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Augsburg: Dieser Polizist ist allen Unfallflüchtigen in Augsburg auf der Spur

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Dieser Polizist ist allen Unfallflüchtigen in Augsburg auf der Spur

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    Jeden Kratzer, jede weitere Spur nimmt Unfallfluchtfahnder Stefan Holzapfel genau unter die Lupe.
    Jeden Kratzer, jede weitere Spur nimmt Unfallfluchtfahnder Stefan Holzapfel genau unter die Lupe. Foto: Silvio Wyszengrad

    Stefan Holzapfel schaltet den Tischventilator aus. "Sonst fliegt mir meine Spur weg", sagt der Hauptkommissar und legt vorsichtig ein winziges Lackpartikelchen unter sein Mikroskop. Es ist warm in seinem Büro unter dem Dach der Augsburger Verkehrspolizeiinspektion in der Friedberger Straße. Der 60-Jährige arbeitet konzentriert. Dem Unfallfluchtfahnder darf nichts entgehen, schon gar nicht darf seine Spur unter den Tisch fallen. Das Lackstück gehört zu einem Auto, das angeblich in einer Augsburger Parkgarage angefahren wurde. Holzapfel allerdings hat Zweifel an dieser Version. In seinen über 20 Jahren bei der Verkehrspolizei ist ihm schon viel untergekommen.

    Für den Pressetermin hat sich Stefan Holzapfel extra die Uniform angezogen. Seine Kollegen und er bevorzugen im Dienst Zivilkleidung. Die Unfallfluchtfahnder wollen kein Aufsehen erregen, wenn sie auf Straßen oder vor Grundstücken Fahrzeuge unter die Lupe nehmen. "In einem Stadtviertel oder auf einem Dorf gehen sonst schnell Gerüchte herum, wenn es heißt, die Polizei hat ein Auto untersucht", weiß Holzapfel. Er arbeitet unauffällig, dafür mit großer Akribie und viel Erfahrung. "Ich erkenne, ob ein Stück Lack von einem Peugeot oder einem Golf stammt", sagt er selbstbewusst. Dabei verzieht sich sein Mund unter dem mächtigen Schnauzbart zu einem Schmunzeln. Er schaut durchs Mikroskop auf das millimeterkleine Beweismittel und stellt trocken fest: "Da werde ich wohl der Tiefgarage in der Innenstadt einen Besuch abstatten."

    Augsburger Polizist: "Eine Spur erzeugt immer eine Gegenspur"

    Der Unfallfluchtfahnder vermutet, dass er dort entsprechende Lackspuren an einer Wand oder an einer Säule finden wird. Er geht davon aus, dass das Auto gar nicht angefahren wurde, sondern die Fahrerin, die Anzeige gegen unbekannt erstattet hat, selbst ihr Fahrzeug angeschrammt hat. Denn auf dem Stück Lack kann Holzapfel keine weiteren Lackspuren entdecken, dafür aber Steinabrieb. Er könnte von einer Mauer stammen. "Eine Spur erzeugt immer eine Gegenspur", sagt er. Eine Art Mantra, das sich durch alle Fälle zieht. Und das sind nicht wenige.

    Rund 2000 Unfallfluchten werden jährlich bei der Augsburger Verkehrspolizei bearbeitet. Die Polizeiinspektionen melden die Fälle an die VPI weiter. Denn dort sitzen neben Stefan Holzapfel zwei weitere Experten, die sich dafür Zeit nehmen. Auf dem Schreibtisch des 60-Jährigen landen etwa Fälle von sogenannten Parkplatzremplern oder abgefahrenen Außenspiegeln - samt dazugehörigem Beweismaterial, wie Lackreste, Glas- oder Kunststoffteile. Zunächst gilt es herauszufinden, was vom Geschädigten stammt und was vom Verursacher. Bis vor wenigen Jahren noch hatte sich im Keller der Inspektion quasi ein riesiges Ersatzteillager befunden, erzählt Holzapfel. "Stoßdämpfer, Windschutzscheiben, Plastikverkleidungen, Scheinwerfer-Überreste - das alles stapelte sich bis unter die Decke." Heute würde alles bei der Staatsanwaltschaft gelagert. Der erfahrene Beamte verrät, wer oft hinter

    Das Mikroskop ist für den Polizisten ein wichtiges Arbeitswerkzeug. Manchmal haben wichtige Spuren nur eine Größe von wenigen Millimetern.
    Das Mikroskop ist für den Polizisten ein wichtiges Arbeitswerkzeug. Manchmal haben wichtige Spuren nur eine Größe von wenigen Millimetern. Foto: Silvio Wyszengrad

    Da sich in den letzten Jahren Unfälle mit Berufsfahrern in Sprintern als Verursacher häuften, machten sie auch einen großen Anteil der Fluchten aus. "In Augsburg gibt es viele enge Straßen und Gassen. Da passiert schnell was." Ebenfalls auf den vorderen Plätzen befänden sich Schäden, die beim Rangieren auf Supermarktparkplätzen entstünden. Allerdings - nicht jeder Verursacher wird automatisch zum Flüchtenden. Das unerlaubte Entfernen, das im Strafgesetzbuch unter Paragraf 142 geregelt ist, setzt bei einer Unfallflucht die sogenannte Bemerkbarkeit voraus. "Wenn ein Lkw-Fahrer nicht registriert, dass er vielleicht hinten irgendwo hängen geblieben ist, kann man auch keine Unfallflucht annehmen", erklärt der Fahnder. Bei einem Großteil der

    Fahnder suchen nach tödlichem Unfall auf B300 bei Schrobenhausen den Verursacher

    Ein unbekannter Autofahrer, erzählt er, hatte auf der B300 bei Schrobenhausen einen Fußgänger angefahren und den Schwerverletzten liegen gelassen. Er starb. Holzapfel und seine Kollegen spürten den Flüchtigen schließlich im Augsburger Stadtteil Lechhausen auf. "Bei tödlichen Unfällen haben wir eine Aufklärungsquote von 100 Prozent", betont der Fahnder. Diese maximale Quote lässt sich bei harmloseren Kollisionen, bei denen es häufig an Zeugen mangelt, nicht halten. "Manchmal fehlen uns jegliche Ermittlungsansätze." Im vergangenen Jahr registrierte die Polizei im Stadtgebiet 2059 Unfallfluchten. Immerhin konnten die Beamten davon 860 Fälle aufklären. Auch wenn nicht jeder Verursacher ermittelt werden kann, appelliert Holzapfel, jede Unfallflucht zu melden - und sei der Schaden noch so klein. Das hat einen besonderen Grund.

    "Wir helfen nämlich auch denen, die zu Unrecht verdächtigt werden." Der Beamte erzählt, dass immer wieder versucht werde zu mauscheln. "Manche, die bereits einen Schaden am Auto haben, parken extra neben Fahrzeugen, um dann zu behaupten, sie seien angefahren worden." Ist ein Betroffener mit seinem eigenen Schaden schon bei der Polizei registriert, könne ihn dies entlasten. Stefan Holzapfel und seine Kollegen greifen oft tief in die Trickkiste, um Unfallflüchtigen auf die Spur zu kommen.

    Spuren nach Unfall: Vergleichsstudie im Parkhaus der City-Galerie

    Lassen sich manche Autoteile keinem Hersteller zuordnen, kann es sein, dass Holzapfel mit einem abgebrochenen Kunststoffteil eines Frontscheinwerfers durch das Parkhaus der City-Galerie schlendert. Dann schaut er, auf welches Fahrzeugmodell das Überbleibsel einer Unfallflucht passen könnte. "Das ist praktisch eine Vergleichsstudie vor Ort. Ab und zu bin ich ein Glückspilz und lande einen Treffer." Reifenabdrücke können ebenso zu einem Flüchtigen führen. "Ich habe schon an die 2000 Reifenprofile im Internet durchforstet, um zu sehen, welches zu dem Abdruck passt." Auch die sogenannte "Tabak-Recherche" ist ein wichtiges Mittel.

    So wird die Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt abgekürzt genannt. Haben die Fahnder Hinweise auf die Farbe eines Unfallfluchtautos, auf Marke oder Baujahr, erhalten sie von der Behörde Informationen, wie viele Zulassungen es davon in Augsburg oder gar in einem bestimmten Stadtteil gibt. "Dann geht es los, dass ich mir alle Fahrzeuge anschaue und dazu bei den Leuten freundlich klingele." Für Stefan Holzapfel ist trotz der vielen Berufsjahre jeder Fall anders. Das gefällt ihm. "Eine gewisse Faszination für das Auto braucht man in diesem Job schon auch", sagt der Fahnder. Sein Schnauzbart verzieht sich beim Lächeln mit.

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