Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Die Caritas baut ein Wohnheim für Alkoholkranke in Augsburg

Augsburg

Die Caritas baut ein Wohnheim für Alkoholkranke in Augsburg

    • |
    Links neben dem Abbé-Pierre-Zentrum entsteht das Haus für Menschen mit chronischem Alkoholismus und/oder psychischen Problemen.
    Links neben dem Abbé-Pierre-Zentrum entsteht das Haus für Menschen mit chronischem Alkoholismus und/oder psychischen Problemen. Foto: Sophia Huber

    Michael hatte einen guten Job als Schlosser, bevor ihn der Alkohol aus der Bahn warf. Heute trinkt der 63-Jährige "ab und zu ein Bier zum Mittagessen" – der Rausch ist nicht mehr sein treuer Begleiter. Dass Michael wieder festen Boden unter den Füßen hat, verdankt er dem Abbé-Pierre-Zentrum der Caritas. In der Einrichtung, die etwas versteckt in der Hofrat-Röhrer-Straße südlich des Spickel-Bades liegt, werden alkoholkranke Menschen in einer Tagesstätte betreut. Sie kochen, restaurieren Möbel und reparieren Fahrräder. Während der Großteil der Klienten nur stundenweise ins Zentrum kommt, bewohnen dort sechs Personen – darunter Michael – ein Zimmer. Wie funktioniert das Zusammenleben – und wie finden die Betroffenen wieder zurück ins Leben?

    Alkoholkranke tun sich auf dem Wohnungsmarkt sehr schwer

    Augsburgs Caritas-Chef Walter Semsch weiß, wie schwer sich Menschen mit Alkoholproblemen und/oder psychischen Erkrankungen bei der Wohnungssuche tun. Viele seien gestrandet, schliefen in Notunterkünften oder versuchten, bei Bekannten unterzukommen. Für diese Frauen und Männer gibt es ab der Jahresmitte eine weitere Alternative. Direkt neben dem Abbé-Pierre-Zentrum baut die Caritas derzeit ein Haus mit 20 Apartments.

    Massenphänomen Rausch

    Fast 20 Millionen Menschen in Deutschland konsumieren laut Bundesgesundheitsministerium regelmäßig Rauschmittel.

    Den mit Abstand größten Anteil bilden Raucher (15 Millionen, Stand 2012). Dahinter folgen Medikamentenabhängige (2,3 Millionen) und Alkoholkranke (1,8 Millionen).

    Alkoholkranke haben es extrem schwer, nach dem Konsum eines alkoholischen Getränks mit dem Trinken aufzuhören.

    Wird die Beschaffung von Alkohol zum zentralen Punkt des Alltags, sei das ebenfalls ein deutliches Anzeichen für eine Sucht.

    Nach Studien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sind mehr als doppelt so viele Männer von einer Alkoholkrankheit betroffen wie Frauen.

    Das liegt auch daran, dass das Trinken von Alkohol bei Männern eher akzeptiert wird. Die genetische Voraussetzung spielt ebenfalls eine Rolle.

    Der Rohbau ist fertig, der Innenausbau schreitet voran. Die Wohneinheiten, darunter auch einige größere für Paare, verteilen sich laut Semsch auf zwei Stockwerke und verfügen alle über Küchenzeile und Bad. Hinzu kommen Gemeinschaftsräume. Die Gesamtkosten gibt der Geschäftsführer mit vier Millionen Euro an. Davon übernehme die Hälfte die Diözese, die andere Hälfte werde über Eigenmittel, ein Darlehen und Spenden finanziert. Auch die Kartei der Not, das Leserhilfswerk der Mediengruppe Pressedruck, fördert das Projekt laut Geschäftsführer Arnd Hansen mit 53.000 Euro. Das Geld fließe in die Ausstattung des Wohnheims.

