Als "Tierpfleger" kümmert sich Mathias Fokidis darum, dass seine Schützlinge in Augsburgs Innenstadt für die Menschen nicht zur potentiellen Gefahr werden. Dabei hat er natürlich nicht Vierbeiner im Fokus, sondern Gefährte auf zwei Rädern. Der 20-jährige, der eine Ausbildung zum Mechatroniker macht, arbeitet nebenbei für den E-Scooter-Anbieter Tier.
Tier-Mitarbeiter achtet in Augsburg darauf, dass E-Scooter niemanden behindern
Fokidis sorgt dafür, dass die elektrischen Roller der Berliner Firma nicht im Weg stehen und niemanden behindern. Denn viele Nutzer stellen nach der Fahrt die Roller wahllos ab, was viele Passanten ärgert bzw. sogar gefährdet. Laut Tier war man der erste Anbieter in Deutschland, der die Problematik mit einer eigens eingerichteten Fußpatrouille in Angriff genommen hat. Fokidis muss auf vieles achten. Er parkt E-Scooter um, wenn sie Schaufenster, Fußwege oder Blindenstreifen blockieren. Er richtet umgefallene Roller wieder auf, desinfiziert und überprüft sie auf ihre Verkehrssicherheit. "Ist ein Roller defekt, markiere ich ihn über eine App, und ein Fahrer holt ihn für die Reparatur ab", erklärt er. Dass der "Tierpfleger", wie er von seinem Auftraggeber genannt wird, auch Ansprechpartner für Kunden oder Passanten ist, zeigt sich am Königsplatz.
Dort wollen gerade drei Freunde E-Scooter von Tier mit ihrer Handy-App entsperren und losfahren. "Wir benutzen sie öfters. Es macht einfach Spaß, damit durch eine Stadt zu fahren", sagen Timo (22) und Jan Haas (25). Für ihre Bekannte Melanie Striedel ist es das erste Mal auf so einem E-Scooter. Allerdings stellen die drei fest, dass an einem Gerät der Akku bald leer ist. Mathias Fokidis weiß Rat. Er erklärt dem Trio, wo der nächste geladene Tier-Roller steht. Der Mitarbeiter hat sämtliche Roller im Blick. Um die 400 bietet allein Tier in Augsburg an.
Insgesamt stehen in der Stadt an die 2000 elektrische Roller zur Verfügung. Neben Tier, Voi und Dott kam zuletzt noch Lime als Anbieter hinzu. Als die Roller vor über einem Jahr in Augsburg auf den Markt kamen, seien viele Menschen davon genervt gewesen, erzählt Oguzhan Tasli, der für die Firma Tier als Operations-Manager in Augsburg arbeitet.
Als ein 63-Jähriger nachts an E-Scootern Griffe abflexte
"Das war etwas Neues in der Stadt. Deshalb war uns klar, dass viele dieser Entwicklung skeptisch begegnen würden", so der 27-Jährige. Tasli räumt ein, dass die teilweise kreuz und quer abgestellten Gefährte zunächst auch ein Problem darstellten. Er verstehe, dass sich Menschen darüber ärgerten. Wie er berichtet, ging bei manchen der Zorn offenbar so weit, dass sie E-Scooter in die Wertach warfen. Auf die Spitze trieb es ein Augsburger, der nachts mit einer Flex an Rollern die Griffe absägte. So etwas habe es in noch keiner anderen Stadt gegeben, meint Tasli. Die Polizei konnte den Täter auf frischer Tat ertappen. Es war ein 63-jähriger, bis dahin unbescholtener Mann, der mit dem gesellschaftlichen Wandel nicht klar kam, hieß es bei der Polizei.
E-Scooter-Anbieter haben in Augsburg dazu gelernt
Die E-Scooter-Anbieter haben dazu gelernt. Das sagt auch die Stadt, die mit den Verleihern Absprachen getroffen hat. Die Zahl der Vorfälle, in denen E-Scooter verkehrsbehindernd geparkt wurden, habe sich spürbar verringert, sagt eine Sprecherin. Die Verleiher haben ihre Mitarbeiter sensibilisiert, die Roller umzuparken, wenn Nutzer sie nicht regelkonform hinterlassen. Laut Tasli sei die Akzeptanz in der Bevölkerung seitdem gestiegen. "Tierpfleger" Mathias Fokidis startet seine Schicht immer am Hauptbahnhof. Die Deutsche Bahn hat dort sogar zwei extra Parkplätze für E-Soooter ausgewiesen. Dort, am Königsplatz, Theater oder in der Konrad-Adenauer-Allee, sind die E-Scooter besonders stark nachgefragt.
Natürlich auch an Straßenbahn-Haltestellen. Fokidis überprüft auf seiner Tour, ob an den neuralgischen Orten genügend E-Scooter vorhanden sind. In der Bahnhofstraße parkt er einen Roller um, der vor dem Schaufenster eines Juweliers steht. "Es ist wichtig zu reagieren, bevor eine Beschwerde kommt." Der junge Mann hat auch das Umfeld im Blick. Am Manzubrunnen am Königsplatz fallen ihm wenig später ein paar alkoholisierte Menschen auf.
Die Gruppe ist laut. In ihrer Nähe parken zwei E-Scooter. Der "Tierpfleger" wählt für die Roller einen neuen Standort - ein paar Meter weiter entfernt. Er weiß, dass sich manche Kunden von den Betrunkenen abgeschreckt fühlen und sich nicht zu den beiden Rollern trauen könnten. Fokidis und seine Kollegen beobachten Verhaltensweisen der Nutzer, lernen dazu. So weiß der Kontrolleur inzwischen auch, dass dieser eine Tier-Roller, der immer einsam in einer Altstadt-Gasse steht, dort auch sinnvoll ist. Ein Anwohner nutzt ihn regelmäßig. Mathias Fokidis erledigt seine Arbeit ausschließlich zu Fuß, ist in einer Schicht mehrere Stunden unterwegs.
Warum Tier in der Maximilianstraße keine E-Scooter stehen haben will
"Mein Schrittzähler auf dem Smartphone zeigt dann zwischen 20.000 und 35.000 Schritte an", sagt der junge Mann. Er mag an seinem Nebenjob, dass er sich viel bewegt. Zügig läuft Fokidis jetzt durch die Maximilianstraße. Er stellt einen umgefallenen E-Scooter von der Konkurrenz wieder auf. "Natürlich kümmere ich mich nur um unsere Roller, aber wenn ich so etwas sehe...", sagt er. In der Maxstraße ist an diesem Tag kein Tier-Scooter zu sehen. Und das ist gut so, wie sein Chef Oguzhan Tasli erklärt. "Wir haben uns aus der Maxstraße zurückgezogen, weil das ein Anliegen der Bürger und Geschäftsleute war. Wir versuchen, auf so etwas einzugehen." Tier legt Wert auf ein positives Image, will möglichst wenig Anlass zu Kritik geben. Man hat die Sensibilität dieses Themas erkannt. "Im kommenden Jahr wollen wir die Zahl der Fuß-Patrouillen erhöhen."
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