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Augsburg: Diese Freizeit-Naturschützer setzen sich seit 175 Jahren in der Region ein

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Diese Freizeit-Naturschützer setzen sich seit 175 Jahren in der Region ein

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    Tiere und Pflanzen im Blick haben die Mitglieder des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben, etwa Robert Kugler bei der Beobachtung von Vögeln mit dem Spektiv.
    Tiere und Pflanzen im Blick haben die Mitglieder des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben, etwa Robert Kugler bei der Beobachtung von Vögeln mit dem Spektiv. Foto: Michael Mährlein

    Alisa Rohrbach ist 26 und eine der Jüngsten im Verein. Wenn es um die heimische Natur geht, kann ihr keiner ein X für ein U vormachen. Vögel sind von klein auf ihr Hobby, Biodiversität hat sie studiert. Und trotzdem: Wie findet eine junge Frau von heute zu einer altehrwürdigen Institution wie dem Naturwissenschaftlichen Verein für Schwaben? "Ich habe gegoogelt", sagt sie lachend. Rohrbach wünschte sich Anschluss an andere Vogelkundler und wurde auf der Homepage des Vereins fündig. Mit Gleichgesinnten ein Hobby teilen - das tun die Freizeit-Naturforscher heute genauso gerne wie vor 175 Jahren. Aber nicht nur das. Die Herausforderungen, gemeinsam ein Stück Heimat zu erhalten, nehmen zu.

    Die Welt war eine andere, damals, als einer der ältesten Vereine Augsburgs gegründet wurde. "Neues, nie Dagewesenes prägte das 19. Jahrhundert in allen Bereichen des Lebens", schreibt Renate Pfeuffer in einer Publikation zum Vereinsjubiläum im vergangenen Jahr, das wegen der Pandemie erst jetzt gefeiert wird. Es gab neue technische Errungenschaften wie Dampfmaschine und Eisenbahn, Gasbeleuchtung und Fabriken. Die modernen Naturwissenschaften wurden populär. Vereine waren damals eine völlig neue Organisationsform. Schaut man nach Augsburg, war der Naturhistorische Verein - so hieß er damals - im Jahr 1846 der vierte gegründete Verein überhaupt und in ganz Bayern die vierte naturkundliche Vereinigung.

    Naturwissenschaftlicher Verein für Schwaben: Gründer waren nur Männer

    Es war eine andere Zeit. Die Gründerväter kann man sich ähnlich wie auf einem idyllischen Gemälde von Carl Spitzweg vorstellen: in Weste, Gehrock und Zylinder, allesamt Männer. Es waren etwa Privatiers und Fabrikanten, Apotheker, Lehrer und Handwerker. Was sie verband, waren die "Naturschätze" in Augsburgs Umgebung. Diese wollte man gemeinsam genauer kennenlernen. Man hatte auch das Ziel, Mitbürger und Nachwelt über die Natur zu "belehren". Das geschah durch Vorträge, einen jährlichen gedruckten Bericht, vor allem aber durch eine Bibliothek und eine Naturaliensammlung. Das Programm kam an beim Publikum. Der kleine Verein wuchs innerhalb von sieben Jahren auf 330 Mitglieder.

    Auch damals gab es Vorzeigeprojekte. Der Verein baute eine naturhistorische Sammlung auf. Es war die erste öffentliche Naturaliensammlung in der Stadt mit Hunderten von Exponaten aus Schwaben - mit Pflanzen, Tieren, Fossilien und Mineralien und mehr. Die Ausstellung war ein Publikumsrenner. In Augsburger Stadtführern wurde sie als Sehenswürdigkeit und als eine der größten und wertvollsten Sammlungen Süddeutschlands beschrieben. Die wertvollsten Teile waren Grundstock des heutigen städtischen Naturmuseums.