    Trotz der räumlichen Nähe zum Abbé-Pierre-Zentrum handelt es sich bei dem Apartmenthaus um ein eigenständiges Projekt. Wer dort einzieht, könne zwar unter Umständen in der Tagesstätte arbeiten, müsse das aber nicht. Walter Semsch geht davon aus, dass sich der Neubau schnell füllen wird. Die künftigen Mieter würden in der Regel über die Stadt, die Übergangswohnheime unterhält, oder über das Bezirkskrankenhaus vermittelt. "Wir als Caritasverband sind hier mit der Stadt und dem Bezirk eine bisher einzigartige Kooperation eingegangen, die beiden Partner übernehmen die Personalkosten für das Apartmenthaus."

    Im Augsburger Apartmenthaus gibt es befristete Mietverträge

    Die beiden Sozialarbeiter Anna Wirth und Rainer Heider werden sich um die neuen Bewohner kümmern – angefangen von der Freizeitgestaltung über Hilfe bei Behördengängen bis hin zur Haushaltsführung. Anders als in einer stationären Einrichtung handle es sich aber nicht um eine personalintensive 24-Stunden-Betreuung. Ziel sei es, die Bewohner auf dem Weg zu einem eigenständigen Leben zu unterstützen. Laut Semsch bekommen die Frauen und Männer befristete Mietverträge. Angesichts der angespannten Situation auf dem Wohnungsmarkt wisse man aber, dass die Verweildauer auch manchmal länger sein könne. "Wir sehen uns als Wegbegleiter für eine befristete Zeit und wollen den Menschen ihre Würde zurückgeben."

    Dazu gehört auch ein möglichst alkoholfreies Leben. In der Tagesstätte darf laut Leiter Stefan Leinsle nichts Prozentiges konsumiert werden, aber die Besucher müssten nicht trocken sein. Bei Bedarf gebe es einen Alkoholtest, von dem auch abhänge, ob jemand arbeiten darf. Auf dem Gelände und in den Zimmern sowie künftig auch im Apartmenthaus soll Alkohol "im Rahmen geduldet sein". Generell ist es nach den Worten der Caritas-Verantwortlichen das Ziel, "die Sucht zu kontrollieren und zu unterbrechen" – unter Umständen mit einer Therapie.

    In der Tagesstätte des Abbé-Pierre-Zentrums gibt es  eine Werkstatt, in der die Besucher Fahrräder reparieren oder Möbel restaurieren können.
    In der Tagesstätte des Abbé-Pierre-Zentrums gibt es eine Werkstatt, in der die Besucher Fahrräder reparieren oder Möbel restaurieren können. Foto: Sophia Huber

    So wie in diesen Wochen der Innenausbau des neuen Wohnhauses weitergeht, so bleibt auch die Tagesstätte trotz Corona in Betrieb. Aus Gründen des Infektionsschutzes kämen die Klienten im Alter zwischen 20 und 65 Jahren in Schichten, heißt es. Leinsle und sein Team sind froh, dass das Angebot weiterbesteht. "Ohne die Tagesstätte gäbe es viel mehr Rückfälle, Einweisungen ins Krankenhaus und vielleicht sogar Suizide", ist der Leiter überzeugt.

    Im Raum Augsburg leben rund 3000 chronisch Alkoholkranke

    Rund 25 bis 30 Klienten versuchen, mithilfe der Tagesstätte ihre Suchtprobleme in den Griff zu kriegen. Es gebe immer wieder Erfolgserlebnisse, bis hin zu einem Wiedereinstieg ins Berufsleben, heißt es. Viele Menschen hingegen könnten oder wollten sich mit ihrem Alkoholismus nicht auseinandersetzen und verdrängten das Problem. Nach den Zahlen, die der Caritas vorliegen, leben im Raum Augsburg 3000 Menschen mit einer nachgewiesenen chronischen Alkoholerkrankung. Auch sie hatte der Namensgeber des Zentrums an der Hofrat-Röhrer-Straße im Blick: Abbé Pierre (1912 bis 2007) war ein französischer Armenpriester und Begründer der Wohltätigkeitsorganisation Emmaus.

    Lesen Sie auch:

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden