten mehrfach die Polizei ausrückte. Unter anderem deshalb, weil einige der Jugendlichen, die dort abhängen, mit Drogen gehandelt haben sollen. Die Wand eines kleinen Häuschens am Rande des Platzes ist voll mit Graffiti. „Hood“ hat jemand gesprüht, also Viertel, außerdem haben diverse Leute ihr Kürzel hinterlassen, die sich dem Viertel zugehörig fühlen: „Rex54“, „Pitty54“, „54 regiert“. Im gesamten Umfeld des Drei-Auen-Platzes in Oberhausen ist die Zahl an vielen Flächen zu sehen.
Es heißt, von den sieben inhaftierten Jugendlichen und jungen Männern hätten hier einige gedealt. Zumindest darf als gesichert gelten, dass manche aus der Gruppe keine Unschuldslämmer sind. Vom mutmaßlichen 17-jährigen Haupttäter heißt es von der Polizei, er sei bereits wegen Körperverletzung in Erscheinung getreten. Mindestens ein weiterer 17-Jähriger soll polizeibekannt sein, von Drogendelikten ist die Rede. Dieser 17-Jährige, ein italienischer Staatsangehöriger, der in Augsburg geboren und aufgewachsen ist, war einer der ersten, die von der Polizei am Sonntag festgenommen wurden.
Möglicherweise war eine Aktion von ihm der Auslöser für die Auseinandersetzung der siebenköpfigen Gruppe mit den beiden älteren Männern, darunter der Feuerwehrmann. Es heißt, der Jugendliche habe von dem 49-Jährigen, der zuvor mit einem befreundeten Ehepaar den Christkindlesmarkt besuchte, eine Zigarette schnorren wollen. So sollen die beiden sehr unterschiedlichen Gruppen am Freitagabend überhaupt erst miteinander zu tun gehabt haben. Bestätigt ist dies bislang nicht, es ist allerdings eine Version, auf die von mehreren Quellen verwiesen wird.
Wie kriminell sind Jugendgruppen wie die „54er“ in Augsburg?
Als Reaktion auf die tödliche Attacke am Königsplatz will die Polizei nun auch Jugendgruppen wie die „54er“ genauer in den Blick nehmen. Es gehe auch darum, dass Gruppen teils nachts in der Stadt unterwegs seien und in angetrunkenem Zustand pöbelten. Momentan, heißt es aus Polizeikreisen, seien die Gruppen und die mögliche kriminelle Energie, die von ihnen ausgehe, noch schwer einzuschätzen. Bestätigt wird, dass die Angehörigen der Jugendgruppen vielfach einen Migrationshintergrund – also Wurzeln im Ausland – haben. Viele wurden aber bereits hier geboren. Der hohe Migrantenanteil ist in einem Stadtteil wie Oberhausen auch wenig überraschend: Rund 70 Prozent der Einwohner haben dort laut der städtischen Statistik einen Migrationshintergrund.
In einer aktuellen Folge unseres Podcasts erklärt Reporter Stefan Krog die Hintergründe der Tat am Königsplatz – und erzählt, wie Journalisten mit dem Fall umgehen. Den Podcast "Augsburg, meine Stadt" finden Sie auf Spotify, iTunes und überall sonst, wo es Podcasts gibt.
Weil sich auch in der zweiten und dritten Generation von Einwanderern teils überzogene Ansichten von Ehre und Stolz vorhanden sind, gibt es beim Augsburger Verein Brücke ein eigenes Projekt, bei dem Schüler sich in Workshops mit dem Thema auseinandersetzen. Dabei geht es auch darum, wie man mit Konflikten umgeht – und Gewalt, sei es verbal oder körperlich, vermeidet. Am Kö endete der Konflikt mit Gewalt, tödlicher Gewalt.
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