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Augsburg: Die Antworten der Toten: Zu Besuch bei einer Obduktion in der Uniklinik

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Die Antworten der Toten: Zu Besuch bei einer Obduktion in der Uniklinik

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    Die Pathologie am Uniklinikum Augsburg (UKA) nimmt pro Jahr 150 bis 200 Obduktionen vor. Dabei geht es mal fein und präzise, mal wenig zimperlich zu.
    Die Pathologie am Uniklinikum Augsburg (UKA) nimmt pro Jahr 150 bis 200 Obduktionen vor. Dabei geht es mal fein und präzise, mal wenig zimperlich zu. Foto: Silvio Wyszengrad

    Kein Hauch von Leben steckt im Körper auf dem Metalltisch, er ist übersät von bläulich-violetten Totenflecken, starr. Das Gesicht, überdeckt von einem weißen Handtuch, neigt sich schräg abgekippt zur Decke, die Gliedmaße liegen erschlafft da. Vor zwei Tagen ist die Frau dort gestorben und es ist nicht ganz klar, warum. Also beugt sich Francisco José Farfán López über die Leiche, setzt sein Messer am Brustkorb an und beginnt unter dem sanften Röhren der Entlüftungsanlage, den Körper zu öffnen. Die Spurensuche im Innersten hat begonnen.

    Der Tod ist Alltag an der Uniklinik Augsburg (UKA), die Menschen im größten Krankenhaus der Region kennen ihn gut. Doch er kann auch Fragen aufwerfen – allem Wissen, aller Technik, allem Fortschritt zum Trotz. Wenn ein Mensch unerwartet oder ungewöhnlich gestorben ist, verlagert sich die Suche nach Erklärungen häufig in die Pathologie an der Uniklinik: 150- bis 200-mal im Jahr wird sie zum Schauplatz von Obduktionen, auch Sektionen oder Autopsien genannt. Was sie zutage bringen, ist häufig überraschend – und immer aufschlussreich. Denn auch die Toten geben Antworten.

    Ein träger Nachmittag im Augsburger Nordwesten, vor der Pathologie harrt der Parkplatz mit dem Hinweis "Nur Bestatter" seiner Bestimmung. Drinnen hat Bruno Märkl in seinem Büro Platz genommen, hinter sich ein Regal, in dem sich Dutzende Wälzer aneinanderreihen. "Die stehen da nicht zur Show, sondern weil man sie braucht", sagt der Direktor des Instituts für Pathologie und Molekulare Diagnostik am UKA mit rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sein Fach gilt als Allround-Disziplin in der Medizin – und gerade deshalb als besonders anspruchsvoll. Auf dem Tisch vor Märkl steht ein Mikroskop, daneben stapeln sich Kassetten mit Gewebeproben und Präparaten, teils eingefärbt. Sie stammen von UKA-Patientinnen und -Patienten und können etwa Spuren von Erkrankungen in sich tragen, etwa von Krebs. Diese Proben umfassend zu untersuchen und zu beurteilen ist "Tagesgeschäft", eine Arbeit mit den feinsten Bestandteilen eines meist lebenden Menschen. Das große tote Ganze liegt ein paar Zimmer weiter.

    Bruno Märkl ist Direktor des Instituts für Pathologie und Molekulare Diagnostik an der Augsburger Uniklinik. Sein Fach gilt als medizinische "Allround-Disziplin".
    Bruno Märkl ist Direktor des Instituts für Pathologie und Molekulare Diagnostik an der Augsburger Uniklinik. Sein Fach gilt als medizinische "Allround-Disziplin". Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Pathologie die Uniklinik Augsburg nimmt jährlich 200 Obduktionen vor

    Tür auf, Märkl geht einen weiten, leeren Gang entlang, einmal, zweimal ums Eck. Dann schiebt sich eine Tür zu einem Raum auf, in dessen Mitte die Frau mit dem Handtuch im Gesicht liegt, fast wie aufgebahrt. Kaltes Licht fällt auf sie und die sterilen paar Quadratmeter ringsherum. An den Wänden stehen kleine Wannen, eine Waage, Mülltüten in einer Halterung, auf einer Ablage reihen sich Pinzetten, Klemmen, Scheren und Messer aneinander. Auch eine elektrische Autopsie-Säge mit rundem Blatt steht parat. All dies wird in den kommenden rund zwei Stunden zum Einsatz kommen. Die Frau ist bereits aus einer Schublade der Kühlkammer nebenan in den Obduktionstraum gebracht worden, zwei Männer und eine Frau bereiten sich gerade vor. Sie ziehen einen Kittel über, Handschuhe, Haube, Maske, ein Visier für die Augen. Noch ein Blick auf die Akte, dann nimmt die Prozedur ihren Lauf.

    Es herrscht konzentrierte Ruhe. Der erste Blick gilt dem äußeren Erscheinungsbild der Frau, also den Totenflecken oder der Leichenstarre. Dann geht es ins Innerste. Vorbei an Haut und Körperfett, bahnt sich Facharzt Francisco José Farfán López seinen Weg zu den inneren Organen. Und zwar zu allen. Es gibt zwar einen Verdacht, woran die Frau gestorben sein könnte, nach Möglichkeit sollen aber alle relevanten Bestandteile des Gesamt-Komplexes Körper untersucht werden. Um an die Organe zu gelangen, sind – je nach Umgebung – mal feine und präzise, mal eher wenig zimperliche Methoden erforderlich. Bei Herz und Gehirn kommt etwa die elektrische Säge zum Einsatz, auch hier muss der Facharzt aber mit kräftigen, ruckartigen Handgriffen nachhelfen. Es kracht, es spritzt, der Körper wackelt stumm mit. In die Luft legt sich ein bittersüßlicher Schleier, ein Gemisch aus dem, was Körpersäfte, Organinhalte und begonnene Zersetzung freigeben.

    Autopsien am offenen Körper verlaufen wenig zimperlich

    Ziel ist, sogenannte "Organpakete" aus dem Körper zu lösen, also zusammenhängende Partien – neben Herz und Hirn unter anderem Darm, Unterleib, Bauch-, Hals- und Brustbereich. Sobald Facharzt Francisco José Farfán López sie entnommen hat, übergibt er sie an die zwei Assistenzärzte Nic Reitsam und Bianca Grosser. Die beiden nehmen die Organpakete, reinigen sie – teils per Duschkopf –, und untersuchen sie dann in kleinen Wannen. Sie entnehmen Proben, tasten die Organe ab, wiegen sie, manche schneiden sie auch auf, Scheibe für Scheibe, um mögliche Auffälligkeiten zu entdecken – etwa Verklumpungen in Arterien. So durchforsten sie ein Organ nach dem anderen, zupackend, aber bedacht. Bis sie eine Stelle entdecken, die zwar keinen Beweis liefert, aber doch einen konkreten Hinweis darauf gibt, woran die Frau so unvermittelt gestorben sein könnte. Die ursprüngliche Vermutung hätte sich dann nicht bestätigt. Erkennbar war das Problem zu Lebzeiten wohl nicht, die posthume Feststellung bedeutet aber einen Erkenntnisgewinn: für die Pathologie und ihr Personal ebenso wie für die Fachklinik, in der die Frau starb.

    Francisco José Farfán López ist Facharzt in der Uniklinik-Pathologie. In diesen Schubladen lagern die Leichen, bevor sie obduziert werden.
    Francisco José Farfán López ist Facharzt in der Uniklinik-Pathologie. In diesen Schubladen lagern die Leichen, bevor sie obduziert werden. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die tote Frau war Patientin in der Uniklinik, wie fast alle Menschen, die auf dem Tisch in der Pathologie landen. Obduziert wird hier in der Regel bei natürlichen Todesfällen – oder unnatürlichen, an denen die Staatsanwaltschaft kein Interesse hat, also etwa bei Suiziden oder Verkehrsunfällen. "Mit Gerichtsmedizin hat das hier wenig zu tun", sagt Märkl. Oft würden Obduktionen und Pathologie allgemein in Zusammenhang mit Szenen wie im "Tatort" in Verbindung gebracht. Nur in absoluten Ausnahmefällen hätten die Fälle am UKA aber einen kriminalistischen Hintergrund. Üblicherweise beauftragten die Fachkliniken innerhalb der Uniklinik, seltener auch externe Häuser eine

    Die ersten Corona-Toten brachten in Augsburg "unfassbare Befunde"

    Märkl, 57 Jahre alt, arbeitet seit 1999 in der Pathologie – durchgehend in dem Haus, das heute die Uniklinik ist. Sein Fach habe sich rasant verändert, sagt er, in den technischen Möglichkeiten, aber auch in der Wahrnehmung. Früher habe es auch in medizinischen Kreisen als "schmuddelig" gegolten, "wir waren lange die Leichenschnippler". Inzwischen sei die Akzeptanz gestiegen – in Augsburg wohl noch stärker als anderswo. Das hat insbesondere mit Ereignissen im Frühjahr 2020 zu tun. Als das Coronavirus allmählich um sich griff und erste Menschen daran starben, war die Pathologie am UKA eine der ersten in Deutschland, die die Gestorbenen genauer untersuchte. Die erstmalige Obduktion eines Covid-Toten bezeichnet Märkl als den wohl prägendsten Moment seiner Karriere. "Wir haben solche Augen gemacht", sagt Märkl und spreizt die Finger beider Hände auseinander. "Das waren unfassbare Befunde, völlig furchtbar, schockierend."

    Von den 2000 Menschen, die pro Jahr in etwa an der Uniklinik sterben, werden rund zehn Prozent obduziert. Ein deutschlandweit überdurchschnittlicher Wert, doch häufig scheitern Autopsien, die medizinisch sinnvoll sein könnten, an der Zustimmung der Angehörigen. Bei Corona-Toten lag die Zustimmungsquote dagegen bei rund 90 Prozent, wie Märkl erklärt. "Die Leute haben verstanden: Da muss man forschen, um so viele Leben wie möglich zu retten." Solch schwerwiegende Veränderungen an Lungen habe er so noch nie erlebt. "Bei diesen Zuständen haben wir uns gewundert, dass es die Menschen überhaupt noch geschafft haben, bis dahin zu leben." Generell sei die Pandemie "enorm herausfordernd" gewesen, nur in der Hamburger Rechtsmedizin seien deutschlandweit mehr Corona-Tote obduziert worden. Augsburg habe sich dadurch einen Namen in der Branche gemacht, selbst die Elite-Universität Harvard habe Interesse an den Forschungsergebnissen bekundet.

    Die Schicksale hinter den Sektionen beschäftigen die Mitarbeiter

    Doch Renommee und medizinische Faszination treten manchmal in den Hintergrund, wenn klar wird, wer da warum auf dem Tisch liegt. Das war etwa bei Corona so. Irgendwann untersuchten Märkl und sein Team einen älteren Mann. Es stellte sich heraus, dass erst zwei Wochen zuvor seine Frau obduziert worden war, ebenfalls dahingerafft vom Virus. Das Paar war rund 50 Jahre verheiratet, beide bekamen den Tod des anderen nicht mit. Aber auch an diesem Tag im September 2023 hat die Pathologie einen schweren Fall hinter sich: Am Vormittag wurde ein Kind obduziert. "Das sind Geschichten, die können einen schon auch fertig machen", sagt Märkl, die Mitarbeiter im Obduktionssaal stimmen zu. "Das ist wirklich schlimm. Aber es gehört eben auch dazu."

    In der Tätigkeit selbst gibt es wenig, das die Pathologinnen und Pathologen aus der Ruhe bringt. "Am Anfang ist der Anblick eines offenen Körpers schon heftig", sagt Märkl. Aber man gewöhne sich daran – zumal im Wissen, dass man dabei jedes Mal Erkenntnis gewinne. Dabei sei aber auch wichtig, dass es Menschen gebe, die ihre Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellten und möglichst schon zu Lebzeiten ihr Einverständnis gäben. Man achte in jedem Fall darauf, dass auch nach der Obduktion – der Körper wird inklusive der Organe wieder zugenäht – ein Abschiednehmen möglich sei.

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