    Artenpool im Internet mit Tausenden Fotos

    Die öffentlichen Vorträge des Vereins und die regelmäßigen Berichte mit naturkundlichen Forschungen fanden ebenfalls viel Beachtung. Drei Beispiele: Pelzhändler Johann Friedrich Leu veröffentlichte die erste Avifauna (das Vogelvorkommen) Schwabens. Stiftungskassier Christian Friedrich Freyer lieferte die ersten gedruckten Verzeichnisse der Schmetterlingsfaunen der Augsburger und Füssener Gegend. Gutsbesitzer Carl von Weidenbach veröffentlichte mit dem Lehrer Albrecht Petry ein erstes Verzeichnis über die Käfer um Augsburg. Die Jahresberichte seien ein "Wissensarchiv" über heimische Arten, schreibt Renate Pfeuffer. Um den Artenschwund im 21. Jahrhundert zu bewerten, seien sie heute wertvoller denn je.

    Die Zeiten haben sich geändert. Seine traditionellen Ziele verfolgt der Naturwissenschaftliche Verein mit über 400 Mitgliedern nach wie vor. Als Hauptaufgaben sieht man heute, die Natur Bayerisch-Schwabens zu erforschen und die Erkenntnisse der Bevölkerung zu vermitteln. Auch heute werden Vorträge angeboten, Exkursionen veranstaltet und Jahresberichte veröffentlicht. Inzwischen nutzt der altehrwürdige Verein offensiv das Internet. Auf der eigenen Website hat jede der sechs Arbeitsgruppen Botanik, Entomologie, Geologie, Naturfotografie, Naturschutz und Ornithologie ihre eigene Plattform. Dort findet man den "Artenpool" mit Tausenden Fotos verschiedener Tier- und Pflanzenarten, Pilze und Lebensräume. Auch dieses Angebot ist gefragt: Der "Artenpool" wurde bislang weit mehr als sechs Millionen Mal besucht.

    Die Naturforscher helfen auch bei der Kartierung heimischer Arten, etwa Käfern und Schmetterlingen.
    Die Naturforscher helfen auch bei der Kartierung heimischer Arten, etwa Käfern und Schmetterlingen. Foto: Eberhard Pfeuffer

    Heute sind Artenschwund und Klimawandel Topthemen im gesellschaftlichen Diskurs. Durch die Umweltveränderungen im 20. und 21. Jahrhundert hat sich auch die Arbeit des Naturwissenschaftlichen Vereins inhaltlich gewandelt. Den Arten-, Biotop- und Umweltschutz zu fördern, ist eine neue, zusätzliche Aufgabe. Und es gibt Fachleute, die sagen, die Arbeit der Freizeit-Naturforscher sei praktisch unverzichtbar für Augsburg.

    Was die Augsburger Freizeit-Naturforscher erreicht haben

    Jens Soentgen vom Wissenschaftszentrum Umwelt der Universität betont, die Erkenntnisse der Amateurforscher seien weit mehr als ein Privatvergnügen. "Was die Menschen in Augsburg über Stadtnatur, über Flussnatur, über Waldnatur wissen, das verdanken sie zu einem sehr großen Teil diesen ehrenamtlichen Aktivitäten." Auch die Wissenschaft profitiere von der Vorarbeit durch sogenannte Laien. Bemerkenswert findet Soentgen, dass der Verein wichtige Naturprojekte in der Stadt mit angestoßen hat - den Schutz des letzten Restes der alten Flugplatzheide etwa, den geplanten naturnahen Umbau des Lechs durch den Freistaat, aber auch die artenreichen Blühwiesen rund um das Augsburger Landesamt für Umwelt. Dort ist man heute stolz auf dieses Vorzeigegrün.

    Alisa Rohrbach sagt als junges Vereinsmitglied: "Ich verstehe mich super mit den Leuten." Nicht nur die gemeinsamen Exkursionen in die heimische Vogelwelt seien für sie ein Erlebnis, auch Hilfsprojekte für den Artenschutz sind ihr wichtig. "Es gibt so viel, wo man sich einbringen und gezielt helfen kann."

    Kurz informiert: Die 175-Jahr-Feier des Naturwissenschaftlichen Vereins für Schwaben war Ende vergangenen Jahres vorgesehen und findet mit einer coronabedingten Verspätung am Samstag, 21. Mai,im Goldenen Saal des Augsburger Rathauses statt. Der Jubiläumsband "Vom Ries bis zum Allgäu - Natur in Schwaben" ist in zahlreichen Buchhandlungen zu haben oder zu bestellen unter buchbestellung@nwv-schwaben.de.

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